Mannheim. Insekten sind Extremsportler, Überlebenskünstler und geniale Erfinder. So kann eine Ameisenart auf Fußspitzen über 65 Grad heißen Wüstensand rennen. Bestimmte Prachtkäfer fliegen mühelos durch Waldbrände und pflanzen sich dort sogar fort. Für diese wundersame Welt möchte Jürgen Tautz möglichst viele Menschen interessieren. Daher hat der Biologie-Professor gemeinsam mit seinem Kollegen Werner Gnatzy das Buch „Insekten - Erfolgsmodelle der Evolution“ veröffentlicht. Auf der Mannheimer Bundesgartenschau stellt er es am Freitag, 30. Juni, vor.
Die Faszination für Insekten hat Jürgen Tautz bereits als Kind gepackt. „Schon als kleiner Junge habe ich sie gerne in ein Glas gesetzt und beobachtet“, erzählt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Als Wissenschaftler begeisterte ihn später, dass keine Tiergruppe im Lauf der Erdgeschichte eine größere Vielfalt hervorgebracht hat und die Insekten alle Lebensräume für sich erobern konnten. „Im Steinkohlezeitalter - also vor rund 350 bis 280 Millionen Jahren - gab es Riesenlibellen mit einer Flügelspannweite von einem dreiviertel Meter“, erklärt er. Heute leben langbeinige Wanzen auf der Wasseroberfläche im Hochseegebiet oder Flöhe in Gletschern.
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Allerdings geht inzwischen die Zahl der Insekten drastisch zurück. Nach einer 2017 veröffentlichten Studie hat sich die Menge an heimischen Fluginsekten in Deutschland in weniger als 30 Jahren um mehr als 75 Prozent verringert. Gleichzeitig gibt es immer weniger Arten. Und die Tendenz bleibt.
„Dem muss man dringend entgegenwirken. Der Insektenschutz ist kein Luxus für Naturfreaks“, mahnt Jürgen Tautz. Die Lebewesen seien „essenzieller Bestandteil in einer Umgebung, die langfristig unser Überleben sichert“.
Ohne die Tiere und ihre Arbeit als Bestäuber gebe es beispielsweise kein Obst und nur wenig Gemüse. Insekten sind aber auch Nahrungsgrundlage für alle Jungvögel oder können mitunter zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden.
Und viele Zusammenhänge aus der Welt dieser besonderen Tiergruppe müsse der Mensch erst noch verstehen lernen, um sie für sich nutzbar zu machen, betont der Biologe. So haben Wissenschaftler entdeckt, dass Insekten antibakterielle Stoffe im Blut haben. „Das könnte uns zum Beispiel im Kampf gegen multiresistente Bakterien helfen, die uns derzeit gewaltig Sorgen bereiten“, meint Jürgen Tautz.
Aber was hat die Insekten so dezimiert? „Ganz einfach: die Umgestaltung der Welt durch uns Menschen. Das Anlegen von Monokulturen etwa, der Einsatz von Maschinen und Giften beim Produzieren von Lebensmitteln“, sagt der Fachmann. An einem „Bauern-Bashing“, wolle er sich jedoch nicht beteiligen, macht Jürgen Tautz deutlich. „Die Landwirte erfüllen die Wünsche, die von uns an sie herangetragen werden - alles soll immer möglichst günstig sein.“
Als Aufklärung gedacht
Und nun? „Wir müssen unseren Lebensstil, unsere Essensgewohnheiten überdenken und ändern“, erklärt der Experte. Zudem brauche es von der Politik Anreize, dass Landwirte zugunsten der Natur und der Insekten arbeiten können und damit ihr Auskommen haben. Dabei reiche es nicht, wenn einzelne ihre Produktionsweise umstellen. „Viele, wenn nicht gar alle, müssen dabei mitmachen.“
Jammern oder Katastrophen an die Wand malen wolle er nicht, betont Jürgen Tautz. „Unser Buch soll Aufklärung leisten und die Leserinnen und Leser staunen lassen.“ Dazu würden vor allem die Fotos von Werner Gnatzy beitragen, die dieser über viele Jahre hinweg mit großem technischem Aufwand angefertigt habe. Mit Hilfe des Elektronenmikroskops nehme er die Betrachtenden mit in eine „unglaubliche Parallelwelt“, schwärmt Jürgen Tautz. In die der farbenprächtigen Schmetterlinge. In die der Honigbiene mit 20 000 Sinneszellen in ihren Fühlern. Oder in die der Blattschneiderameise, die lange vor den Menschen eine Art Elektromesser nutzte.
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