Mannheim. Die ganze Widersprüchlichkeit der Situation wird am Dienstagabend um kurz vor 19 Uhr deutlich: Gerade eben hat der Gemeinderat der Stadt Mannheim mit großer Mehrheit einen Beschluss gefasst. Darin unterstreicht er „seine Steuerungsfunktion“ bei der Wärmewende und betont, dass in der kommunalen Wärmeplanung „kein fixes Ausstiegsdatum aus dem Gasverteilnetz“ steht. Wenige Minuten später sagt der noch amtierende MVV-Chef Georg Müller vor dem Sitzungssaal des Stadthauses mit Blick auf das heftig umstrittene Gas-Aus in das Mikrofon des Rhein-Neckar-Fernsehens: „Wir halten am angestrebten Ziel 2035 fest.“
Spätestens dann sollen also die derzeit noch knapp 25.000 Gasheizungen in Mannheim de facto zwangsabgeschaltet werden. Endgültig beschlossen ist das zwar noch nicht. Es ist und bleibt jedoch der Plan der MVV. Denn diese rechnet - kurz gesagt - damit, dass Heizen mit Gas immer teurer und damit unattraktiver wird und so die Kundenzahl stetig sinkt. Weil die Kosten durch höhere CO₂-Preise und höhere Netzentgelte steigen werden. Und da weder Biogas noch Wasserstoff in ausreichenden Mengen zur Verfügung stünden, brauche es dann auch das Verteilnetz nicht mehr.
Sogar ihr Aufsichtsratsvorsitzender kritisiert die MVV
Welche heftige Debatte dieser Plan in Mannheim ausgelöst hat, belegen etliche Details rund um die mit Spannung erwartete Gemeinderatssitzung: Alle acht Fraktionen und Gruppierungen haben im Vorfeld Anträge zum Thema eingereicht. Mit MVV-Chef Müller und seinen Kollegen Hansjörg Roll und Ralf Klöpfer ist fast der komplette Vorstand des Energieunternehmens vertreten.
Mehr als zwei Stunden lang diskutieren die gewählten Vertreterinnen und Vertreter mit und über die MVV-Spitzen – und das in so klaren und scharfen Worten, wie es hier nur selten der Fall ist. Dazu beigetragen hat vermutlich nicht nur die Kommunikation der MVV, die allenthalben - sogar von ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) – kritisiert wird. Sondern wohl auch der Umstand, dass sich vor Kurzem die Bürgerinitiative „Mannheim gibt Gas“ gegründet hat, der sich bereits am ersten Abend mehr als 150 Mannheimerinnen und Mannheimer angeschlossen haben.
„Ein kompletter Ausstieg bis 2035 ist voreilig und unverantwortlich“, sagt für die CDU etwa Lennart Christ. „Gas hat keine Zukunft“, entgegnet Grünen-Fraktionschefin Nina Wellenreuther. „Darauf müssen wir die Menschen vorbereiten.“ „Der Gas-Ausstieg ist unvermeidbar“, betont auch SPD-Fraktionschef Reinhold Götz. 2035 sei jedoch zu früh, zudem müssten soziale Schieflagen vermieden werden. Jörg Finkler lehnt für die AfD einen Gas-Ausstieg komplett ab, während Jessica Martin von der LTK die MVV für ihren „mutigen und konsequenten Schritt, den wir begrüßen“ lobt.
„Sehr verärgert über Kommunikationsdesaster der MVV“
Die Mehrheit des Gremiums sieht das jedoch anders: FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Reinemund hat sich „sehr geärgert“ über „das Kommunikationsdesaster der MVV“. „Alleine wegen der mangelnden Zahl an Handwerkern wird es nicht reichen“, hält ML-Fraktionschef Holger Schmid 2035 für unrealistisch. Auch Einzelstadtrat Julien Ferrat lehnt das Datum ab.
