Mannheim. Die Entscheidung zwischen den Orten für ein Bild haben Ines Joneleit und Tamara Beckh schnell getroffen. Das Ambiente im Schillerpark passt, die Aufenthaltsqualität an dem heißen Nachmittag ist in der Grünanlage sowieso besser als auf dem aufgeheizten Beton im Ehrenhof. In diesen Tagen ist das Hitzeproblem in Mannheim allgegenwärtig. Das spüren auch Joneleit und Beckh. Die Entsiegelung von Flächen, erklären sie, soll in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle spielen.
Vor wenigen Wochen haben die Mitglieder der Mannheimer Grünen Joneleit und Beckh zu ihren Sprecherinnen und als Nachfolgerinnen von Nils Born und Sophia Dittes gewählt. „Wir leben in einer der heißesten Städte Deutschlands“, sagt Beckh. Selbst wenn die Klimaziele 2030 erreicht werden - viele Kipppunkte seien bereits überschritten. Man könne deshalb nicht verhindern, dass sich unser Leben verändern werde. „Darauf müssen wir uns in den Städten vorbereiten.“
Wer sind die Neuen?
Die „Neuen“ sind gar nicht so neu. Beide haben bereits Erfahrung in der Vorstandsarbeit im Kreisverband, der die größte Fraktion im Gemeinderat stellt. Diese Erfahrung werden sie brauchen - schließlich steht im Herbst bereits die Nominierung für die Kommunalwahl bevor. Dabei hallt die Oberbürgermeisterwahl noch nach.
Kurze Zeit nach dem Gespräch erklärt Stadtrat Olaf Kremer seinen Austritt aus Partei und Fraktion und kritisiert die Grünen scharf - der zweite prominentere Abgang in wenigen Wochen. Die Entscheidung habe sie „sehr erstaunt“ und ohne Vorankündigung erreicht, teilen beide danach mit. Viel Zeit zur Eingewöhnung hat das Duo wirklich nicht. „Es gibt in einer basisdemokratischen Partei immer Themen, die diskutiert werden“, sagt Beckh. Am Ende ziehe der Kreisverband aber an einem Strang. „Wir haben uns immer auf ein gutes Ergebnis einigen können“, ist Joneleit überzeugt.
Die denkt heute noch manchmal an einen Satz, mit dem der Chemielehrer ihr begründete, warum er ihr keine 1 hatte geben wollen. „Mädchen sind für eine 1 in Chemie nicht geeignet“, erinnert sich die heute 42-Jährige an die Worte, die sie zum Feminismus gebracht haben. Die 1 habe sie nach einem Referat zwar noch bekommen, erzählt sie mit einem Lachen - dem Feminismus und dem Kampf für Gleichberechtigung sei sie aber verbunden geblieben.
Joneleit hat Ökotrophologie studiert, eine Kombination aus Ernährungs- und Haushaltswissenschaft. Heute arbeitet sie in der IT-Branche. Im Studium habe sie viel über die Armut in Privathaushalten und den Zusammenhang mit sozial-ökonomischen Strukturen gelernt. „Viele Menschen vergessen, wie viele in Deutschland in Armut leben.“ Mit ihrer Politik will Joneleit den Menschen eine Stimme geben.
Tamara Beckh ist im Bundestagswahlkampf 2021 den Grünen beigetreten. Sie habe gespürt, dass „etwas passieren muss“, erklärt die heute 32-Jährige. „Bis wir 2030 klimaneutral werden wollen, gibt es nur noch zwei Bundestagswahlen.“ Bislang seien Ziele aber stets verschoben worden. „Wenn wir nicht reagieren, haben wir bald gar keine Chance mehr.“ Beckh zählt auch heute den Umwelt- und Klimaschutz zu den drängendsten Problemen dieser Zeit. Aber auch die Sozialpolitik sei für sie, die Sozialarbeiterin, wichtig.
Was wollen sie erreichen?
Das Duo will die Grünen stärker in der Gesellschaft verankern. Zwar ist der Kreisverband, wie die gesamte Partei, bei der Zahl der Mitglieder stark gewachsen und besonders in der Innenstadt, auf dem Lindenhof oder in der Neckarstadt etabliert. „Wir müssen aber Stadtteile erreichen, die nicht klassisch grün sind“, setzt sich Beckh zum Ziel. „Es wird weniger, je weiter man sich von der Innenstadt entfernt.“
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Dort will der Vorstand Strukturen ausbauen und etablieren. „Wir bilden die Vielfalt der Stadt noch nicht zufriedenstellend ab“, sagt Beckh. Nicht erst die schwache Beteiligung bei der Oberbürgermeisterwahl habe gezeigt, dass sich viele nicht vertreten fühlen. Um dem entgegenzuwirken, müssten viele eingebunden werden. „Wir wollen auch mit Vereinen und Menschen regelmäßig in Austausch kommen, die nicht nur klassische grüne Themen besetzen“, sagt Joneleit.
