Filmschätze - Private Aufnahmen dokumentieren die heftigen Zerstörungen nach einem Luftangriff auf Mannheim-Neuostheim im August 1943

Verbotene Bilder vom Bombenkrieg

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 

„Eine absolute Perle“, schwärmt Désirée Spuhler, die Leiterin der Filmsammlung vom Marchivum – auch wenn es traurige Bilder sind. Sie zeigen die Folgen eines Bombenangriffs während des Zweiten Weltkriegs in Neuostheim rund um die Feuerbachstraße. Die seltenen Aufnahmen sind dem Marchivum übergeben worden und können, da nun digitalisiert, so für die Nachwelt erhalten bleiben.

Aufgerissene Fassaden. Abgedeckte Dächer. Man blickt in Zimmer, denen die Außenwände fehlen. Sieht riesige Haufen an Schutt – verbogener Stahl, zersplittertes Holz, aufgetürmte Steine. Ein Rest eines Hauses ragt wie ein hohler Zahn in den Himmel, bis auf diesen Rest ringsum zusammengestürzt. Dort, wo die Häuser noch stehen, sind zumindest alle Fenster ohne Scheiben – durch den immensen Druck. Aus einem Trümmerhaufen qualmt es. Und aus einem Haus schlagen noch Flammen – obwohl es längst Tag ist.

Der Bombenangriff, dessen Ergebnisse diese Bilder zeigen, geschieht in der Nacht vom 9. auf 10. August 1943. Aufgenommen hat sie Max Zahn. Er war „ein begeisterter Hobbyfilmer“, so Hans Zahn über seinen Vater. „Der Film ist, denke ich, ein Zeitdokument für Ihr Archiv“, schreibt er an das Marchivum – und Désirée Spuhler bestätigt das mit herzlichem Dank. Besonders wertvoll ist der Film auch deshalb, weil es ihn eigentlich nicht geben darf. Die Nationalsozialisten haben es strikt verboten, die Auswirkungen des Bombenkriegs zu filmen und zu fotografieren, „was wohl auch die hektischen Kamerabewegungen und die allgemeine Unschärfe erklärt“, so Désirée Spuhler.

Aber auch wenn die Kamera erkennbar wackelt, an einer Stelle ein Mann sich umdreht und sichtbar misstrauisch ins Bild schaut – die Aufnahmen sind beeindruckend. Man sieht, wie Kinder staunend und zugleich neugierig vor den Trümmern stehen, verzweifelte Erwachsene und auch eine Gruppe von Helfern mit einem Mann mit Uniform und Stahlhelm, die in den Resten zerstörter Häuser graben.

„Unter dem Trümmerhaufen, wo man Hilfskräfte sieht, sollen noch Menschen verschüttet gewesen sein“, erinnert sich Hans Zahn. 1936 geboren, hat er mit Vater, Mutter und Schwester in der Feuerbachstraße 28 gelebt. „Unser Haus war ein Reihenhaus mit Garten. Wir verbrachten damals viele Nächte in unserem Luftschutzkeller. In der Nacht vom 9. auf den 10. August 1943 wurde unser Wohnviertel und auch unser Haus von Bomben zerstört. Wir flüchteten aus unserem, Gott sei Dank, unzerstörtem Keller in einen öffentlichen Luftschutzraum, um dort das Ende des Bombardements abzuwarten“, erinnert er sich an den Schrecken. Am Morgen habe der Vater dann, trotz strengem Verbot, die Zerstörungen der Feuerbachstraße und der umliegenden Straßen aufgenommen. „Auch zeigt der Film den gewaltigen Krater, den die in den Garten gefallene Bombe riss, und die offene zerstörte Gartenseite unseres Hauses“, so Hans Zahn.

Flugplatz als Ziel?

„Die Bomben, glaube ich, zielten damals auf den nahen Flugplatz, wo eine Luftabwehrbatterie stationiert war. Diese ärgerte die feindlichen Flieger, indem sie, wohl meistens vergeblich, nach ihnen ballerte“, meint er rückblickend.

Nach der Zusammenstellung „Luftkriegsereignisse in Mannheim 1939 bis 1945“, die Dieter Wolf schon 2003 anhand der offiziellen Unterlagen der Alliierten für das Marchivum anfertigte, ist die Nacht vom 9. auf 10. August als „Terrorangriff“ eingestuft. Um 1.8 Uhr wird Alarm gegeben. 457 Maschinen der britischen Luftwaffe fliegen auf Mannheim zu, neun werden von der Flugabwehr abgeschossen.

40 Minen, 550 Sprengbomben, 150 000 Stabbrandbomben und 15 000 Phosphorbomben seien auf Innenstadt und Vororte geworfen, Staniolstreifen zur Störung deutscher Funk- und Ortungsgeräte eingesetzt worden. Viele weitere Angriffe folgen, der Schlimmste in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1943. Nahezu 70 Prozent der Bausubstanz in Mannheim ist beim Kriegsende im Mai 1945 zerstört.

