Kommunalpolitik

Nächster Mannheimer Stadtrat verlässt Fraktion: „Grüne gehen an Lebensrealität vorbei“

Nach Markus Sprengler hat am Wochenende der nächste Mannheimer Stadtrat die Grünen-Partei und Gemeindratsfraktion verlassen - und seine ehemalige Partei scharf kritisiert

Von 
Sebastian Koch
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Die Mannheimer SPD hat Thorsten Riehle zum neuen Wirtschaftsbürgermeister nominiert. Zuvor hatte es darüber im Gemeinderat Streit gegeben. © Thomas Tröster/Grüne

Mannheim. Am Ende waren es viele Kleinigkeiten, die Olaf Kremer gestört haben. Ob in der Bundespolitik, in der Landes- oder in der Kommunalpolitik - der Stadtrat ist von seinen Grünen genervt und hat am Wochenende deshalb „nach vielen Tagen des Nachdenkens, reiflicher Überlegung und Abwägung“ entschieden, dass Schluss ist: Kremer tritt nicht nur aus der Partei, sondern auch aus der Gemeinderatsfraktion aus.

Man tritt dem nun fraktionslosen Stadtrat wohl nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er nicht zu den prominentesten Vertretern seiner Zunft gehört. Schließlich ist der langjährige Bezirksbeirat erst im April in Gemeinderat und Fraktion nachgerückt, nachdem Patrick Haermeyer sein Mandat aus beruflichen Gründen aufgegeben hatte. Dennoch dürften die Äußerungen Kremers zum Innenleben der Partei und Fraktion Verantwortliche beschäftigen. Allemal, weil der Austritt der zweite in wenigen Wochen ist - im Juli hatte Stadtrat Markus Sprengler die Grünen verlassen. Die Trennung war von beidseitigen Vorwürfen begleitet worden. Die Fraktion sprach damals - auch mit Blick auf monatelange Differenzen - gar von einem „folgerichtigen Schritt“.

Künftig fraktionslos: Olaf Kremer. © Grüne Mannheim

Bei Kremer ist das nicht der Fall. Partei und Fraktion wirken am Wochenende gar überrascht. „Die Entscheidung von Olaf Kremer kommt ohne Vorankündigung und erstaunt uns sehr“, teilen die Fraktionschefinnen Nina Wellenreuther und Stefanie Heß mit den Parteisprecherinnen Ines Joneleit und Tamara Beckh mit. Man bedauere, aber respektiere die Entscheidung. „Wir hatten noch keine Gelegenheit, uns mit seinen Beweggründen und den weiteren Konsequenzen zu befassen.“ Wie die aussehen, ist gewiss noch unklar. Viel ruhiger dürfte es vor der Kommunalwahl kommendes Jahr im Kreisverband aber nicht werden.

„Konnte nie Teil des Ganzen sein“

„Die Politik der Grünen geht in den letzten Monaten in vielen Punkten an der Lebensrealität vieler vorbei“, sagt Kremer am Samstag im Gespräch. „Das gilt für die Bundesebene wie für die Landesebene und die kommunale Ebene.“ Der Angestellte einer Baugenossenschaft kritisiert auf Bundesebene etwa die Balkon-Photovoltaikanlagen, für deren Installation Mieter und Vermieter zahlreiche und seiner Meinung nach viel zu viele Vorgaben erfüllen müssten und stört sich auf Landesebene an einer „unsäglichen Asyl- und Abschiebepolitik“, die Familien spalte. Gegen die „sehr langen Verfahren“ habe die grün-geführte Regierung kaum etwas ausgerichtet.

Zudem liege in der Schul- und Schulsozialpolitik vieles auch in Mannheim im Argen. „Wir freuen uns, wenn wir als Gemeinderat an der Jungbuschschule eine halbe Stelle mehr für die Schulsozialarbeit beschließen“, sagt Kremer. „Da feiern wir uns tagelang, obwohl man vier Stellen bräuchte, weil eine halbe gar nichts ausrichten kann.“ Er vermisse mehr Engagement seiner Partei bei der Lösung von Problemen in der Schulpolitik.

