In der Stimme von Tanja Maaß ist Verzweiflung zu hören: Am 15. März haben sie und ihr Mann Frank die 31-jährige schwangere Julia Ivanova, ihren Mann Dima und deren drei Kinder in ihrem Haus in Friedrichsfeld aufgenommen. Sieben Wochen, unzählige Behördengänge, Telefonate und Schriftwechsel später, sagt sie: „Ich liege nachts wach, weil ich nicht weiß, wie es weitergehen soll.“
Sieben Menschen leben in dem Familienhaus. Frank und Tanja Maaß haben eines der Stockwerke geräumt, benutzten selbst die Gäste-Toilette und duschen auch mal bei den erwachsenen, inzwischen ausgezogenen eigenen Kindern, beim Sport oder auf der Arbeit. „Im März hat man uns gesagt, die Unterbringung sei übergangsweise“, sagt Tanja Maaß. „Nun warten wir seit Wochen, haben bald ein Baby im Haus, und die Familie hat noch immer keine Aussicht auf eine Wohnung. Wir fühlen uns von der Stadt vergessen.“
Vielen Familien, das zeigen Gespräche, bereitet die Vermittlung von Geflüchteten vom privaten in eigenen Wohnraum Sorgen. Die Perspektive fehle, sagen die Familien. Auch Slawomir Chruscicki und seine Frau zählen dazu. Am 14. März haben sie eine Frau mit zwei Töchtern aufgenommen. Der Mutter und dem 13-jährigen Mädchen sei die Flucht anzumerken gewesen, erinnert sich Slawomir Chruscicki. „Sie waren sehr ruhig und zurückgezogen.“ Die Vierjährige dagegen habe getobt und Slawomir und seine Frau sofort „Onkel und Tante genannt“, erzählt er. „Sie ist ein kleiner Wirbelwind.“
Bereits nach einer Woche sei die ältere Tochter an der Sandhofen Realschule angemeldet worden. „Wir haben sehr viel Unterstützung von Familie und Freunden bekommen und die ersten Tage gut überstanden“, erklärt Chruscicki, der als Schichtleiter in der „MM“-Druckerei arbeitet. Mit der Zeit aber belasten neben fehlender Privatsphäre auch immer öfter Gänge zu Behörden, Ämtern und Ärzten die Familie. „Ab dann ging es schlechter.“ Die ständige Suche nach Dolmetscherinnen oder Dolmetschern, Stress und die fehlende Unterstützung von Behörden - „von der Stadt fühlen wir uns im Stich gelassen, weil zum Beispiel in Wohnungsfragen niemand wirklich hilft und man von A nach B und dann wieder zurück verwiesen wird“, kritisiert Chruscicki. „Wir kommen nicht weiter.“
Die Stadt teilt der Redaktion mit, dass es bereits Ziel aller Beteiligten sei, Reserven auf dem Wohnungsmarkt zu aktivieren. „Es wird daran gearbeitet, kurzfristig umsetzbare Container- und Modulbausysteme zu ermöglichen und so Wohnraum zu schaffen.“ Für ein Grundstück würden „konkrete Planungen der GBG“ laufen. Zudem wolle die Wohnungsbaugesellschaft „im Laufe des Jahres in ihrem Bestand schrittweise rund 300 Wohnungen für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen“.
Anfang April hatte die GBG angekündigt, bis Mitte April 50 Wohnungen zur Verfügung stellen. 190 Geflüchtete sollen darin Platz finden, erklärt die Stadt. Bis auf eine Wohnung sind alle baulich hergerichtet, wie es nun heißt. „Aktuell werden die Wohnungen mit einfachen Küchen ausgestattet, hier ist es wegen Lieferengpässen zu Verzögerungen gekommen.“ Ist die Ausstattung komplett, „werden die Wohnungen vergeben“, erklärt die Stadt. „Parallel zur Fertigstellung der Wohnungen befinden sich Stadt und GBG für dieses gesonderte Wohnraumangebot in der finalen Abstimmung des Prozesses, der maßgeblich auf Dringlichkeit basieren wird.“ Zudem gebe es das Online-Portal startraum-mannheim.de, auf dem Wohnraum gegen Miete angeboten werde.
