Mannheim. Ein „Mann mit der goldenen Sohle“ wird gejagt. Wer ihn entdeckt und unter seinen Füßen die gold bestrichene Sohle erkennt, erhält 50 D-Mark in bar. Eine Weinkönigin hält Hof, Indianer knallen mit Peitschen, entzünden ein Lagerfeuer und schwingen das Lasso und schließlich drehen sich drei Tage lang jeweils drei Ochsen am Spieß, von denen nicht ein Stückchen Fleisch übrig bleibt. So wird vor 50 Jahren die Eröffnung der Fußgängerzone auf den Planken gefeiert, woran Einzelhandel und Stadt jetzt mit einem Erlebniswochenende und einem verkaufsoffenen Sonntag erinnern.
„Sollen die Planken Kurpromenade werden?“ Diese provokante Frage stellen die Einzelhändler zunächst, als die Idee einer autofreien Einkaufsmeile aufkommt. Sie lehnen den Gedanken massiv ab. Schon beim Wiederaufbau 1948 wird bei einem städtebaulichen Wettbewerb eine Fußgängerzone vorgeschlagen – damals von dem Mannheimer Architekturbüro Lange/Mitzlaff. Doch das wird schnell verworfen, man plant lieber die autogerechte Stadt und will den Verkehr direkt im Herzen der City haben. Auch als die Idee 1962 erneut diskutiert wird, ist sie nicht mehrheitsfähig.
Erst im Vorfeld der Bundesgartenschau 1975, als die ganze Stadt in Aufbruchstimmung ist, entschließt sich der Gemeinderat, die Pläne umzusetzen. Den Ausschlag gibt, dass der Handel selbst den immer mehr entstehenden Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“ etwas entgegensetzen will: eine attraktive Innenstadt. Der Einzelhandelsverband wird unter seinem Präsidenten Emil Kübler vom Gegner nicht nur zum starken Befürworter: Der Verband sagt sogar zu, sich mit 100.000 D-Mark an der Finanzierung zu beteiligen.
Lampen, Vitrinen und Kioske werden neu entworfen
Im Dezember 1973 fällt die Entscheidung im Gemeinderat, im Mai 1974 beginnen die Bauarbeiten, die knapp ein Jahr später fertig sein sollen. Das ist knapp, aber gelingt. Denn es geht nicht nur darum, dass die Autos – nicht jedoch die Straßenbahnen – verschwinden. Die Bauarbeiter bringen auch einen völlig neuen Straßenbelag – Pflaster im Umfang von drei Fußballfeldern – auf und schaffen einen, wie es die Planer formulieren, „architektonischen Rhythmus von Bäumen, Leuchten, Überdachungen, Bänken, Kiosken, Vitrinen und Pflanzbeeten.“
Davon wird fast alles neu und eigens für Mannheim entworfen. Das betrifft etwa die dreiarmigen Kugelleuchten, Bänke, Pflanzgefäße, 24 gläserne Vitrinen zur Warenpräsentation, drei Uhren auf langen stählernen Masten, 18 fest installierte Fahnenmasten sowie vier Kioske. Eigens ausgewiesen werden sechs Plätze für fliegende (Gürtel-)Händler. Von der Stadt zunächst noch als „liebenswerte Farbtupfer“ bezeichnet, lehnen die Einzelhändler sie von Beginn an ab. In den 2000er Jahren werden sie als zunehmend so störend empfunden, dass die Stadt sie nicht mehr genehmigt.
Längst verschwunden – und teilweise auch enorm umstritten – sind die auf den Planken platzierten Kunstwerke. Das gilt insbesondere für die im Volksmund bald „Knick-Ei“ getaufte weiße Plastik „Paysage Architectural Mannheim“ von Günter Ferdinand Ris oder Joachims Schmettaus „Pflanzen“, als „Elefantenfriedhof“ verspottet. Nur der Kugelbrunnen („Knödelbrunnen“) von Klaus Hermann mit blauen und grünen Kunststoffkugeln am Strohmarkt erfreut sich lange großer Beliebtheit. Neu für Mannheim sind jetzt richtige Straßencafés. Vorreiter ist Teppich Engelhardt, dessen Dach von seinem „Tee-Eck“ Elemente seiner charakteristischen, an Webkunst erinnernden und denkmalgeschützten Metallfassade von dem Ludwigshafener Maler Ernst W. Kuntz aufgreift.
