Mannheim. Eigentlich, könnte man meinen, ist ein Stadtteilfest eine gute Gelegenheit, Differenzen - persönlicher oder politischer Natur - beim gemeinsamen Feiern auf der Bierbank auszuräumen. Vielleicht hatten einige diese Hoffnung auch während des Stadtteilfests am vergangenen Wochenende auf dem Rheinauer Marktplatz. Erfüllt hat sich die allerdings nicht. Im Gegenteil: Nach einer Falschinformation über ein vermeintliches Treffen der Jungen Alternative (JA) im Nachbarschaftshaus dürften sich die Gräben zwischen AfD und linkem Lager vertiefen. Fragen und Antworten dazu.
Was ist am Wochenende auf der Rheinau passiert?
Der Streit dreht sich um eine Veranstaltung, die am Samstagabend im Nachbarschaftshaus stattgefunden hat. Mehrere Menschen, darunter auch Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen, berichten dieser Redaktion zu Wochenbeginn etwa, dass ihnen am späten Nachmittag eine „Gruppe junger Männer mit Springerstiefel und Shirts mit entsprechenden Aufdrucken“ begegnet sei, die aus Richtung Nachbarschaftshaus zum Marktplatz gelaufen sei. Auf dem dortigen Fest sollen sie Flyer der rechtsextremen Partei III. Weg verteilt haben. Ein Flyer liegt auch dieser Redaktion vor.
Was ist dann passiert?
Besucherinnen und Besucher sollen die Männer gebeten haben, das Fest zu verlassen. Dem kamen die Männer nach. Dem Vernehmen nach haben sie danach Flyer in umliegende Hausbriefkästen eingeworfen.
Warum gibt es nun Streit?
Mehrere Besucherinnen und Besucher des Fests, darunter Mitglieder von SPD und Grünen, sollen nach der Begegnung mit den Rechtsextremen ans Nachbarschaftshaus gelaufen sein, aus dessen Richtung die Männer kamen. Übereinstimmend berichten sie von einem Gespräch vor dem Haus mit einem Polizisten, der ihnen - so stellt es die Gruppe dar - erklärt haben soll, im Haus finde ein Treffen der Jungen Alternative (JA) statt, der Nachwuchsorganisation der AfD. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) stuft die JA als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, das Bundesamt als gesichert rechtsextrem. Ohne diese Info offiziell bestätigen zu lassen, verbreitet sich in den folgenden Tagen die Nachricht vom JA-Treffen. Man habe die Aussage des Polizisten als offizielle, verlässliche Info verstanden, heißt es aus der Gruppe. Auch ein Zusammenhang des Treffens mit jenen Männern, die die Flyer des III. Wegs verteilt haben, wird dabei, etwa in einer Mitteilung der Grünen-Gemeinderatsfraktion vom Dienstag, insinuiert.
Hat sich die Junge Alternative im Nachbarschaftshaus getroffen?
Nein. Der Vorsitzende der Mannheimer AfD, Rüdiger Ernst, erklärt am Donnerstag dieser Redaktion, sein Kreisverband - und nicht die JA - habe die Veranstaltung mit der Bundesvereinigung Juden in der AfD ausgerichtet, die 2018 von jüdischen AfD-Mitgliedern gegründet worden ist. Der Zentralrat der Juden und andere jüdische Verbände hatten die Gründung damals kritisiert. Zum Nachweis der Veranstaltung gewährt Ernst einen Einblick in den Vertrag zwischen der Mannheimer AfD und dem Trägerverein Rheinau, der für die Vermietung zuständig ist. Laut Ernst wurde bei dem parteiintern beworbenen Treffen über die Situation von Juden in Deutschland vor dem Hintergrund einer „unkontrollierten Masseneinwanderung“ und dem „muslimischen Antisemitismus“ diskutiert. Ihm zufolge haben an der Veranstaltung 40 bis 50 Menschen teilgenommen.
Darunter auch Mitglieder der JA oder des III. Wegs?
