Mannheim. Oberbürgermeister Christian Specht hat alle bisherigen Träger der „Meile der Religionen“ zu einem Gespräch eingeladen. Da wolle er „ausloten, wie wir gemeinsam die Voraussetzungen schaffen können, dass in Mannheim bald wieder eine Meile der Religionen unter Beteiligung von Vertretern aller abrahamitischen Glaubensgemeinschaften stattfinden kann,“ kündigte das Stadtoberhaupt an. Zuvor war die für Dienstagabend vorgesehene Großveranstaltung, aus der sich bereits die Moschee am Luisenring und dann noch die Jüdische Gemeinde verabschiedet hatten, endgültig abgesagt worden.
„Ich bedauere sehr, dass die Veranstalter die Meile der Religionen abgesagt haben“, reagierte der Oberbürgermeister darauf. Nach der aktuellen Eskalation der Gewalt im Nahen Osten seien „individuelle Sicherheitsbedenken natürlich nachvollziehbar“, auch wenn für diesen Abend „keine konkreten Bedrohungen bekannt“ gewesen seien. Aber gerade in der aktuellen weltweit konfliktgeladenen Situation sei es „umso wichtiger, dass in Mannheim alle Nationalitäten und Religionen auch weiterhin miteinander im Dialog bleiben, um das traditionell friedliche und tolerante Zusammenleben in unserer Stadt zu erhalten“, erklärte Specht.
Am Freitagabend hatte das „Forum der Religionen“ das Begegnungsfest „schweren Herzens“, wie es hieß, komplett abgesagt. Bereits am 18. Juni verzichtete die Jüdischen Gemeinde auf eine Teilnahme. Sie begründete dies mit den „aktuellen Ereignissen im Nahen Osten und Mittleren Osten“. Man wolle ausschließen, dass das Jüdische Gemeindezentrum in F 3 in den Fokus von Protestaktionen gerate, so die Begründung. Gerade weil der Jüdischen Gemeinde die Meile als Zeichen des Zusammenhalts der Religionen in Mannheim so wichtig sei, habe man „im Interesse der Sicherheit aller so entschieden“, auch wenn man das als schmerzhaft empfinde.
Bunt gedeckte Tafel wäre viel kürzer geworden
Danach hätte sich die lange, bunt gedeckte Tafel nur noch von der evangelischen CityKirche Konkordien in R2 bis zum Haus der Katholischen Kirche (F2) erstreckt. Es war aber immer noch davon die Rede, dass sich 30 Gemeinden, Vereine und Einrichtungen der im Forum vertretenen Religionsgemeinschaften für rund 60 Tische angemeldet hätten - was aber schon deutlich weniger als die früher 100 Tische gewesen wäre.
Schon vor Monaten entschied nämlich die DITIB-Gemeinde der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee - und damit Mannheims größte, vor allem von Türken besuchte Moschee - ihre Teilnahme zurückzuziehen und ihre Mitgliedschaft im Forum ruhen zu lassen. Auch die Faith-Moschee in der Böckstraße arbeitet im Forum nicht mehr mit. Die Türkisch-Islamische Gemeinde erklärte, sie fühle sich von Talat Kamran nicht mehr vertreten. Der Politikwissenschaftler und Historiker ist seit 1996 Leiter des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiöse Arbeit, das in Zusammenhang mit dem Bau der großen Moschee im Jungbusch entstand. Es begleitete damals die Planungs- und Realisierungsphase der Moschee, sorgte für intensiven Dialog zwischen dem Islam und Vertretern der Christen und Juden. Dafür trat er auch im Forum ein, aber von ihm fühlte sich die DITIB-Moschee plötzlich nicht mehr vertreten.
Da nun in Summe zu viele Gruppen nicht teilnehmen, ist sie als Einladung an die gesamte Stadtgesellschaft nicht aufrecht zu erhalten
Aber nach dieser lange bekannten Absage und dem Rückzug der Jüdischen Gemeinde schrumpfte der Teilnehmerkreis nun noch weiter. Nach „MM“-Informationen zogen die Arabische und die Bosnische Moschee ihre Beteiligung zurück. Es wären dann nur noch evangelische und katholische Christen, Alt-Katholiken, Aleviten und die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde dabei gewesen.
