Polizeieinsatz

Nach tödlichen Schüssen in Mannheim-Schönau: Kriminologe wirft Frage nach milderem Mittel auf

Eine Überzahl von Polizisten und vier Schüsse: Kriminologe Jörg Kinzig spricht im Interview über den Einsatz auf der Schönau und den Umgang der Polizei mit auffälligen psychisch Erkrankten

Von 
Lisa Uhlmann
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Am Tatort in der Johann-Schütte-Straße auf der Schönau erinnerten Kerzen, Grablichter, Blumen und Plakate an den getöteten Ertekin Ö. © Michael Ruffler

Mannheim. Die tödlichen Polizeischüsse auf den psychisch erkrankten und mit einem Messer bewaffneten Ertekin Ö. Ende Dezember auf der Schönau bewegen weiterhin die Stadt. Und werfen Fragen auf: Wie geht die Polizei bei Konfrontation am besten mit psychisch erkrankten Menschen um? Auf welche Mittel dürfen Beamte zurückgreifen, welche davon sind ungeeignet? Antworten drauf gibt Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

Jörg Kinzig (* 20. Dezember 1962 in Mannheim) ist ein deutscher Kriminologe und Strafrechtswissenschaftler. Er ist seit 2011 Direktor des Instituts für Kriminologie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. © Friedhelm Albrecht

Herr Kinzig, stellen gerade Personen mit psychischen Erkrankungen ein höheres Risiko für die Beamten dar?

Jörg Kinzig: Statistiken über Risiken bei polizeilichen Einsätzen gegen psychisch erkrankte Personen sind mir nicht bekannt. Auf ein irrationales Verhalten angemessen zu reagieren, stellt selbstverständlich eine besondere Herausforderung dar. Im konkreten Fall stellt sich insbesondere die Frage, warum der Mann trotz einer Überzahl von Polizeibeamten erschossen wurde, ob ein milderes Mittel hätte eingesetzt werden können und ob vier und noch dazu am Ende tödliche Schüsse erforderlich waren, um den Mann zu stoppen. Dies aufzuklären, wird Aufgabe der nächsten Wochen sein.

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Welche anderen Methoden gibt es denn, um solche Menschen unverletzt festzunehmen?

Kinzig: Pauschal lässt sich das nicht beurteilen. Es kommt immer auf den konkreten Einzelfall an. Hier wird zu ermitteln sein, warum der Mann nicht auf andere Weise, etwa durch einen Schuss in die Beine, kampfunfähig gemacht werden konnte.

In Baden-Württemberg dürfen Streifenbeamte ja keine Taser benutzen. Wären Taser oder Polizeihunde nicht ein besseres Mittel dafür?

Kinzig: Der Einsatz von Tasern ist nicht ohne Risiken für die davon Betroffenen und wird in seinem Nutzen unterschiedlich beurteilt. Polizeihunde müssen erst einmal vor Ort sein.

Zur Person

  • Jörg Kinzig ist am 20. Dezember 1962 in Mannheim geboren. Er ist studierter und promovierter Strafrechtswissenschaftler und Kriminologe. 2006 wurde Kinzig Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an die der Eberhard-Karls-Universität Tübingen berufen. Seit 2011 leitet er dort als Direktor das Institut für Kriminologie.
  • Seit 2023 ist Kinzig Präsident der Kriminologischen Gesellschaft, der größten wissenschaftlichen Vereinigung deutschsprachiger Kriminologinnen und Kriminologen.
  • Kinzigs Forschungsschwerpunkte liegen derzeit im Sanktionenrecht, in der Kriminologie, im Jugendstrafrecht und Strafvollzug. 

Würde es nicht helfen, wie in Hessen ein dafür ausgebildetes Spezialteam zu haben, das bei solchen Fällen angefragt wird?

Kinzig: Das ist grundsätzlich selbstverständlich sinnvoll. Nicht selten ist die Situation aber so dynamisch, dass nicht erst auf ein Spezialteam gewartet werden kann.

Wäre eine engere Zusammenarbeit zwischen Polizei und psychologischen Einrichtungen wünschenswert?

Kinzig: Jedenfalls ist eine Fortbildung auf dem Gebiet des Umgangs mit psychisch Erkrankten wichtig. Daher wird auch zu prüfen sein, ob man die psychische Vorerkrankung in diesem Fall hätte erkennen und welche Konsequenzen daraus hätten gezogen werden können.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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