Energie

Mannheimer protestieren gegen Gas-Aus 2035

Die MVV will in zehn Jahren Mannheim den Gashahn zudrehen: Dagegen hat sich eine Bürgerinitiative gegründet. Die erste Aktion ist in knapp zwei Wochen geplant.

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Martin Geiger
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„Ich bin etwas überwältigt“: Initiator Andreas Kostarellos freute sich über die rund 180 Mannheimerinnen und Mannheimer, die zur Gründung der Bürgerinitiative „Mannheim gibt Gas“ gekommen sind. © Christoph Bluethner

Mannheim. Zum ersten Treffen im Dezember, erzählt Andreas Kostarellos, sind etwa 40 Leute in den kleinen Saal des Schützenhauses in Feudenheim gekommen. An diesem Abend Ende Februar ist sogar dessen großer Saal noch zu klein: Bereits 15 Minuten vor Beginn werden weitere Stühle gebracht und am Rand aufgestellt. Manche Interessierte haben sich auf die Empore gesetzt, die eigentlich mit einem Vorhang abgehängt ist, andere bleiben einfach in der Nähe der Eingangstür stehen: Die geplante Stilllegung des Erdgas-Verteilnetzes in Mannheim und etlichen Umlandgemeinden bis 2035 beschäftigt viele Bürgerinnen und Bürger. Das beweisen die rund 180, die zur Gründungsversammlung der Bürgerinitiative „Mannheim gibt Gas“ gekommen sind.

Eine Rentnerin aus Wallstadt sagt: „Die MVV hat mich angelogen.“

Praktisch jede und jeder hier kann seine eigene Geschichte erzählen. Wie etwa die schicke 73-jährige Frau aus Wallstadt, die ebenso wie die anderen ihren Namen lieber nicht in den Medien wiederfinden will: „Ich war 30 Jahre lang Kunde der MVV und dann heißt es plötzlich: April, April“, schimpft sie. Ihr Gebäude lasse sich nicht so einfach auf eine Wärmepumpe umrüsten: „Ich weiß gar nicht, wohin wir das Ding stellen sollen. Und es kostet Wahnsinnsgeld!“ Dabei habe sie letztes und vorletztes Jahr beim Maimarkt extra noch am Stand der MVV nachgefragt und versichert bekommen, dass sie ihre Gasheizung weiterbetreiben könne. Jetzt konstatiert sie: „Man hat mich angelogen.“

Der 69-jährige Mann aus Käfertal neben ihr, der nicht genau sagen will, wie viele Häuser ihm gehören („viele“), schüttelt nur den Kopf: „Was wir in Europa machen, spielt weltweit gesehen gar keine Rolle. Und mich kostet es mehrere Hunderttausend Euro: Da hört es auf!“ Selbst eine 54-jährige städtische Mitarbeiterin aus Friedrichsfeld, die Klimaschutz wichtig findet, ist empört: Sie müsste, erzählt sie, trotz aller Zuschüsse rund 55.000 Euro investieren, um ihr Drei-Familienhaus umzurüsten. „Ich kann es nicht fassen, dass eine Stadt wie Mannheim, die so viel Wert auf Sozialverträglichkeit legt, so etwas zulässt.“

Der Andrang bei der Gründung der Bürgerinitiative „Mannheim gibt Gas“ im Schützenhaus in Feudenheim war groß. Bei einer kommerziellen Veranstaltung hätte es wohl geheißen: ausverkauft. © Christoph Bluethner

Der Mann, der den ganzen Frust bündeln möchte, steht mit Mikrofon in der Hand vor einer Leinwand und sagt beim Blick in den rappelvollen Saal: „Ich bin etwas überwältigt.“ Andreas Kostarellos ist in Mannheim kein Unbekannter: 1983 kandidierte er, ehe er Mitte der 1990er Jahre wieder austrat, für die Grünen als Oberbürgermeister. Später sei er, erzählt der 73-jährige Frisörmeister, der jahrzehntelang in der Neckarstadt einen Laden betrieb, etwa Gründungsmitglied der Ludwig-Frank-Genossenschaft und des Bürgerhauses Neckarstadt gewesen. „Mein ganzes Leben war eine Art Bürgerinitiative“, sagt er. Zuletzt kämpfte er gegen Windräder. Nun also gegen das Gas-Aus.