Wie steht es um Klimaschutz?
Immer wieder kommt das Gespräch auf die Klimaziele zurück. Bis 2030 will auch Mannheim klimaneutral sein. Ob das mit einem Oberbürgermeister aus dem konservativen Lager gelingt? Der hat im Wahlkampf für mehr Klimaschutz geworben, sich „auf Plakaten sehr grün gegeben“, sagt Beckh. „Jetzt muss sich zeigen, ob er sich auch daran hält.“
Vor allem das von Diana Pretzell geführte Umweltdezernat habe schon vieles erreicht, lobt Joneleit die Parteifreundin und nennt etwa die Begrünung von Plätzen oder den Klimaschutzaktionsplan. „Klimaschutz ist noch nicht bei allen, aber doch in der Breite der Gesellschaft angekommen“, sagt sie. „Es würde für Christian Specht schwierig werden, sich bei diesem Thema aus der Affäre zu ziehen.“ Beim Klimaschutz gehe es darum, Leben zu erhalten, ergänzt Beckh. „Erhalten ist ja eigentlich ein konservatives Thema.“
Was sagen sie zur OB-Wahl?
Apropos Oberbürgermeister. Für die Grünen ist die Wahl enttäuschend verlaufen. Der Kandidat Raymond Fojkar hat sich nach dem ersten Wahlgang mit einem Ergebnis von knapp 14 Prozent zurückgezogen. SPD-Kandidat Thorsten Riehle, den die Grünen im zweiten Wahlgang unterstützt haben, unterlag schließlich Specht. „Warum es für ihn nicht gereicht hat, muss die SPD analysieren“, sagt Beckh. Die Grünen hätten auch unter dem Bundestrend gelitten. Für die Partei sei es aber auch wichtig gewesen, einen Kandidaten gehabt zu haben, der Themen der Grünen habe setzen können.
Wie ist die Haltung beim Verkehr?
Immer wieder fahren während des Gesprächs Autos durch die Quadrate. Mal sind sie lauter, mal leiser - der Verkehrsversuch, den große Teile der Grünen forciert haben, ist beendet. „Das ist schade“, befindet Joneleit. „Jedes Auto, das nicht fährt, ist gut fürs Klima.“ Sie selbst ist passionierte Fahrradfahrerin und Fußgängerin, Mitglied im ADFC und engagiert sich im Verein Fuß e.V., der Interessen von Fußgängerinnen und Fußgänger vertritt. 2019 hat sie sogar an einem Treppen-Wettlauf teilgenommen und die mehr als 1200 Stufen des Frankfurter Messetowers in weniger als 15 Minuten erklommen.
Was denken sie über Blockaden?
In der Vergangenheit habe sie zeitweise bei der radikalen Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion mitgewirkt - hinter den Kulissen, nicht bei den Aktionen selbst, sagt Joneleit. Da liegt die Frage nahe: Wie steht das Duo zu Blockaden der Letzten Generation und extremen Protesten für mehr Klimaschutz?
Ich kann den Frust der Menschen nachvollziehen, dass lange Zeit nicht ausreichend viel passiert ist und man deshalb in Richtung zivilem Ungehorsam geht.
„Ich kann den Frust der Menschen nachvollziehen, dass lange Zeit nicht ausreichend viel passiert ist und man deshalb in Richtung zivilem Ungehorsam geht“, antwortet Joneleit. Den Frust kann auch sie verstehen, sagt Beckh. „Wir müssen beim Klimaschutz aber die breite Gesellschaft mitnehmen“, argumentiert sie und stellt in Frage, ob dafür eine solche Protestform der richtige Weg sei. Joneleit ergänzt: „Man braucht eine Mischung aus Aktivismus und Parlamentarismus. Das gehört zur Demokratie dazu.“
Die Kommunalwahl rückt näher
2024 wird der Gemeinderat gewählt. Die Wahlkampfplakate der Grünen müssten dann eindeutiger sein als bei der Oberbürgermeisterwahl, die Botschaften besser verkauft werden, sagt Joneleit. „Wir müssen mehr auf die Menschen zugehen und auch beim Haustürwahlkampf präsenter sein.“ Das hatte auch der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann im „MM“-Interview den Parteien empfohlen. „Wir haben aus der OB-Wahl gelernt“, verspricht Joneleit. Das Duo ist schon mittendrin im Geschehen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mannheims Grüne sind zu viel mit sich beschäftigt