Mannheim. Die den Ortskern von Rheinau-Süd durchziehende Gustav-Nachtigal-Straße soll nach dem mittelalterlichen Weltreisenden Marco Polo benannt werden. Mit diesem einstimmigen Votum folgte der Bezirksbeirat Rheinau am Mittwochabend dem Votum der stadtweiten Bürgerbefragung vom März - auch bezüglich der anderen drei Straßen, die umzubenennen sind.
Der Bezirksbeirat trifft sich drei Tage nach der Kommunalwahl. Zwei Mitglieder, Alice van Scoter von den Grünen und Heinrich Koch von der AfD, schafften dabei den Sprung in den Gemeinderat, drei weitere - Christoph Hambusch (CDU), Markus Schwarz-Riehle (SPD) und Hans Held (FDP) - waren mit ihrer Kandidatur nicht erfolgreich. Unabhängig davon wird sich die Zusammensetzung der Stadtteilvertretung dramatisch verändern. Die AfD holte auf der Rheinau mit mehr als 22 Prozent ihr viertbestes Stadtteilergebnis, ist nun zweitstärkste politische Kraft im Vorort - und im Bezirksbeirat.
AfD zweitstärkste politische Kraft im Bezirksbeirat Rheinau-Süd
Doch noch ist er in seiner bisherigen Zusammensetzung im Amt und will daher ein Thema abräumen, das ihn seit zwei Jahren auf Trab hält: neue Straßennamen für Rheinau-Süd. Zahlreiche Bürger sind dabei.
Die Ausgangslage: Die Bürgerbefragung vom März ergab vier Sieger: Marco Polo, Ida Pfeiffer, Georg Balthasar Neumayer und Isabelle Eberhardt - „kein Zufallsergebnis“, wie Holm Neumann vom städtischen Fachbereich Stadtplanung betont: „Der Vorsprung des vierten zum fünften Namen beträgt mehr als 400 Stimmen.“ Zudem entspreche das stadtweite Ergebnis dem in Rheinau-Süd, wie Bürgermeister Ralf Eisenhauer erleichtert feststellt. Insofern empfiehlt er dem Bezirksbeirat die Bestätigung der vier Namen.
Und er schlägt die Verteilung der siegreichen Namen auf die vier Straßen vor, und zwar, dies durchaus im Einklang mit dem Wunsch der Siedlergemeinschaft, so: Die Namen mit den meisten Stimmen erhalten die Straßen mit den meisten Bewohnern: Marco Polo also für Gustav Nachtigal, Ida Pfeiffer für Leutwein, Neumayer (in der Tat ohne Vornamen) für Lüderitz, Isabelle Eberhardt für den Sven-Hedin-Weg, der dabei übrigens zur Straße wird.
Dies ungeachtet dessen, dass das Marchivum in der Verwaltungsvorlage in seiner Bewertung für Neumayer eine „Ergänzung“ vorgenommen hat. „Zweifellos war er von der Idee des Kolonialismus überzeugt“, heißt es dort jetzt, und „Teil des kolonialen Imperialismus, wobei er nach heutigem Kenntnisstand nicht als Rassist auftrat.“
Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte warnt vor einer Benennung nach Neumayer - für die Bezirksbeiräte aber kein Hinderungsgrund. „Da müssen wir jetzt durch“, sagt Hans Held (FDP), auch Chef der Siedlergemeinschaft. Vor Ort müsse Ruhe einkehren: „Das belastet die Leute, die Stimmung wird immer aggressiver.“ Er selbst sei als „Nazi“ beschimpft worden.
Verlängerung der Frist zur Ummeldung liegt im Ermessen des Gemeinderates
Das sei nicht zu tolerieren, betont Eisenhauer wie auch Ulrike Kahlert. „Wir haben tote Ratten am Fenstersims unseres Büros gehabt“, erinnert auch die SPD-Rätin. So will sie ebenfalls „das Thema abschließen, damit Ruhe einkehrt“. Damit wendet sie sich gegen jüngste Kritik: „Ich schätze die Arbeit des Arbeitskreises Kolonialgeschichte durchaus“, versichert sie, „aber sie war für mich an manchen Stellen zu ideologisch.“
Ansonsten ist die Diskussion zukunftsgerichtet. Christoph Hambusch (CDU) fordert die Erstattung der Kosten durch die Stadt - nicht nur für Ummeldungen, deren Übernahme die Verwaltung bereits zugesagt hat, sondern auch für Werbemittel der Gewerbetreibenden.
Held verlangt darüber hinaus bei der Ummeldung praktische Hilfen für die zumeist älteren Bewohner der Siedlung: „Vielleicht kann da Frau Rettenmaier helfen“, meint er unter Anspielung auf die Sprecherin des AK Kolonialgeschichte. Auch die Frist von drei Monaten sei zu kurz.
Eine längere liege im Ermessen des Gemeinderates, erwidert Neumann, etwa auf fünf bis sechs Monate. Auch was die Kostenerstattungen angeht, müsse der Gemeinderat entscheiden. Die Verwaltung wolle keine Regelung nur für Rheinau-Süd, sondern generell für weitere mögliche Straßenumbenennungen im übrigen Mannheim. Bisher gelte die Rechtslage, wonach die Stadt nicht verpflichtet sei, über Ummeldungen bei sich hinaus Kosten zu erstatten.
Mit dem Sachstand sind die zahlreichen Bürger offensichtlich zufrieden. In der Bürgerrunde kommt nur eine Frage auf: Eine ältere Dame möchte wissen, ob sie in ihrem Testament ihre Adresse aktualisieren müsse; das sei nicht der Fall, heißt es.
Die einzige Schärfe kommt bei der Wortmeldung von Jörg Finkler auf. Der AfD-Stadtrat spricht von einer „Riesensauerei“, in Gang gesetzt von „ein paar wenigen ideologisch gesteuerten Menschen“. Der Beifall des Publikums ist laut, leiser dagegen für Bürgermeister Eisenhauer, als der Finklers Formulierungen ruhig zurückweist: „Ich bin nicht Ihrer Meinung“. Andersdenkende als „ideologisch gesteuert“ zu bezeichnen, diskreditiere diese: „Das ist der Anfang vom Ende einer guten Auseinandersetzung in der Demokratie.“
Das jetzige Votum des Bezirksbeirats geht in den Hauptausschuss, wo es am 4. Juli beraten wird, am 11. Juli in den (noch „alten“) Gemeinderat, der dann endgültig entscheidet.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/rheinau-hochstaett_artikel,-rheinau-hochstaett-strassennamen-rheinau-sued-marco-polo-statt-gustav-nachtigal-_arid,2215657.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/rheinau-hochstaett.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Erinnerungskultur Gut, dass die Straßennamen-Debatte in Rheinau bald endet