Mannheim. Ganz so leicht, wie man es hätte vermuten können, hat es Melis Sekmen nicht. Sie selbst hatte in die Kunsthalle eingeladen, um eine Halbzeitbilanz der Ampel zu ziehen. Wer aber gedacht hatte, ihre Gäste - der Journalist Peter Frey und die Politologin Andrea Römmele - würden die Veranstaltung im vollen Auditorium als Wohlfühl-Diskussion gestalten, sah sich getäuscht.
Journalist Peter Frey: „Für die Ampel ist die Versetzung akut gefährdet“
Von Moderator und RNF-Journalist Ralph Kühnl nach einem Zwischenzeugnis gefragt, stellt der langjährige ZDF-Chefredakteur Frey zwar fest, dass die Ampel mit der „Zeitenwende“, der „grundsätzlichen Neuorientierung der Sicherheitspolitik“ und der Sicherung der Energieversorgung einen guten Start hingelegt habe. Spätestens mit dem Streit über das „unsäglich, handwerklich schlecht gemachte“ Heizungsgesetz habe die Koalition aber die Orientierung verloren. „Der Anspruch, Menschen Politik zu erklären, ist beim Heizungsgesetz katastrophal gescheitert.“ Es werde nun lange dauern, Vertrauen wieder aufzubauen. „Für die Ampel ist die Versetzung akut gefährdet.“
Auch Römmele attestiert ein „fulminantes erstes Jahr“, woran auch die Union durch ihre Unterstützung der Zeitenwende Anteil gehabt habe. Die Politologin erklärt auch, dass Regierungen zur Halbzeit häufig schlecht dastünden. Die Tiefe der Werte der Ampel sei aber neu. „Der dauerhafte Streit und das Sich-nicht-einigen-Können sind Gründe, warum die Werte sind, wie sie sind.“
Sekmen selbst darf auch Bilanz ziehen - das machen auf Anfrage dieser Redaktion auch die weiteren Mannheimer Abgeordneten Isabel Cadematori, Konrad Stockmeier und Gökay Akbulut.
Isabel Cademartori (SPD)
Die Sozialdemokratin teilt mit, dass es der Ampel trotz der schwierigen Voraussetzungen, die aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine rühren, gelungen sei, die Energieversorgung zu sichern und den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Als verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist Cademartori „besonders stolz“ auf das Deutschlandticket, das sie als „vollen Erfolg“ bezeichnet. Auch nennt sie unter anderem die Erhöhung des Mindestlohns, die Ausweitung des Wohngelds und die Erhöhung des Kindergelds als Erfolge. An der Kommunikation dagegen müsse die Koalition arbeiten, und „das politische Handeln innerhalb der Ampel hätte in einigen Fällen konstruktiver laufen müssen“, erklärt sie und verweist auf das Heizungsgesetz und die Diskussionen um die Kindergrundsicherung. Auch gingen Bürokratieabbau und die Digitalisierung der Wirtschaft bislang nicht entschlossen genug voran. Kommunen seien zudem „zurzeit zu stark belastet“, sagt sie. „Wir müssen die Migration besser regeln, als das bisher gelungen ist.“
Melis Sekmen (Grüne)
Die Grüne erklärt in der Kunsthalle, dass die Koalition in einer politisch „anderen Zeit“ gestartet sei als in der, in der man sich nun wiederfinde. Mit 170 verabschiedeten Gesetzen habe sie dennoch bereits viel geschafft. Die Obfrau der Fraktion im Wirtschaftsausschuss nennt die Start-up-Strategie genauso als Erfolg wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Zuwanderinnen und Zuwanderern eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Auch arbeite man am Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein Gesetz, mit dem Gesundheitsdaten für die Versorgung von Patientinnen und Patienten genutzt werden können. „Der Zugang zu Daten ist elementar wichtig, um beispielsweise Therapieformen zu entwickeln“, erklärt Sekmen. Daten könnten für die Forschung erschlossen werden. Es sei wichtig, auch Dinge zu kommunizieren, die nicht immer auf Titelseiten stünden. Sekmen erhofft sich jedoch gleichzeitig, dass die Koalition Menschen wieder mehr mitnehme. „Wir dürfen nicht nur Verbänden, sondern müssen auch betroffenen Menschen zuhören.“ Sie fordert zudem, interne Streits künftig nicht mehr öffentlich auszutragen.
Konrad Stockmeier (FDP)
Auch der Liberale teilt mit, dass befürchtete Energie-Blackouts ausgeblieben seien. Zwar habe man Belastungen durch hohe Energiepreise nicht gänzlich auffangen, aber „sehr spürbar“ abfedern können. Stockmeier nennt die finale Fassung des Heizungsgesetzes, das er mitverhandelt hat, einen Erfolg - verweist aber darauf, dass der Prozess an sich nicht gut gelaufen sei. „Bestandsheizungen dürfen selbstverständlich benutzt und repariert werden, bis sie endgültig kaputt sind.“ Noch wenig begeistert zeigt er sich vom Ausbau der Stromnetze. Zudem kritisiert er, dass Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela stockten. „Der russische Angriff auf die Ukraine und die angespannte Lage rund um Taiwan durch die Ambitionen Chinas zeigen, dass wir die Zusammenarbeit mit freiheitlichen Partnern so schnell wie möglich intensivieren müssen.“ Erste Schritte, das Rentensystem zu reformieren, würden auch noch nicht ausreichen.
Gökay Akbulut (Linke)
Die Oppositionspolitikerin der Linken kritisiert die Ampel erwartungsgemäß. Zwar begrüßt sie die Kindergrundsicherung, moniert aber die fehlende „ausreichende Finanzierung, um Kinder effektiv vor Armut zu schützen“. Weitreichende Sozialkürzungen bezeichnet sie bei steigenden Mieten und Inflation als „Skandal“. Akbulut kritisiert die europäische Asylreform und dass die Ampel in der Migrationspolitik vor dem „enormen Rechtsruck“ einknicke. „In der Migrationspolitik versprach die Ampel nichts und hielt sich daran.“ Zudem erneuert sie ihre Kritik an Waffenlieferungen und am Sondervermögen für die Bundeswehr, während der Sanierungsstau an Schulen und Krankenhäusern bestehen bleibe. „Ich würde mir ein Sondervermögen für gute Bildung, für den nachhaltigen Umbau der Industrie und für die Stärkung des Sozialstaats wünschen.“
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