Fall von der Schönau

Tödliche Polizeischüsse auf der Schönau: Noch viele offene Fragen

Die tödlichen Polizeischüsse auf der Schönau sind in Mannheim weiter ein großes Thema. Gegen wen und wegen was ermittelt wird und was Polizeiexperten über die Vorgaben für den Einsatz von Schusswaffen sagen

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Steffen Mack , Timo Schmidhuber und Lisa Uhlmann
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Mit Kerzen, Grablichtern, Blumen und Plakaten wurde am Tatort in der Johann-Schütte-Straße auf der Schönau an den Getöteten erinnert. © Michael Ruffler

Mannheim. Der Fall auf der Schönau, bei dem am 23. Dezember der mit einem Messer bewaffnete Ertekin E. von den Schüssen eines Polizisten getötet wurde, wühlt noch viele Menschen auf. Konkrete Fragen dazu lassen die Ermittler im Regelfall unbeantwortet. Der „MM“ hat gleichwohl versucht, mit Anfragen an diverse Stellen Licht ins Dunkel zu bringen.

Gegen wen und wegen was ermittelt die Staatsanwaltschaft?

Nach Auskunft einer Sprecherin richtet sich das Ermittlungsverfahren nur gegen jenen Beamten, der geschossen hat. Es bestehe der Anfangsverdacht auf Körperverletzung im Amt mit Todesfolge.

Welche Strafe würde dem Polizeibeamten dafür drohen?

Das Strafgesetzbuch sieht eine Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren vor. Aber die Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass der Mann nach Abschluss der Ermittlungen überhaupt angeklagt und dann vor Gericht verurteilt würde.

Ist der Beamte weiter beziehungsweise wieder im Dienst?

Dazu will sich eine Polizeisprecherin trotz mehrmaligem Insistieren und Verweis auf das Informationsrecht der Presse nicht äußern. Dies begründet sie mit dem schutzwürdigen privaten Interesse des Betroffenen. Sie teilt lediglich mit, er sei insofern unverändert mit hoheitlichen Aufgaben betraut, „dass weder eine Suspendierung noch ein Verbot des Führens der Dienstgeschäfte ausgesprochen wurde“. Offen bleibt somit, ob der Mann etwa krankgeschrieben ist oder Urlaub nimmt.

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Welche Vorgaben für Schusswaffengebrauch haben Polizisten?

Generell dürfe körperliche Gewalt laut Polizeigesetz nur angewendet werden, wenn Ziele nicht auf andere Weise erreichbar seien, so das Stuttgarter Innenministerium. Und der Gebrauch einer Schusswaffe müsse immer die „Ultima Ratio“ sein, also das letzte mögliche Mittel. Er sei nur zulässig, wenn alle anderen erfolglos angewendet worden seien oder offensichtlich keinen Erfolg versprächen. Die Frage nach einem milderen Mittel wirft auch der Tübinger Strafrechtswissenschaftler und Kriminologe Jörg Kinzig auf und zweifelt an, „ob vier und noch dazu am Ende tödliche Schüsse erforderlich waren, um den Mann zu stoppen“.

Muss vorher ein Warnschuss oder eine verbale Warnung erfolgen?

„Unmittelbarer Zwang ist, soweit es die Umstände zulassen, vor seiner Anwendung anzudrohen.“ So steht es im Polizeigesetz. Ist eine mündliche Androhung nicht erfolgversprechend, kann laut Innenministerium auch ein Warnschuss in Betracht kommen. Nach Auskunft der baden-württembergischen Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen ist das „oberste Ziel des polizeilichen Einschreitens“ die gewaltfreie Konfliktbewältigung. Daher würden in der Ausbildung die notwendigen psychologischen Kenntnisse für den Umgang mit gewaltbereiten Menschen sowie „taktische und situationsadäquate Handlungsalternativen bei der Bewältigung konfrontativer Begegnungen vermittelt“.

Hätte man erkennen können, dass Ertekin K. angeblich psychisch krank war?

Diese Frage zum Schönauer Fall stellt Kriminologe Kinzig ebenfalls in den Raum. Nach Aussage eines Vertrauten der Familie müssten der Polizei die psychischen Probleme bekannt gewesen sein, weil es bereits Vorfälle gegeben habe.