Indes kritisiert Volker Beisel eine zähe Bürokratie. In Neuhermsheim lebt er mit vier geflüchteten Frauen zusammen. Eine fünfte ist in die Ukraine zurückgekehrt. Am 15. März habe Beisel bei der Abholung der Frauen aus der Jugendherberge einen Laufzettel mit den Namen der neuen Mitbewohnerinnen bekommen. „Ab dann waren wir auf uns alleine gestellt.“ Immer wieder habe er wegen fehlender Aktenzeichen telefonieren oder mit den Frauen auf Ämtern vorsprechen müssen, um Behandlungsscheine für medizinische Betreuungen oder sogenannte Fiktionsbescheinigungen zu beantragen. Letztere werden benötigt, um etwa Integrations- und Deutschkurse zu besuchen und so in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Die Stadt bestätigt, dass die Bearbeitung von Anträgen zunächst nicht zeitnah möglich gewesen sei, „so dass in der ersten Zeit eine Wartezeit von etwa vier Wochen bis zum Erhalt der Fiktionsbescheinigung zu verzeichnen war“. Mittlerweile habe man „die Bearbeitung erheblich beschleunigt“. So sei am 21. März eine „temporäre Errichtung“ von 105 Vollzeitstellen beschlossen worden, ein Großteil davon im Fachbereich Arbeit und Soziales sowie im Fachbereich Bürgerdienste. Etwa die Hälfte der Stellen wurde demnach bislang besetzt. Die würden eine „hohe fachliche Kompetenz“ und „fundierte Verwaltungserfahrung“ erfordern. „Aufgrund der Situation des Arbeitsmarkts stellt es eine Herausforderung dar, geeignete Fachkräfte für die Bereiche Asylbewerberleistungsgesetz, Sozial- und Verfahrensberatung, Wohnungsvermittlung, Ausländer- und Meldebehörde zu finden“, erklärt die Stadt.
Als Kommunalpolitiker habe er Erfahrung mit Verwaltung und deren Abläufen, erklärt Beisel. „Als normaler Bürger hat man sonst nicht viel mit der Verwaltung zu tun und kann Abläufe nicht nachvollziehen.“ Beisel fragt sich, wie viel Geduld und Aufwand man dann nach der Aufnahme von Geflüchteten aufbringen müsse. Er kritisiert: „Wir haben der Stadt ein riesiges Problem abgenommen und sind so über Nacht zu Sozialarbeitern geworden.“
Unterdessen haben auch Fabian Klenk und sein Partner eine Mutter mit zwei Kindern aufgenommen. Eine vierte Frau habe eine Ein-Zimmer-Wohnung gefunden. „Zwischen vier und sechs Wochen“ habe es gedauert, bis die Frau alle Unterlagen und Aktenzeichen bekommen habe, die sie für den Mietvertrag gebraucht hat, sagt Klenk. „Dass es so lange dauert, hat uns überrascht.“ Mehrere Besuche bei Bürgerdiensten und dem Sozialamt seien dem vorausgegangen. „Man fühlt sich mit dem Wust an Bürokratie völlig alleingelassen, weil wenig kommuniziert wird.“ Stattdessen herrsche das Gefühl, sagt Klenk, „dass alles etwas chaotisch ist. Das macht es dem Bürger, der hilft, schwer“.
Wie Beisel kritisiert Klenk, dass Schriftverkehr vor allem in deutscher Sprache stattfinde. „Ich will nicht ständig Briefe meiner ukrainischen Mitbewohnerinnen mit privaten Daten lesen müssen“, sagt Beisel. Er muss es - um zu helfen. „Wenn Geflüchteten deutsche Formulare ausgehändigt werden, stehen die da und wissen nicht weiter“, erklärt Klenk. Bürgerdienste würden „mit fachkundigen Übersetzern beziehungsweise Sprachvermittlern“ arbeiten, entgegnet die Stadt. „Alle wichtigen und aktuellen Informationen zur Anmeldung, zur Einreise und zum Aufenthalt werden in einem dreisprachigen Hinweisblatt zur Verfügung gestellt.“
Bei Familie Maaß in Friedrichsfeld ist inzwischen noch ein weiterer Mitbewohner eingezogen. Julia Ivanova hat am Dienstag ein Baby zur Welt gebracht. „Mutter und Kind sind wohlauf“, sagt Tanja Maaß.
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