Mannheim damals und heute

Mannheim nach der Bombennacht 1943 und heute - vergleichen Sie die BilderBild: Spuler/Marchivum/Blüthner

Nach einem schweren Bombardement im September 1943 zeigt sich Mannheim als eine Stadt in Schutt und Asche: Vergleichen Sie die Ansichten von damals und heute. [mehr]

Lokales

"Filmschätze retten": Private Aufnahmen nach dem Luftangriff auf Neuostheim 1943

Veröffentlicht
Laufzeit
Mehr erfahren

Redaktion Chefreporter

Thema : Filmschätze retten

  • Mannheim Es ging los mit dem Großherzog

    Er trägt Uniform mit Pickelhaube, die Herren um ihn herum Frack und Zylinder – den sie aber flink und ehrerbietig vor ihm ziehen. Schließlich lautet seine Anrede „Königliche Hoheit“. Es ist der Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden. Am 1. Mai 1907 kommt er nach Mannheim. Der Film davon sind die ältesten Bewegtbild-Aufnahmen, die es von Mannheim gibt. Sie stellte diese Zeitung im Oktober 2017 vor und begann damit die Serie „Filmschätze retten“. Heute endet sie, und alle Leser können zum Abschluss eine DVD mit historischen Streifen gewinnen. Die Aktion „Filmschätze retten“: hatten Marchivum und Freundeskreis Marchivum gestartet und als Unterstützer dafür diese Zeitung gewonnen. Zunächst ging es um Spenden für die Digitalisierung der rund 500 Filme umfassenden Sammlung. Den alten Rollen drohte das Essigsäure-Syndrom, sie lösen sich also durch chemische Prozesse auf. „Nur wenn der analoge Bestand digitalisiert wird, kann er für künftige Generationen gerettet werden“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. 67 500 Euro an Spenden Bis Juli 2018 haben wir jeden Donnerstag unter dem Motto „Filmschätze retten“ historische Aufnahmen aus den Beständen des Marchivum vorgestellt – auf dieser Seite im Kulturteil und im Morgenweb. Wegen der großen Resonanz setzten wir die Serie nach Abschluss der Spendenaktion fort, veränderten aber Ziel und Rhythmus. Ab September 2018 gab es jeweils am ersten Donnerstag im Monat Bilder und Informationen zu einem historischen Film – verbunden mit einem neuen Aufruf des Marchivum. Es bat darum, dass viele Mannheimer ihre privaten Filmschätze dem Marchivum anbieten, damit sie digitalisiert, fürs Archiv erschlossen und (auf Wunsch) zurückgegeben werden. Auf beide Aufrufe gab es sehr viele Reaktionen. Die Spendenaktion erbrachte 67 500 Euro. „Damit haben wir unseren Filmbestand komplett digitalisieren können“, so Désirée Spuhler, der die audiovisuelle Sammlung des Marchivum untersteht. Überwiegend handelte es sich um Stummfilmmaterial. Dazu verfasste dann Julia Scialpi vom Freundeskreis Marchivum Texte für eine Vertonung, die Stadträtin und Freundeskreis-Vorsitzende Helen Heberer als Sprecherin aufnahm. Technische Hilfe bei der Umsetzung leistete Andreas Etzold (RNF). 21 dieser Clips sind nun auch auf DVD verewigt. Aufnahmen vom Krieg, vom Wiederaufbau des zerstörten Mannheim, vom legendären Blumencorso des Einzelhandels 1967, der Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters 1957, vom alten Planetarium 1935, von der Überführung des Sargs des Kurfürsten in die Schlosskirche 1957, vom Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rosengarten 1953, vom Autohaus Kannenberg mitten im „Wirtschaftswunder“ 1956, von einer „Zeppelin“-Landung 1930, vom alten Eisstadion Friedrichspark 1938, aber auch seltene Luftaufnahmen von 1926, von Nazi-Propaganda und den bald darauf enteigneten jüdischen Geschäften weckten viele Erinnerungen und zeigten den beeindruckenden Wandel der Stadt. Außer den vielen Geldspenden sind zudem über 100 private Filmspulen abgegeben worden, die nun – digitalisiert – die Marchivum-Bestände bereichern und künftig auch für Ausstellungen verwendet werden können. Nieß spricht daher zufrieden von „einem höchst erfolgreichen Projekt“. Schauen und Staunen „Wir haben allen Spendern zu danken und sind von der Breite der Unterstützung und dem Engagement des „Mannheimer Morgen“ überwältigt“, so Nieß. Der Erfolg der Aktion „Filmschätze retten“ sei dabei „nicht in Geld aufzuwiegen“, betont der Direktor. „Nicht nur, dass die erforderliche Spendensumme für die Digitalisierung der Filme zusammen kam, vielmehr trägt die Aktion zur Identitätsstiftung mit dem Marchivum bei“, freut er sich. „Hier ist der Ort für eine breit aufgestellte audiovisuelle Sammlung, die eindrucksvoll Mannheims Geschichte in Bildern dokumentiert. Das animiert zum Schauen, Staunen, aber auch zur Nachdenklichkeit, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen wollen“, so Ulrich Nieß.

    Mehr erfahren
  • Serie "Filmschätze" (mit Video) Kurt-Schumacher-Brücke: Werk moderner Ingenieurskunst

    Von 1970 stammen die Luftaufnahmen, mit denen wir die Artikelserie „Filmschätze retten“ beschließen. Sie zeigen eindrucksvoll den Bau der Kurt-Schumacher-Brücke, damals zunächst nur „Nordbrücke“ genannt.

    Mehr erfahren
  • Filmschätze (mit Video) Im Galopp durch Seckenheim

    Private Aufnahmen zeigen ein Pferderennen in Seckenheim 1926 und die Rückkehr der siegreichen Reiter in das damals noch selbstständige Dorf.

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen