Stadtgeschichte

Vor 50 Jahren: Richtkranz am Fernmeldeturm Mannheim - und seine Probleme

Am 5. Juni 1974 wird das Richtfest gefeiert - und schon da ist man sich uneins, ob es Fernmeldeturm oder Fernsehturm Mannheim heißt. Vor fast 30 Jahren prallte ein Hubschrauber gegen seine Spitze

Von 
Peter W. Ragge
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Richtfest vor 50 Jahren am Fernmeldeturm, am Rednerpult Oberbürgermeister Ludwig Ratzel. © marchivum

Mannheim. 14 Monate lang ist es die höchste Baustelle der Region, dann ist das höchste Bauwerk der Region fertiggestellt: Am 5. Juni 1974, vor 50 Jahren, schwebt der sechs Meter hohe und zehn Zentner schwere Richtkranz aus mit Tannenzweigen geschmücktem Stahlrohr am Fernmeldeturm. „Großes Bauwerk, große Ehr“, sagt dazu der Polier, als der Rohbau des Turms eine Höhe von 204 Metern erreicht hat.

„Die Stadt hat jetzt einen Höhepunkt“, freut sich Oberbürgermeister Ludwig Ratzel über die neu entstandene „wertvolle Fremdenverkehrsattraktion“, die zugleich „Symbol für die Lebenskraft der Stadt“ sei. Und er legt quasi den Grundstein für einen bis heute immer mal wieder passierenden Fehler: „Wir sind weitblickende Leute, wollen in die Ferne sehen und schauen, was sich dort ereignet“, sagt Ratzel über die Mannheimer, und da man vom Turm weit sehen könne, wolle er ihn Fernsehturm nennen.

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Korrekt und offiziell ist es indes ein Fernmeldeturm – denn der Turm wird nicht für Fernsehsender gebaut, sondern für das, was man damals Fernmeldewesen oder „die graue Post“ (heute Telekom) nennt. Die will schon seit den 1960er Jahren zur Verbesserung der Richtfunkverbindungen einen Turm entweder auf dem Gelände der damals als Fernmeldeamt genutzten Lanz-Villa, an der Autobahneinfahrt oder im seinerzeit neuen Gewerbegebiet Wohlgelegen errichten.

Schon lange ist eine komplette Sanierung des Turms fällig

Anfangs ist die Stadt dagegen, weil ein solcher Turm das Stadtbild störe – doch die für 1975 geplante Bundesgartenschau sorgt für einen Meinungsumschwung. Im Rathaus erkennt man, dass ein derartiges Bauwerk eine Attraktion werden könnte. So kommt der Standort in der Nähe des Luisenparks zustande – mit der Ergänzung um ein Drehrestaurant sowie einer Aussichtsplattform.

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Freilich erweist sich der Baugrund in der Nähe des Neckars als problematisch. Schon vor der Grundsteinlegung am 10. April 1973 laufen daher aufwendige Gründungsarbeiten. Dabei werden 160 Beton-Pfähle in sechs Ringen unter einer drei Meter dicken Fundamentplatte bis zu neun Meter in die Erde getrieben. Danach wächst der Betonschaft, der anfangs 60 Zentimeter Wandstärke hat und sich dann auf bis zu 25 Zentimeter verjüngt, relativ schnell in die Höhe, etwa 1,50 Meter pro Tag. Dafür wird aber auch im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet, damit bis zur Bundesgartenschau alles fertig ist.

Auch die Bundespost drängt, sie will bis zu 23 000 neue Richtfunkverbindungen gleichzeitig mit dem Turm herstellen. Dafür gibt es über dem Aussichtsgeschoss auf 120,9 Metern und dem Restaurant auf 124,7 Metern ein Betriebsgeschoss, drei Antennenplattformen und danach die Antennenspitze. „Eines der schönsten Bauwerke“ Mannheims“ sei es, sagt zumindest Oberbürgermeister Ludwig Ratzel beim Richtfest. In den 1970er Jahren hat der Turm auch den Namen „Langer Ludwig“, doch das verblasst, je mehr Ratzel und seine Verdienste um die Bundesgartenschau in Vergessenheit geraten.

Fernmeldeturm Mannheim: Bundeswehr-Hubschrauber prallt gegen Spitze

Über 30 Millionen D-Mark werden seinerzeit als Baukosten für den von der Stuttgarter Architektengemeinschaft Heinle, Wischer und Partner geplanten Turm angegeben – plus die technischen Einrichtungen der Bundespost, die weitere Millionen erfordern. Als Bauträger und Investor fungiert die Gewerbebau GmbH, eine Tochter des damaligen gewerkschaftseigenen Baukonzerns Neue Heimat. Post und Stadt sind zunächst nur Mieter. 1983 kaufen die Post (heute die Telekom-Tochter Deutsche Funkturm) und – zu zehn Prozent für die öffentlichen Bereiche – die Stadt für die Stadtpark-Gesellschaft das Bauwerk.

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Seit immer mehr Glasfaserkabel verlegt werden, hat der Turm seine ursprüngliche Funktion als Antennenträger für Richtfunkstrecken, ISDN, Bildschirmtext und Cityruf weitgehend verloren. Inzwischen wird er auch für das digitalterrestrische Fernsehen und Radio genutzt.

Am 5. Dezember 1994 prallt ein Rettungshubschrauber der Bundeswehr an die Turmspitze, stürzt ab und brennt aus. Alle vier Besatzungsmitglieder sterben. An sie erinnert ein kleines Denkmal, von Pflanzen und Bäumen umgeben, am Fuß des Turms. Die danach installierte neue Antenne ist mit einem auffallenderen rot-weißen Anstrich und mit einer neuen Flugsicherheitsbefeuerung versehen. Seit einer Antennenaufstockung 2016 hat der Turm eine Gesamthöhe von 217,8 Metern und ist damit nicht nur das höchste Gebäude der Stadt, er gehört auch zu den höchsten Fernmeldetürmen der Republik – höher als Stuttgart.

 Zur Buga: Fernmeldeturm Mannheim erhält neue Aufzüge 

2014 müssen Höhenretter der Feuerwehr eine der großen Glasscheiben, die sich rund um das Restaurant ziehen, kontrolliert zum Absturz bringen, weil sie zuvor plötzlich in Tausende kleiner Einzelteile zersplittert ist. Erst 2016 kann sie, da es sich eine Einzelanfertigung handelt, ersetzt werden.

Kurz vor der Bundesgartenschau 2023 werden die beiden Aufzüge, für die es keine Ersatzteile mehr gibt, sowie Stromleitungen ausgetauscht. 2,2 Millionen Euro kostet das die Stadt. Zeitweise arbeiten Industriekletterer sogar nachts im engen Turmschaft, um den Zeitplan einzuhalten. Eigentlich steht schon lange eine komplette Sanierung des Turms an, da Haustechnik und Brandschutz nicht mehr aktuellen Normen entsprechen. Wann die Stadt das angeht und wie es finanziert werden soll, ist völlig offen. Der Pachtvertrag mit dem Restaurantbetreiber läuft nur noch bis Ende 2024.

Redaktion Chefreporter

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