Ernst verneint das. Auch ein Sprecher des Landesvorstands der JA erklärt dieser Redaktion, ihm sei keine solche Veranstaltung an diesem Wochenende bekannt, und ihm sei auch kein Mitglied bekannt, das an einer Veranstaltung in Mannheim-Rheinau teilgenommen habe. „Mit dem III. Weg hat die AfD sowieso nichts zu tun“, sagt Ernst. „Hier besteht der Versuch von außen, die Mannheimer AfD mit solchen Gruppen in Verbindung zu setzen.“
Auch das LfV hält eine Beteiligung des III. Wegs für unwahrscheinlich. Zwischen AfD und JA auf der einen Seite und dem III. Weg auf der anderen Seite gebe es „aufgrund großer ideologischer Unterschiede“ kaum inhaltliche Verbindungen, erklärt ein Sprecher. So werden AfD und JA der „Neuen Rechten“ zugeordnet - der III. Weg dagegen gilt als neonazistisch-antisemitische Partei. Dass Mitglieder des III. Wegs an einer Veranstaltung teilnehmen, an der „Juden in der AfD“ beteiligt sind, ist daher eher unwahrscheinlich.
Wie wird auf die falsche Information reagiert?
Nachdem am Donnerstag und Freitag die Runde macht, dass es sich beim vermeintlichen JA-Treffen um eine falsche Information handelt, korrigieren die Grünen am Freitagmorgen ihre Pressemitteilung in diesem Punkt. Mit Verweis auf die mutmaßlich von einem Polizisten erhaltene Informationen heißt es darin: „Diese war scheinbar nicht korrekt.“
Lässt sich der mutmaßliche Ursprung der Info verifizieren?
Inhalte des Gesprächs zwischen dem Beamten und der Gruppe zu rekonstruieren, wenn man nicht dabei war, ist kaum möglich. Darauf verweist am Freitag auch ein Sprecher des Präsidiums. Die Pressestelle hatte am Donnerstag auf Anfrage von einem Treffen der AfD - und nicht der JA - berichtet. Ob das aber auch der Beamte am Nachbarschaftshaus so gesagt hatte oder ob dieser sich geirrt hat, ist dennoch völlig offen.
Ist es ein Unterschied, ob JA oder AfD die Halle gemietet hat?
Ja. Die JA ist als Nachwuchsorganisation keine Partei. Noch dazu wird sie bundesweit als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Die AfD hingegen ist eine Partei, die als Verdachtsfall gilt. Hätte die JA die Halle gemietet, wäre die Dimension noch heikler, weil dann die derzeitige Begründung nicht gegolten hätte, dass kommunal getragene Häuser Parteien gleichermaßen zu behandeln hätten.
Warum ist die Falschinfo schnell auf fruchtbaren Boden gefallen?
Dass sich diese Information schnell verbreitet hat, zeugt von der angespannten Stimmung im Stadtteil. Seit Monaten gibt es Diskussionen um die Vermietung des Nachbarschaftshauses. Dort hatte die AfD in diesem Jahr bereits mehrfach getagt - und war auf Gegenproteste gestoßen. Um diese zu vermeiden, hatte die AfD das jetzige Treffen nur parteiintern beworben, sagt Ernst.
Weil das Haus kommunal getragen ist, sich darin noch dazu eine offene Kinder- und Jugendeinrichtung befindet und die AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall gilt, gibt es Kritik an der Vermietung. „Wir fordern weiter, die Vorgänge rund um das Nachbarschaftshaus aufzuklären, insbesondere die Vermietungspraxis an die AfD und die Intransparenz im Kontext dieser Vermietungen“, heißt es am Freitag in der korrigierten Mitteilung der Grünen. Ernst entgegnet: „Eine städtische Halle muss an alle Parteien des Gemeinderats vermietet werden dürfen.“ So wird die nächste Diskussion nicht lange auf sich warten lassen.
Und wer hat die Flyer verteilt?
Die Vermutung liegt nahe, dass Mitglieder des III. Wegs die Flyer verteilt haben. Eine Anfrage dazu ließ die Neonazi-Partei aber unbeantwortet. So ist offen, ob der III. Weg Tag und Ort wegen des Fests oder dem AfD-Treffen - das parteiintern beworben wurde - bewusst gewählt hat. Dem LfV liegen zudem keine Kenntnisse über Aktivitäten des III. Wegs am Samstag in Mannheim vor. Auch sei die Region auf baden-württembergischer Seite kein Schwerpunkt der Partei, erklärt der Sprecher des LfV.
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