Mannheim. Frau Wellenreuther, Sie wollen für Mannheims Grüne in den Bundestag. Warum tun Sie sich den Bundestagswahlkampf an, in dem es für ihre Partei sicherlich viele verbale Anfeindungen geben wird?
Nina Wellenreuther: Ich würde das nicht als „Wieso tun Sie sich das an“ bezeichnen. Der Wahlkampf für die Kommunalwahl hat mir große Freude bereitet. Ich schließe im Winter mein Studium ab und habe im Sommer Zeit für bereichernde Begegnungen, interessante Gespräche mit Menschen in Mannheim und freue mich auf viele spannende Termine.
Sie müssen sich auf dem Nominierungsparteitag des Kreisverbandes am 22. Oktober zur Wahl stellen. Rechnen Sie damit, dass es Gegenkandidaturen gibt?
Wellenreuther: Ich weiß nicht, ob sich andere bewerben. Ich habe mich in den letzten Wochen auf meine Kandidatur vorbereitet und mir ein Team zusammengestellt, das mich unterstützt, falls ich in den Bundestag einziehe. Wir leben aber in einer Parteiendemokratie, deshalb darf sich natürlich jede Person bewerben.
Ich bin an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich den nächsten Schritt gehen und diese Kandidatur leisten kann
Dass es Mitglieder gibt, die sich bewerben können, ist klar. Haben Sie Ihre Kandidatur aber auch mit wichtigen Amts- und Mandatsträgern im Kreisverband oder auch in ihrer Fraktion besprochen?
Wellenreuther: Wir haben natürlich miteinander gesprochen und entschieden, bei wem die Kandidatur am meisten Sinn macht. Unter den Personen, die Sie aufgezählt haben, gibt es viele, die ihr Mandat gerade erst verlängert bekommen haben oder an anderen wichtigen Stellen gute Politik machen. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich den nächsten Schritt gehen und diese Kandidatur leisten kann. So wie die Gespräche verlaufen sind, wird niemand gegen mich kandidieren. Dass es an der Basis Menschen gibt, die kandidieren wollen, kann ich nicht ausschließen. Das gehört zu einer Parteiendemokratie dazu.
Die Konstellation im Gemeinderat ist kompliziert, was vor allem Sie als Fraktionsvorsitzende der Grünen fordern wird. Können Sie Fraktionsvorsitzende bleiben, wenn Sie einen Bundestagswahlkampf stemmen müssen, der mit Sicherheit nicht weniger stressig wird als der für die Kommunalwahl?
Wellenreuther: Dass man als Fraktionsvorsitzende einen Wahlkampf bestreiten kann, habe ich ja vor der Kommunalwahl bewiesen. Ich bin überzeugt davon, dass ich das auch im Bundestagswahlkampf leisten kann. Ich sehe wichtige Schnittmengen, wenn ich an Projekte zur Klimafolgenanpassung, zur Stadtbegrünung oder zur Energiewende denke. Wenn der Bund Kommunen hier nicht unterstützt, bekommen wir das nicht hin. Wir müssen dafür sorgen, dass Städte auch für die lebenswert bleiben, die sich keine Klimaanlage leisten können. Ich will im Wahlkampf die Verbindungen zwischen Kommunal- und Bundespolitik hervorheben und zeigen, wie beide voneinander profitieren können.
Infos zu Nina Wellenreuther
- Nina Wellenreuther wurde im November 1996 in Mannheim geboren und gehört seit 2019 dem Gemeinderat an. Seit 2022 ist sie Fraktionsvorsitzende der Grünen, die sie zuletzt als Spitzenkandidatin auch in die Kommunalwahl geführt hatte.
- 2019 hat Wellenreuther bei der HAAS Mediengruppe, der der „MM“ angehört, eine Ausbildung zur Medienkauffrau abgeschlossen. Sie studiert Umweltingenieurwesen in Darmstadt.
- Bis auf Konrad Stockmeier (FDP) sind die Kandidaten anderer Mannheimer Parteien noch nicht bekannt.
Bleiben Sie Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, falls Sie in den Bundestag einziehen?
Wellenreuther: Nein. Ein Bundestagsmandat ist ein Full-Time-Job. Deshalb werde ich mein Mandat im Gemeinderat niederlegen, falls ich in den Bundestag einziehe. Wer mich kennt, weiß, dass ich zu meiner Heimatstadt Mannheim und zur Fraktion auch von Berlin aus einen engen Austausch pflegen werde.
Der Bundestag wird kleiner. Melis Sekmen hat es 2021 über die Liste der Grünen geschafft und das auch nur als Drittletzte. Das wird nächstes Jahr nicht mehr reichen. Nicht nur, weil die Grünen - nach aktuellen Umfragen - weniger Sitze haben werden, sondern weil wegen der Wahlrechtsreform auch die Ausgleichsmandate wegfallen. Welche Chancen rechnen Sie sich aus, ins Parlament einzuziehen?