Dessen Hintergrund hatte die MVV als Betreiberin des Netzes im November so erklärt: Da Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, müssten fossile Heizungen nach und nach durch erneuerbare Lösungen ersetzt werden. Aufgrund des in wenigen Jahren vermutlich deutlich steigenden CO₂-Preises sowie ebenfalls erwarteter höherer Netzentgelte werde das Heizen mit Gas zunehmend unattraktiv. Die Kundenzahl werde sinken, was die Preisspirale weiter in die Höhe treibe. Darum habe fossiles Gas ab etwa 2035 keine Zukunft mehr. Und da weder Bio-Gas noch Wasserstoff in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehe, brauche es dann auch das Netz nicht mehr, weshalb dieses stillgelegt werden solle.

Initiator Andreas Kostarellos ist auch zum Sprecher der neuen Bürgerinitiative „Mannheim gibt Gas“ gewählt worden. © Christoph Bluethner

Für Kostarellos ist das aber noch nicht alles, wie er nach seiner Einführung in einem eigenen Vortrag ausführt. „Ich wollt‘ Sie bitten, das zu ertragen“, kündigt er an. „Ich muss es loswerden.“ Dann folgt eine Art Generalabrechnung mit der Energiewende („Nahe am Rande der Absurdität“), bei der die Grenze zwischen berechtigter Kritik und Verschwörungserzählung („Mit den Gehirnen wird Greenwashing gemacht“) zu verschwimmen droht. Was „beim Habeck im Hinterzimmer“ geplant worden sei, führe vor allen Dingen dazu: „Wir sind pleite und unsere Industrie geht in die Knie.“

Ob die Zuhörer zustimmen, bleibt offen. Die folgende Wahl - teilt Kostarellos einen Tag später mit - ergibt jedoch, dass sich 155 Mannheimerinnen und Mannheimer der neuen Bürgerinitiative anschließen und 110 davon Kostarellos zu ihrem Sprecher gewählt haben. Der erklärt auch, wie es weitergehen soll.

Demo am 13. März vor dem MVV-Hochhaus geplant

Nun beginne der „Kampf um die Gemeinderäte“. Diese sind für den 73-Jährigen der Schlüssel, um die geplante frühzeitige Stilllegung des Gas-Netzes doch noch zu verhindern. Schließlich hält die Stadt Mannheim 50,1 Prozent der Aktien und hat damit das Sagen bei der MVV. Auch die nächste Aktion hat Kostarellos schon geplant: Am 13. März soll vor dem MVV-Hochhaus am Luisenring eine Demo stattfinden. Dann tage dort der Aufsichtsrat. „Da müssen wir dabei sein.“

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Ein interessantes Aufeinandertreffen wird es bereits zwei Tage vorher geben: Am 11. März sollen im Hauptausschuss des Gemeinderats mehrere Anträge zum geplanten Gas-Aus diskutiert werden.

Während der Streit darum also weitergehen dürfte, verteidigt das Energieunternehmen sein deutschlandweit in dieser Form einmaliges Vorpreschen: „Uns ist bewusst, dass mit dem angestrebten Rückzug aus dem Gasnetz auch schwierige Entscheidungen für die Hauseigentümer oder Mieter verbunden sein können“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage. „Und wir verstehen, dass es auch Unmut gibt. Nur: Über eine Entwicklung, die wir kommen sehen, nicht zu sprechen, ist keine Option für uns. Jetzt gibt es Planungssicherheit und möglichst viel Zeit für die Umstellung.“

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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