Dieses Bild von Ertekin E. wurde bei der Beisetzung ausgeteilt. © privat

Gibt es zur Deeskalation geschulte Spezialkräfte?

Für Selbstmordversuche etwa auf Brücken, Geiselnahmen oder Ähnliches habe jedes Polizeipräsidium speziell dafür ausgebildete „Verhandlungsgruppen“, so ein Sprecher der Hochschule. Sie seien bei der Kriminalpolizei angesiedelt und in ständiger Rufbereitschaft. Allerdings gibt Kinzig zu bedenken, nicht selten seien Situationen so dynamisch, „dass nicht erst auf ein Spezialteam gewartet werden kann“.

Muss ein Polizist auf die Beine zielen? Darf er gleich mehrere Schüsse abgeben, und gibt es einen „Mindestabstand“, ab dem geschossen werden muss?

Das alles ist offenbar nicht konkret vorgegeben, wie die Antwort des Ministeriums zu diesen Fragen zeigt: „Der Einsatz einer Schusswaffe unterliegt in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, heißt es. Polizisten würden „im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände“ selbst entscheiden, ob und in welcher Form ein Schusswaffengebrauch in Betracht komme. Fest definierte Mindestabstände gebe es nicht.

Wenn mehrere Polizisten einer bewaffneten Person gegenüberstehen: Wie wird entschieden, welcher Polizist schießt? Macht das die Einsatzleitung per Funk?

Auch dazu lautet die Antwort aus Stuttgart recht allgemein: „Polizistinnen und Polizisten stimmen ihr Einschreiten vor und während eines Einsatzes miteinander ab.“

Wie werden Polizisten zum Schusswaffengebrauch ausgebildet, und gibt es Auffrischungen?

Nach Angaben des Innenministeriums werden sie sowohl in Theorie und Praxis umfassend für Schusswaffen geschult. Geübt würden auch gefährliche Personen- und Fahrzeugkontrollen sowie das Betreten von Räumen mit Waffe. Dies werde nach der Ausbildung mit jährlichen Kontrollübungen aufgefrischt. Zudem sei regelmäßiges Schießtraining vorgeschrieben.

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Welche Vorgaben gibt es bei Angreifern mit Messer?

„Ein Messerangriff stellt für die betreffenden Einsatzkräfte eine äußerst gefährliche, häufig auch lebensgefährliche Einsatzlage dar“, erklärt das Ministerium. Aber auch da müssten die konkreten Umstände berücksichtigt und unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das geeignete Abwehrmittel gewählt werden, etwa Einsatzstock, Pfefferspray oder - auch wieder nur als Ultima Ratio - die Schusswaffe.

Lernen Polizeischüler, Angreifer mit Messer zu entwaffnen?

Dazu erklärt der Sprecher der Polizei-Hochschule: „Ein Messer ist gefährlicher als eine Schusswaffe. Wenn man so angegriffen wird, ist das Hochstress und lebensgefährlich.“ Solche Situationen würden zwar in der Ausbildung für den mittleren Polizeivollzugsdienst sowie im Studium trainiert werden. Über spezielle Techniken und Taktiken zur Abwehr will der Sprecher jedoch nichts sagen. Würden diese öffentlich bekannt, würde das die Sicherheit der Beamten gefährden.

Ließe sich mit der Einführung von Tasern im baden-württembergischen Polizeidienst der Schusswaffengebrauch reduzieren?

Der Einsatz von Tasern ist im Land aktuell Spezialeinheiten vorbehalten. Seit 2007 wurden Taser laut Innenministerium in 59 Fällen eingesetzt - im Jahr 2023 gar nicht. „Taser können in Einzelfällen sowie unter günstigen Rahmenbedingungen polizeiliche Zugriffsmaßnamen wirksam unterstützen“, erklärt das Innenministerium. Dazu zählten „insbesondere statische Einsatzlagen gegen bewaffnete Personen“. Allerdings sei für den Taser-Einsatz viel Training nötig. Und zur Abwehr von hochdynamischen Angriffen auf Beamte seien sie grundsätzlich ungeeignet, um die Täter auf die nötige Distanz zu halten. Eine landesweite Einführung von Tasern im Polizeidienst sei aktuell nicht vorgesehen. Allerdings bewerte man diese Frage immer wieder neu.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

Redaktion Stellvertr. Leiter der Lokalredaktion Mannheim

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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