Wellenreuther: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass die Kandidatur eine sichere Nummer wird. Ich gehe aber optimistisch in den Wahlkampf und setze alles daran, den Wahlkreis zu gewinnen. Über die Grünen-Liste in Baden-Württemberg, werde ich nicht in den Bundestag einziehen können, weil es viele Abgeordnete gibt, die höher platziert sind. Da mache ich mir nichts vor. Wir sind bei der Kommunalwahl mit mir als Spitzenkandidatin aber auch stärker gewesen als es der Bundestrend hatte vermuten lassen. Das Direktmandat wird sich zwischen SPD und Grünen entscheiden, wenn den Mannheimern bewusst wird, dass es wegen der Wahlrechtsreform unwahrscheinlich ist, dass eine Person der Mannheimer CDU in den Bundestag einzieht, selbst wenn sie den Wahlkreis gewinnt. Eine Erststimme für die CDU ist in Mannheim eine verlorene Stimme.
Für die Grünen war es trotz aller Irrungen und Wirrungen richtig, in die Koalition zu gehen.
Lassen Sie uns politischer werden. Glauben Sie, dass die Bundestagswahl am 25. September stattfindet oder richten Sie sich auf einen früheren Wahltag ein, weil die Ampel auseinanderbricht?
Wellenreuther: Ich gehe davon aus, dass sich die Grünen ihrer Verantwortung bewusst sind und dass sie die Legislatur zu Ende führen. Für die Grünen war es trotz aller Irrungen und Wirrungen richtig, in die Koalition zu gehen.
Die Ampel besteht aber noch aus zwei anderen Fraktionen. FDP-General Bijan Djir-Sarai hat am Mittwoch in der Generaldebatte beim Thema Migration der CDU fast ein offenes Angebot zum Koalitionsbruch unterbreitet.
Wellenreuther: Wir befinden uns in einer Zeit, in der viele Schlagzeilen aufeinander folgen. Außenministerin Annalena Baerbock hat am Mittwoch die richtige Frage aufgeworfen, ob wir jeder Schlagzeile hinterherrennen und uns in populistischen Aussagen übertreffen wollen. Für mich ist klar, dass wir als Gesellschaft differenzieren müssen zwischen Islamismus und Menschen, die bei uns Schutz gefunden haben, fest auf dem Boden des Grundgesetztes stehen und somit Teil unserer deutschen Gesellschaft sind. Die Migrationspolitik ist im Moment unehrlich, populistisch und menschenverachtend und führt somit zu keiner Problemlösung. Stattdessen ist die Konsequenz, dass wir mit dem Aussetzen von Schengen den europäischen Zusammenhalt und Wohlstand aufs Spiel setzen.
Wie zufrieden sind Sie sowohl als Grüne-Kommunalpolitikerin als auch als Bürgerin mit der Ampel in den letzten Jahren?
Wellenreuther: Wir sind nach jahrelangem Stillstand mit hohen Erwartungen der Wähler in die Koalition gestartet und haben leider nicht alle Erwartungen erfüllt. Daraus will ich keinen Hehl machen. Gerade in meinen Bereichen - dem Klimaschutz und der Energiewende - hat die Ampel aber vieles auf den Weg gebracht: Die Energiewende nimmt Fahrt auf, die Erneuerbaren werden immens ausgebaut und Genehmigungsprozesse sind verkürzt worden. Auch wenn nicht alles klappt, ist die Ampel besser als ihr Ruf. Man muss sich auch immer fragen, wie andere Koalitionen regiert hätten. Wir sind aus 16 Jahren CDU-geführten Regierungen gekommen. Vieles in unserem Land liegt im Argen, das liegt auch an diesen 16 Jahren. Bei dem aktuellen Auftritt der CDU in der Opposition kann ich mir eine konstruktive Regierungsarbeit schwer vorstellen.
Welche Themen treiben Sie neben dem Klimaschutz um?
Wellenreuther: Aus Gesprächen im Kommunalwahlkampf weiß ich, dass der fehlende Wohnraum viele beschäftigt. Wir haben zu wenig Wohnraum und dort, wo es ihn gibt, sind Mieten für viele zu teuer. Wir müssen Altbestände sanieren, die unendlich viel Energie verbrauchen und Nebenkosten in die Höhe treiben. Wir müssen Menschen in dieser sozialen Frage zeigen, was alles möglich ist. Das ist mein Anspruch.
Was ist denn möglich?
Wellenreuther: Gerade Klimaschutz ermöglicht vielen ein besseres und sparsameres Leben. Im Moment profitieren aber nur die davon, die in gedämmten Wohnungen sitzen und sich diesen Wohnraum leisten können. Diejenigen, die darauf angewiesen sind, dass sich Vermieter um Sanierungen und Dämmungen kümmern, haben das Nachsehen. Wenn ich keinen Balkon und keinen Garten habe, muss ich in den öffentlichen Raum ausweichen. Deshalb müssen wir auch Innenstädte aufwerten, indem wir sie begrünen und entsiegeln.
Da sind aber viele Themen und Ansätze dabei, die Sie als Kommunalpolitikerin doch fast besser vorantreiben können als als Bundespolitikerin von Berlin aus.