Trotz der teilweise gegensätzlichen Positionen gelingt es dem Oberbürgermeister nach einer Unterbrechung der Sitzung zur internen Beratung einen breiten Konsens herzustellen, dem nur AfD und ML offen widersprechen: Specht präsentiert einen Vorschlag der Stadtverwaltung, dem sich die meisten Fraktionen letztlich anschließen, und mit dem mehr oder weniger alle anderen Anträge abgeräumt werden.
In einer Art Resolution unterstreicht der Gemeinderat, dass in der kommunalen Wärmeplanung „kein fixes Ausstiegsdatum“ vorgesehen ist. Er fordert den bundesdeutschen Gesetzgeber auf, die EU-Gasbinnenmarktrichtlinie „zügig“ auszugestalten und „angemessene Fristen“ sowie „Regelungen zur Abmilderung von Härtefällen aufzunehmen“. Die MVV wird aufgefordert, bis zum Feststehen der nationalen Regelungen „keine einseitigen Schritte zur Stilllegung“ zu ergreifen. Zudem werden die bestehenden Info- und Beratungsmaßnahmen begrüßt und darum gebeten, diese „weiterzuentwickeln“.
Rechtlich bindend ist davon jedoch nichts. Und wer die Ausführungen der MVV-Vorstände und die Debatte genau verfolgt, versteht auch, warum: Die Stadt Mannheim hat 2014 einen Konzessionsvertrag mit der MVV abgeschlossen, wonach diese bis Ende 2034 das Gasnetz betreibt. Bis dahin gehört es auch dem Unternehmen. Übernimmt ab dem 1. Januar 2035 ein anderer Betreiber die Konzession, wird er gleichzeitig Eigentümer des Netzes. Ansonsten bleibt es, zumindest nach vorläufiger Rechtslage, im Besitz der MVV.
Zwar befindet sich diese wiederum mehrheitlich (50,1 Prozent) im Eigentum der Stadt Mannheim, weshalb die Kommune auch im Aufsichtsrat über die meisten Sitze verfügt. Doch selbst wenn der Gemeinderat einen eindeutigen Beschluss gefasst hätte, wären die Frauen und Männer dort dem Oberbürgermeister zufolge nicht an diese Entscheidung gebunden.
MVV-Chef: Ab 2040 fließt kein Gas mehr nach Mannheim
Eine weitere wichtige Rolle spielt das baden-württembergische Klimaschutzgesetz: Dieses zielt darauf ab, dass das Bundesland ab 2040 klimaneutral sein soll. Entsprechend hat nach Angaben von MVV-Chef Müller der Betreiber des Gas-Fernleitungsnetzes, über das Mannheim versorgt wird – das EnBW-Tochterunternehmen Terranets – angekündigt, ab 2040 kein Erdgas mehr zu liefern: „Wir müssen davon ausgehen, dass ab 2040 kein konventionelles Gas mehr zur Verfügung stehen wird“, so Müller.
Nach heutigem Stand wird also vermutlich irgendwann zwischen 2035 und 2040 das Erdgas-Zeitalter in der Stadt enden. Wann und wie genau steht jedoch noch nicht fest. Denn vorab muss auf Bundesebene die sogenannte EU-Gasbinnenmarktrichtlinie in ein konkretes nationales Gesetz übersetzt werden. In diesem muss der Bund nicht nur beispielsweise den Zeithorizont regeln, sondern etwa auch, ob es Übergangsfristen und Härtefall-Regelungen gibt und wer vor der Stilllegung eines Netzes gehört werden muss. Spätestens Mitte 2026 wird damit gerechnet.
Liegt dieses nationale Gesetz vor, muss die MVV ihren Stilllegungsplan der Bundesnetzagentur zur Genehmigung vorlegen. Dann dürfte auch die Stadt um ihre Einschätzung gebeten werden. Und spätestens dann wird im Gemeinderat erneut über das Gas-Aus diskutiert werden - vermutlich mit einem konkreteren und belastbareren Ende.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die Debatte um Mannheims Gas-Aus war vorschnell, aber wichtig