Aktuelle Zusammensetzung des Gemeinderats

  • Der Austritt von Olaf Kremer aus der Grünen-Gemeinderatsfraktion ist bereits die 14. Veränderung im Stadtparlament in der Wahlperiode – so viel Bewegung gab es noch nie.
  • Besonders viele Wechsel gibt es bei den Grünen: Bereits fünf Männer und Frauen sind in die Fraktion nachgerückt, weil andere Fraktionsmitglieder ihr Mandat aufgegeben haben. Auch Kremer gehörte zu den Nachrückern: Er folgte im April auf Patrick Haermeyer, der Mannheim berufsbedingt verlassen hat.
  • Nach dem Austritt von Kremer gehören noch elf Mitglieder der Grünen-Fraktion an. Die SPD kommt derzeit auf zehn Sitze. CDU (acht Sitze), LI.PAR.Tie (fünf), AfD, FDP/MfM und ML (jeweils vier) folgen.
  • Bereits im Juli hatte Stadtrat Markus Sprengler die Grünen-Fraktion verlassen. Seitdem gehört er dem Gemeinderat als freier Stadtrat an. Mit Olaf Kremer gibt es nun derzeit zwei Stadträte ohne Fraktionszugehörigkeit.

Kremer spricht vom Verkehrsversuch, bei dem er „immer wieder“ erlebt habe, „dass meine Partei die Menschen nicht mitgenommen hat, sondern nur ihr Dogma durchprügeln wollte“, sagt er. „Es ist klar, dass die Innenstadt autoärmer werden muss.“ Dabei müsse man aber überlegen, wie das mit und nicht über Menschen hinweg ginge.

Der Stadtrat kritisiert eine Akademisierung der Politik. „Wir müssen in der Arbeiterstadt Mannheim auch Menschen mitnehmen, die ein durchschnittliches Gehalt oder bisschen weniger verdienen“, sagt er - auch um der AfD Stimmen abzuwerben. „Die Grünen legen zu wenig Wert darauf, diese Menschen mitzunehmen. Die Menschen fühlen sich bevormundet.“

Zudem habe es im Wahlkampf der Grünen bei der Kampagne „gravierende handwerkliche Fehler“ gegeben, die intern kaum aufgearbeitet worden seien. Ähnlich hatte sich zuletzt auch Sprengler geäußert.

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Kritik übt Kremer nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell. So sei er zwar erst seit ein paar Monaten in der Fraktion. Die gilt als zerstritten, was wohl auch Kremer zu spüren bekommen hat. Er erklärt zumindest: „Ich habe nie das Gefühl bekommen, ein Teil des Ganzen zu werden.“ Wie die gesamte Partei ist auch die Mitgliederzahl im Kreisverband stark und schnell gewachsen. Es gebe viele, die sich der Sache wegen engagierten, meint Kremer. „Ich habe aber bei Mitgliedern, die in Partei und Fraktion vorangehen, erlebt, dass man sich nur deshalb engagiert und Themen bearbeitet, um sich in Seilschaften voranzubringen.“

Bis zur Wahl wohl fraktionslos

Kremer will sein Mandat behalten und als Fraktionsloser in die Haushaltsverhandlungen gehen. „Das wird nicht einfach“, sagt er lachend. Dass er sich zeitnah einer anderen Partei und Fraktion anschließt, sei „sehr unwahrscheinlich“, erklärt Kremer. „Die Menschen, die mich gewählt haben, haben mich als Politiker der Grünen gewählt.“ Sich jetzt einer anderen Fraktion anzuschließen, wäre ein Affront. „Dann lieber konsequent sein und die Legislatur als freier Stadtrat beenden.“

Mit nun noch elf Mitgliedern stellen die Grünen weiterhin die stärkste Fraktion im Gemeinderat. Die SPD kommt derzeit auf zehn.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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