Mannheim. Politisch gesehen war es ein Glanzstück, das Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht da am Dienstagabend im Gemeinderat vollbracht hat: Obwohl die Einstellungen der Fraktionen zum von der MVV angestrebten Gas-Aus 2035 höchst unterschiedlich sind, hat er es mit seinem Vorschlag geschafft, innerhalb der demokratischen Mitte einen breiten Konsens herzustellen. Faktisch ist der Beschluss jedoch wertlos.
Offenbar fehlt der Stadt als Mehrheitseigentümerin der Wille oder die Mittel
Denn erstens übertüncht er die politischen Gegensätze nur oberflächlich durch Binsenweisheiten und pauschale Forderungen, die wenig bringen und keinem wehtun. Zweitens hält die MVV nach wie vor an ihrem Plan fest, das Erdgas-Verteilnetz in Mannheim und weiten Teilen der Region innerhalb der nächsten zehn Jahre stillzulegen – und damit de facto alle derzeit noch knapp 25.000 Gasheizungen in der Stadt. Offenbar fehlt also selbst der Stadt Mannheim als Mehrheitseigentümerin des Energieunternehmens trotz einer entsprechenden Mehrheit im Gemeinderat entweder der Wille oder die Mittel, um die Aktiengesellschaft zu einem raschen und öffentlich eingestandenen Umdenken zu bewegen.
Womöglich ist das aber gar nicht so schlimm: Die entscheidende Weichenstellung erfolgt ohnehin in Berlin. Dort muss die sich anbahnende schwarz-rote Koalition bis Mitte nächsten Jahres die Gasbinnenmarktrichtlinie der EU in ein nationales Gesetz gießen, das die konkreten Umstände für die Stilllegung von Gasnetzen regelt. Übergangsfristen, Voraussetzungen, mögliche Entschädigungen werden erst darin festgelegt. Und endgültig beschlossen ist der Gas-Ausstieg sowieso nur, wenn die Bundesnetzagentur nach einer Prüfung ihre Zustimmung erteilt.
Die Parteien der politischen Mitte sind nicht bereit, diese Entscheidung „ihres“ Versorgers einfach so hinzunehmen
War die heftige Debatte um das Gas-Aus also verfrüht? Ja. War sie auch überflüssig? Nein. Denn sie hat drei zentrale Botschaften vermittelt. Erstens: Früher oder später wird in Mannheim wohl weder Erdgas noch eine klimafreundliche Alternative zur Verfügung stehen. Es ist also keine besonders gute Idee, sich jetzt noch eine neue Gasheizung einbauen zu lassen. Zweitens: Die Experten der MVV erwarten, dass die Kosten für diese fossile Art der Gebäudebeheizung bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre so ansteigen werden, dass sie unattraktiv wird.
Darum wollen sie, Stand heute, den bis Ende 2034 laufenden Konzessionsvertrag mit der Stadt nicht verlängern. Und drittens: Die Parteien der politischen Mitte sind dennoch nicht bereit, diese unternehmerische Entscheidung „ihres“ Versorgers einfach so hinzunehmen. Das ist ein klares und wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger sowie den künftigen MVV-Chef. Diese Erkenntnisse waren trotz der weiterhin bestehenden Unsicherheiten die ganze Aufregung wert.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die Debatte um Mannheims Gas-Aus war vorschnell, aber wichtig
Der breite Konsens beim Gas-Aus im Mannheimer Gemeinderat ist faktisch wertlos. Dennoch war die Diskussion über die Pläne der MVV wichtig.