Wellenreuther: Sollte ich im Bundestag sein, kann ich mein Mandat in Mannheim guten Gewissens abgeben, weil ich hier vor Ort kompetente Kolleginnen habe, die mit mir in Berlin noch mehr voranbringen können, als ich es von Mannheim aus kann. In Berlin werden mit Finanzierungsfragen und Förderprogrammen viele Weichen gestellt, die sich auch auf die Kommunalpolitik und die Menschen in Mannheim auswirken. Als Kommunalpolitikerin will ich mich nicht immer nur in meiner Blase bewegen. Als Sportpolitikerin bekomme ich das auch gut hin, weil ich viel in Vereinen unterwegs bin, die nicht immer unbedingt nur eine Grüne-Klientel vertreten. Wir brauchen Abgeordnete in Berlin, die wissen, was vor Ort wie funktioniert und wie die Menschen dort ticken. Ich will viel Realität und viele Ideen mit nach Berlin nehmen.
Ich habe das Gefühl, dass viele Themen, die jahrelang verschleppt worden sind, jetzt auf die Migration geschoben werden
Stichwort Realität: Stößt Deutschland bei der Integration von Geflüchteten an Belastungsgrenzen?
Wellenreuther: Nein. Für mich ist die Debatte darum eine, die an der Realität vorbeiführt. Wir stehen natürlich bei der Unterbringung von Geflüchteten und dem Wohnraum dafür vor Herausforderungen. Der Wohnungsmarkt war aber auch schon vorher angespannt. Ich habe das Gefühl, dass viele Themen, die jahrelang verschleppt worden sind, jetzt auf die Migration geschoben werden. Wir haben nicht zu wenige Kita-Plätze, weil wir eine zu starke Migration haben, sondern weil über Jahre nichts unternommen worden ist. Wir haben nicht wegen der Migration eine kaputte Infrastruktur, sondern weil über Jahre nichts in Infrastruktur und Instandhaltung investiert worden ist. Was bringt eine Schuldenbremse, wenn die dazu führt, dass wir zwar keine Schulden haben, dafür aber eine völlig marode Infrastruktur? Es werden viele Probleme auf die Migration geschoben, weil das für viele Politikerinnen und Politiker, die Verantwortung getragen haben, einfach ist.
Bei allem Respekt: Ich nehme nicht verstärkt wahr, dass die Kita-Problematik oder die marode Infrastruktur an Migration festgemacht wird. Migration wird derzeit vor allem an der Frage der öffentlichen Sicherheit und dem Umgang mit Islamismus diskutiert. Wir sind uns einig darin, dass man Geflüchtete und Muslime nicht unter Generalverdacht stellen darf. Trotzdem stellen sich nach den Anschlägen in Mannheim und Solingen doch Fragen. Eine lautet: Hängt die öffentliche Sicherheit auch mit dem Thema Migration zusammen?
Wellenreuther: Es stimmt, dass diese Themen häufig in Zusammenhang gebracht werden. Es ist aber problematisch, dass man einer Bevölkerungsgruppe mehr Kriminalität unterstellt als anderen. Indem wir Menschen bei der Frage nach öffentlicher Sicherheit unter Generalverdacht stellen, befördern wir doch Unsicherheit im öffentlichen Raum. Menschen, die unter Generalverdacht stehen, fühlen sich mit Recht vor den Kopf gestoßen und schotten sich ab. In letzter Konsequenz führt das zu einer Radikalisierung. Das trifft übrigens auf alle Gruppen und Menschen zu, die man ausgrenzt. Wir machen uns durch den Generalverdacht doch selbst zum Teil des Problems. Ich habe den Anspruch, dass wir eine offene Gesellschaft bleiben. Da verschiebt sich im Moment etwas. Dem muss man was entgegensetzen.
Die Ampel wird, nach aktuellen Umfragen, keine Mehrheit mehr bekommen. Für eine Koalition aus SPD und Grünen wird es auch nicht reichen. Die Union hat die Grünen zum Hauptfeind in der Ampel erklärt und Markus Söder eine Koalition mit den Grünen ausgeschlossen. Letzteres kann sich schnell ändern. Sie selbst haben aber auch gesagt, dass Sie von der Union nicht viel halten. Dann bleibt für Grün nicht mehr viel übrig. Was reizt Sie, im Bundestag Oppositionspolitik zu machen?
Wellenreuther: Ich halte es für vermessen, vor Wahlen zu sagen, dass ich das eine will und das andere nicht. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden, was möglich ist. Danach führen wir Gespräche. Ich halte die von Friedrich Merz geführte CDU, so wie sie im Moment auftritt, für populistisch. Für mich ist es aktuell schwer vorstellbar, mit solch einer Union vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Wenn die Grünen in die Opposition müssten, dann müssen wir das akzeptieren. Ich weiß aber, dass die derzeitige Opposition kein Vorbild ist. Natürlich wäre ich aber bereit, mit der Grünen-Fraktion weiterhin Regierungsverantwortung zu übernehmen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nina Wellenreuthers Kandidatur für Mannheims Grüne ist ein logischer Schritt