Zur Einweihung ist alles mit prächtigem Blumenschmuck versehen. Gesprochen wird nicht allein davon, dass man die Haupteinkaufsstraße attraktiver gemacht habe. Gar vom Zeichen einer „humanen Stadt“ und – unter Anspielung auf Berlin – dem „Mannheimer Kudamm“ ist die Rede und davon, die Fußgängerzone werde zum „Treffpunkt der Bürger“. Und Architekt Hans Mitzlaff rühmt sich, dass er an der „Rückgabe der Planken an den zu Fuß gehenden Bürger“ mitwirken durfte.
Die Einweihung ist tatsächlich „Das ganz große Ereignis“, wie ein – von Hand gemaltes – Plakat am Kaufhaus Hertie in E 1 verkündet. Die Polizei schätzt, dass trotz Regen (!) über 10.000 Menschen dabei sind, als Oberbürgermeister Ludwig Ratzel mit einer Schere das (wegen der Bundesgartenschau) grüne Band durchschneidet und damit symbolisch die Fußgängerzone freigibt. Er benutzt die Schere aus dem Fundus der Stadt, die auch bei der Einweihung der Konrad-Adenauer-Brücke zum Einsatz gekommen war.
110.000 Mark lässt sich die neu formierte, von Paul Kunze geführte Werbegemeinschaft Mannheim City das dreitägige Fest in und um die Planken kosten. Es erstreckt sich auch auf die Breite Straße, obgleich da noch Autos fahren – die Fußgängerzone dort wird erst 1977 bis 1979 geschaffen. Es gibt Freibier, dessen Fässer wegen des großen Andrangs die Polizei absichern muss. Das Musikkorps der Landespolizei sowie das Luftwaffenmusikkorps Karlsruhe spielen, eine türkische Tanzgruppe tritt auf, koreanische Karatekämpfer ebenso wie Künstler des Nationaltheaters, es gibt einen Kettcar-Grand-Prix für Kinder und eine Torwand. Wer gut trifft, bekommt eine Urkunde mit der Unterschrift von Seppl Herberger, Fußball-Bundestrainer und Bloomaul.
Drei Feuerwerke und ein Indianerlager auf dem Paradeplatz
Von gleich drei Kaufhaus-Dächern wird ein Tagesfeuerwerk abgeschossen – vom Horten in N 7, vom Kaufhof in P 1 und vom Karstadt in K 1. Die Kaufhalle kippt dafür Eimer voller Bälle über dem Publikum aus, die begeistert aufgefangen werden.
Zur Feier des Tages gehört damals auch ein bisschen Exotik: Indianer und Trapper haben ihr Lager am Paradeplatz – im Hintergrund das noch unbebaute, als Parkplatz dienende Quadrat N 1 – aufgeschlagen. Sie kommen vom auf der Maulbeerinsel ansässigen Indian Osagen Club Mannheim, der schon seit den 1950er Jahren die Geschichte und Lebensweise der nordamerikanischen Ureinwohner pflegt. Jetzt tanzen und trommeln sie in der City, schwingen Lassos und lassen Peitschen knallen.
Auch soziales Engagement zeigen die Händler der Innenstadt. Zugunsten der Aktion „Wir wollen helfen“ des „Mannheimer Morgen“ organisieren sie eine Tombola mit 600 Preisen im Wert von über 10.000 D-Mark. Die Liste der Spender liest sich wie ein Who-is-who der Mannheimer Geschäftswelt, doch kaum einer der Läden von Bazlen über Manz, Eisinger, Kunze bis zu Marquet und Mages existiert noch. Die 6000 Lose sind, auch dank der Hilfe der Bundesgartenschau-Hostessen in ihren knallgelben Kostümen, binnen drei Stunden restlos ausverkauft. 12.000 D-Mark sind der Erlös für „Wir wollen helfen“.
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