Der katholische Stadtdekan Karl Jung wollte auf Anfrage nicht sagen, wer nun noch absagte. In der offiziellen Erklärung heißt es nur, „die aktuelle gesamtpolitische Lage“ erschwere es inzwischen nicht nur der Jüdischen Gemeinde, „sondern mehreren anderen Gruppen, mit einem sicheren und unbeschwerten Gefühl an der Veranstaltung teilzunehmen und Gäste dazu einzuladen – trotz des umfassenden Sicherheitspakets.“ Die „Meile der Religionen“ sei ein Gemeinschaftsprojekt, das von vielen Schultern getragen werde. „Da nun in Summe zu viele Gruppen nicht teilnehmen, ist sie als Einladung an die gesamte Stadtgesellschaft nicht aufrecht zu erhalten“, weshalb sie „unter diesen Umständen nicht stattfinden“ könne.
Idee erstmals zum Stadtjubiläum 2007 realisiert
Jung sagte nur, es seien „keine christlichen“ Gruppen, die abgesagt hätten. Man wolle aber „keine Schuldzuweisungen“ oder jemanden öffentlich benennen, denn dies sei der „weiteren Zusammenarbeit nicht förderlich“. Ziel sei, sich im „Forum der Religionen“ baldmöglichst zusammenzusetzen, die Ereignisse zu reflektieren und „auf jeden Fall“ wieder eine „Meile der Religionen“ zu organisieren. Darauf hofft auch Ralph Hartmann, der evangelische Dekan. „Ich bedauere die Absage sehr“, so Hartmann, und er könne Sicherheitsbedenken nicht ganz nachvollziehen. Man sei in ständigem Kontakt mit der Polizei gestanden, es habe „keine konkrete Bedrohungslage gegeben, und das ist jetzt nicht anders als vor acht Wochen“. Da „immer irgendwo etwas ist in der Welt“ frage er sich, „wie wir dann noch irgendwann mal dieses Fest der Begegnung machen wollen“.
Das „Forum der Religionen“ trat erstmals zum Stadtjubiläum 2007 zusammen. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde, die Jüdische Gemeinde sowie einige der Moschee-Gemeinden der Quadratestadt richteten damals zum ersten Mal die „Meile der Religionen“ aus.
Das gemeinsame Fest erstreckte sich entlang der alten Kirchenstraße von der evangelischen Citykirche Konkordien vorbei an der katholischen Marktplatzkirche in F 1 bis zum Jüdischen Gemeindezentrum in F 3. 400 ehrenamtliche Helfer und Schüler errichteten dort eine rund 400 Meter lange Tafel aus über 100 Tischen, auf denen Spezialitäten verschiedener Kulturen angeboten und die Möglichkeit zum Gespräch gegeben war. Trotz Dauerregen kamen zur Premiere 3000 Gäste.
Meile der Religionen in Mannheim - bundesweit einzigartig und mehrfach wiederholt
Diese bundesweit einzigartige Meile wurde seither mehrfach wiederholt und bis zur Moschee im Jungbusch ausgeweitet: 2009, 2013, 2016 und zuletzt 2019, dann mit 4000 bis 5000 Gästen, die gemeinsam gegessen und zum Abschluss miteinander gebetet haben. Auch darüber hinaus hat sich das Forum als feste Größe etabliert, etwa beim interreligiösen Gebet für die Toten der Corona-Pandemie oder bei gemeinsamen Auftritten gegen Terror und Krieg.
2022 wurde die Meile angesichts des Kriegs in der Ukraine und an anderen Orten auf der Welt abgesagt und durch ein gemeinsames Gebet auf dem Marktplatz ersetzt. 2024 sollte es einen erneuten Anlauf geben, der wegen des Kriegs in Nahost scheiterte. Zum Jahresende 2024 gab es im Forum aber „das klare Votum, dass wir es wieder gemeinsam machen wollen“, so damals der katholische Dekanatsreferent Matthias Leis. Es gebe „eine erhebliche Sehnsucht, wieder etwas gemeinsam zu machen – gerade in dieser schwierigen Zeit“, so Leis.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Religionen in Mannheim: Das Einvernehmen ist vorbei