Mannheim. Der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel hat schon die Auswirkungen von Fluglärm auf das Herz-Kreislauf-System erforscht. Derzeit läuft eine Studie zu den Folgen von Schienenlärm. Im Interview erklärt der Mediziner, wie hohe Geräuschpegel den Körper schädigen.
Herr Münzel, warum kann Bahnlärm krank machen?
Thomas Münzel: Zum einen können sehr hohe Lärmpegel mit mehr als 100 Dezibel direkt das Gehör schädigen. Mittlere Schallpegel zwischen 50 und 70 Dezibel stören die Kommunikation und den Schlaf. Diese emotionalen Punkte können Ärgerreaktionen auslösen – und wenn diese dauerhaft sind, können sie zu Stress führen. Der zeichnet sich durch erhöhte Spiegel von Cortisol oder anderen Stresshormonen aus. Wenn ich diesen Stress chronisch habe, bildet der Körper Risikofaktoren aus: Die Werte von Cholesterin und Blutzucker gehen hoch, der Blutdruck steigt. Und hält diese Situation über Jahre an, kann sie zu Erkrankungen führen: Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen. Diese kausale Kette ist recht gut belegt.
Und sie fängt mit psychischen Belastungen an?
Münzel: Genau, das Gehirn ist unser Rezeptor für den Lärm. Vor allem nächtlicher Lärm ist das Problem. Kurzer Schlaf und die dauernde Unterbrechung des Schlafes sind zwei ganz wichtige Risikofaktoren.
Unterscheiden sich die möglichen Beeinträchtigungen von denen bei Flug- oder Autolärm?
Münzel: Im Schlaflabor hat sich gezeigt: Fluglärm nervt am meisten, gefolgt von Straßen-, gefolgt von Schienenlärm. Hier im Rheintal etwa werden aber über den Bahnverkehr nachts Spitzenwerte von bis zu 100 Dezibel erreicht. Diese Werte sind teils dramatisch höher als die, die der Fluglärm erreicht. Bahnlärm ist für die direkten Anwohner extrem laut, hinzu kommen noch die Erschütterungen. Flug- und Bahnlärm sind sich durchaus ähnlich: Es gibt in beiden Fällen ein An- und Abschwellen des Lärms, kein Grundrauschen wie etwa an einer Autobahn.
Kann denn ein Gewöhnungseffekt eintreten?
Münzel: Im Gegenteil. Wir haben an Medizinstudenten untersucht, wie Fluglärm die Gefäßfunktion beeinflusst. Ihnen wurden nachts über einen MP3-Player Überflüge vorgespielt. Interessant ist: Wenn die Studenten schon einmal eine Nacht mit 30 Flügen erlebt hatten, hat sich die Gefäßfunktion vor einer Nacht mit 60 Flügen verschlechtert. Bei Studenten, die gleich bei einer Nacht mit 60 Flügen eingestiegen waren, gab es deutlich weniger negative Effekte. Das spricht dafür, dass die Gefäße durch eine dauerhafte Schallbelastung eher sensibilisiert werden.
Wird Ihrer Einschätzung nach genügend für den Gesundheitsschutz von Anwohnern getan?
Münzel: Am Frankfurter Flughafen gilt ja ein Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr. Die Frage ist: Wie kann es sein, dass der Gesetzgeber es zulässt, dass bei der Bahn komplett anders gedacht wird? Durch das Rheintal brettern pro Tag 400 Güter- und 150 Personenzüge, das wird in Mannheim nicht so anders sein. Durch die Öffnung des Gotthardtunnels werden bis zu 80 Züge hinzukommen. Und es gibt – nicht ganz unumstrittene – Schätzungen von Professor Thomas Kaiser, wonach die Belästigungen durch Schienenlärm in den kommenden zehn Jahren zu 75 000 zusätzlichen Krankheitsfällen führen werden, davon 30 000 Todesfälle. Meiner Meinung nach ist es erstaunlich, wie wenig Anwohner von Schienentrassen vor massivem Lärm geschützt werden.
Thomas Münzel
- Thomas Münzel ist seit 2004 Professor für Innere Medizin an der Universität Mainz.
- Der Leiter des Zentrums für Kardiologie am dortigen Uniklinikum ist unter anderem Experte für die gesundheitlichen Folgen von Fluglärm und Feinstaub. Für seine Forschungsleistungen zur Kardiologie hat er mehrere Preise bekommen.
- Derzeit leitet er eine Studie, die bis Mitte 2018 die Frage klären soll, ob Bahnlärm zu Gefäßschäden führen kann.
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