Raul Semmler saß schon mehrfach in der Zelle und klebte sich als Aktivist der Gruppe "Die letzte Generation" zuletzt in Mannheim und Heidelberg auf den Straßenasphalt. Ein Gespräch über fossilen Brennstoff und Protestkultur.
Herr Semmler, wie naiv ist eigentlich die Forderung, sofort aus allen fossilen Energien auszusteigen?
Raúl Semmler: Wir sagen ja gar nicht, dass wir sofort aussteigen sollen.
Sondern?
Raúl Semmler: Sondern, dass sofort der Ausbau neuer fossiler Infrastruktur gestoppt werden soll. Und damit auch neue Ölbohrungen in der Nordsee. Wir fordern speziell von Wirtschaftsminister Robert Habeck, eine Lebenserklärung abzugeben.
Schauspieler und Aktivist
Raúl Semmler (37) wurde in Jena geboren. Er ist Schauspieler, Drehbuchautor und Klimaaktivist. Er gastierte am Berliner Maxim-Gorki-Theater und dem Schauspiel Frankfurt.
Er trat in Worms bei den Nibelungenfestspielen auf.
2009 stand Semmler als Valentinus in Sönke Wortmanns Historiendrama „Die Päpstin“ vor der Kamera, Gastauftritte hatte er unter anderem in Krimi-Serien im ZDF. sal
Was ist das - eine Lebenserklärung?
Raúl Semmler: Das heißt quasi, dass Habeck aussagt, nicht weiter in die fossile Infrastruktur zu investieren oder diese auszubauen.
Aber geht es dabei nicht auch um diejenige Energie für die Industrie, die letztlich einen Teil unseres Wohlstands sichert?
Raúl Semmler: Verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter anderem Volker Quaschning, haben vorgerechnet, dass eine Umstellung komplett auf erneuerbare Energien jetzt möglich wäre und auch wirtschaftlich keine negativen Folgen hätte.
Aber da gibt es auch Wissenschaftler, die diese Thesen nicht stützen.
Raúl Semmler: Neben Quaschning gibt es mehrere anerkannte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die das sagen. Und: Es gibt zu jedem Thema andere Meinungen, aber wir haben die breite Wissenschaft hinter unseren Forderungen.
Ihre Gruppierungen „Die letzte Generation“ ist noch recht klein. Sie findet definitiv kein weltweites Gehör. Inwiefern helfen da jetzt diverse Straßenblockaden in Heidelberg und Mannheim an den vergangenen beiden Montagen?
Raúl Semmler: Weltweit gibt es viele dieser Gruppen, die sich so einsetzen wie wir. Wir müssen nicht sympathisch sein, sondern es ist notwendig, diesen Widerstand zu leisten, um unsere Regierung zu einem anderen Handeln zu bewegen.
Sie waren mehrfach in Polizeigewahrsam, weil Sie sich immer wieder mit Sekundenkleber an den Händen auf den Boden geklebt haben, um den Verkehr zu blockieren. Wie weit geht Ihre Protestkultur. Mit anderen Worten: Würden Sie noch ein Stück weiter gehen?
Raúl Semmler: Nein, wir blockieren Straßen, drehen Pipelines zu und blockieren Tanklager. Wir bleiben dabei friedlich und gewaltfrei. Wir sind Bürger und Bürgerinnen.
Aber nicht jeder Bürger bekommt eine Gefährderansprache an seiner Haustüre. Das war bei Ihnen so - wie bei Hooligans oder womöglich Terroristen?
Raúl Semmler: Ich kenne die Strukturen bei der Polizei nicht. Was ich aber sagen kann ist, dass versucht wird, unseren Protest mit polizeilichen Mitteln zu unterbinden.
Die Letzte Generation kündigt jetzt schon Straßenblockaden am 18. Juni in Berlin an. Wie viele Leute machen mit bei Ihrer Bewegung?
Raúl Semmler: Anfangs waren es 30, inzwischen sind es einige Hundert.
Es geht dabei immer um zivilen Ungehorsam. Ist das die Erkenntnis daraus, dass Fridays for Future vielleicht zu brav ist und Ziele nur erreicht werden, wenn sie radikaler verfolgt werden?
Raúl Semmler: Die Frage ist, wer die Radikalen sind und ob das nicht die Leute sind, die gerade nichts tun. Wir haben uns für den friedlichen Widerstand entschieden, weil es sich in der Vergangenheit als das beste Protestmittel gezeigt hat - sowohl bei den Sufragetten in England als auch bei den Freedom Riders 1961 in Amerika. So können wir nicht länger ignoriert werden.
Aber nehmen Sie die Gefahr in Kauf, dass jemand durch einen medizinischen Notfall stirbt, während Sie auf der Straße kleben?
Raúl Semmler: Wir lassen immer eine Rettungsgasse. Das ist ja bei anderen Staus auch so. Deshalb ist die mittlere Person auf der Fahrbahn nicht angeklebt.
Wer bezahlt eigentlich die Strafen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und Nötigung, die Sie bekommen?
Raúl Semmler: Bis jetzt gibt es keine Verurteilung gegen mich. Wenn das kommt, werde ich das aus meinen kleinen Ersparnissen bezahlen müssen. Aber es gibt auch Möglichkeiten, für uns zu spenden. Dazu rufen wir alle auf, die uns unterstützen möchten. Ich riskiere damit einiges, aber das steht in keinem Verhältnis zu den Klimaopfern, die jetzt durch Tornados, Fluten und Hitzewellen sterben.

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Was war der Auslöser für diesen Protest?
Raúl Semmler: Ich war 2019 in einem buddhistischen Kloster in Südfrankreich. Dort wurden auch Leute von der Bewegung „Extinction Rebellion“ eingeladen, die von ihrem friedlich Protest in England und in den Niederlanden berichtet haben. Das hat mich beeindruckt. Ich habe mir dann verschiedene Aktionsformen in Deutschland angeschaut. Ich dachte auch, ich könnte einen Kulturwandel schaffen, wenn ich gute Drehbücher schreibe. Diese Zeit haben wir nicht.
Was ist die nächste Straße in der Region, auf der Sie kleben?
Raúl Semmler: Das wird am Montag eine sein.
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