Mannheim. Wie weit darf oder muss der Einsatz für den Umweltschutz und eine autofreie Innenstadt gehen? Ist bereits das Sitzen oder Stehen auf der Kunststraße strafbar? Um diese Fragen dreht sich nun erstmals ein Verfahren am Mannheimer Amtsgericht. Aber noch bevor der Angeklagte und Umweltaktivist der Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion (XR) Sven R. (29) den Gerichtssaal am Mittwoch betritt, gibt es Ärger.
Schon vor dem Gebäude haben sich 15 Mitstreitende versammelt, um den Doktoranden der Chemie zu unterstützen. „Wir wollen uns solidarisch zeigen mit einem von uns, der wegen Nötigung verurteilt werden soll, weil er sich bei der Blockade der Kunststraße am Paradeplatz für eine autofreie Innenstadt eingesetzt hat“, erklärt Demonstrant Raúl Semmler. Was er da noch nicht weiß: Den Umweltschützern wird gleich der Zugang zum Gerichtssaal verwehrt werden, da es nur zwei Plätze für die Öffentlichkeit gibt, um das Verfahren zu verfolgen.

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„Zur Verkehrswende bewegen“
Im Saal selbst lehnt der zuständige Richter die Anträge von Rechtsanwalt Roland Kugler ab, die Zahl der Zuhörer zu erhöhen oder umzuziehen, verweist auf bereits besetzte Säle sowie geltende Abstandsregeln. Mit etwas Verzögerung trägt dann die Staatsanwaltschaft die Anklage vor, gegen eine Verwarnung samt Geldstrafe von 600 Euro hatte Sven R. zuvor Widerspruch eingelegt.
So wird dem 29-Jährigen als einer der ersten von weiteren Aktivisten, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, Nötigung vorgeworfen: Mit Umweltschützern aus Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg soll er im Juli 2021 in den Quadraten mit Decken, Fahrrädern und einem Holzauto die Kunststraße blockiert haben. Die Demonstranten sollen sich auf die Straße gesetzt haben, an das Holzauto gekettet und auf Laternenmasten geklettert sein. So sollen sie ein Lkw-Fahrer zwei Stunden lang an der Weiterfahrt gehindert haben. Was der Angeklagte zur Sache sagt? „Es ist unangenehm, hier zu sein. Aber ich verstehe nicht, warum man alle Warnungen der Wissenschaft zum Klimawandel ignoriert. Das Nichthandeln mit diesem Wissen ist unentschuldbar“, sagt der Naturwissenschaftler. Sein Ziel sei es nicht, Chaos zu stiften, sondern seine Mitmenschen mit der Klimakrise zu konfrontieren - und zur Verkehrswende zu bewegen.
Als die erste Zeugin, eine Dienstgruppenleiterin des Innenstadt-Reviers, beginnt, ihre Eindrücke zu schildern, dröhnen Autohupen in den Saal. Ein Blick aus dem Fenster des Amtsgerichts bestätigt: Grund dafür sind die zuvor abgewiesenen Aktivisten, die sich spontan als Reaktion auf die „Ungerechtigkeit“, wie sie erklären, mitten auf die Bismarckstraße setzen und diese 40 Minuten lang blockieren. „Es kann doch nicht angehen, dass die Justiz so quasi hinter verschlossenen Türen Menschen verurteilen will und öffentliche Prozesse gar nicht wirklich für die Öffentlichkeit zugänglich sind“, findet Semmler, der am Ende mit zwei weiteren Aktivisten auf Bitten der Polizei freiwillig die Sitzblockade auflöst. Drinnen gibt sich der Richter vom Gehupe unbeeindruckt, will von der Polizistin wissen: Von wem wurden die Personalien aufgenommen, wie haben sich die Demonstranten verhalten? Friedlich und höflich, so beschreibt die Beamtin die Aktivisten, die aber „ein Riesenverkehrschaos“ ausgelöst hätten. Lediglich zehn Personen, die sich um das Holzauto positioniert hatten, seien kontrolliert worden.
Ob darunter auch der Angeklagte fällt, kann die Polizistin nicht bezeugen. Auch der als Zeuge geladene Lkw-Fahrer erkennt den Angeklagten nicht - ihn fragt der Richter noch, ob er ein „Holzkonstrukt“ auf der Straße gesehen habe. Auch am Heidelberger Landgericht sind XR-Aktivsten des Rhein-Neckar-Bündnis angeklagt, weil sie 2021 die Zufahrt zum Zementwerk in Leimen blockiert hatten. Seit Langem fordern Gruppen wie XR, nicht diejenigen zu bestrafen, die sich fürs Klima einsetzen - sondern jene, die die Umwelt zerstören. In Mannheim ärgern solche Blockaden aber Autofahrende und Einzelhändler.
Trotzdem ist sich Mathias Ilka, Prozessbeobachter für die Umweltschutzorganisation BUND, sicher: Solche Aktionen müssten entkriminalisiert werden. „Der Prozess in Mannheim war ein wichtiger Auftakt. Wir rechnen mit einem Freispruch.“ Das angedachte Strafmaß sei nicht haltbar, allerdings versuchten auch die Gerichte, sich zu arrangieren, etwa mit Verwarnungen. Ilka kritisiert sowohl die Fragen des Richters als auch die Entscheidung für einen weiteren Verhandlungstag. „Diese Gerichtskosten zu bezahlen, das ist die Strafe“. Der Prozess wird am 21. Oktober um 11 Uhr in einem größeren Saal fortgesetzt.
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