Sorgt er in der Neckarstadt-West für eine Aufwertung? Oder für Gentrifizierung? An Marcel Hauptenbuchner und der Thor-Gruppe scheiden sich in Mannheim die Geister. Eine Bestandsaufnahme.
Das erste Klischee ist schon vor dem ersten Wort widerlegt. Marcel Hauptenbuchner fährt mit dem Motorroller statt mit der S-Klasse am Neumarkt vor. Und auch sonst wirkt der 44-Jährige an diesem Tag im Mai weniger wie ein Immobilienhai, eher wie der Chef einer Werbeagentur: weiße Turnschuhe, Jeans, grüner Parka, Vollbart. „Hallo.“
Das also ist der geschäftsführender Gesellschafter der Immobilienfirma Hildebrandt & Hees, die in Mannheim mehr als 75 Wohnhäuser verwaltet. Und das Gesicht der Thor-Gruppe, der in der Neckarstadt-West 46 Häuser gehören – knapp fünf Prozent des Bestands. Das macht sie nach der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG zum zweitgrößten Immobilienbesitzer des Stadtteils – und Hauptenbuchner zu einer der umstrittensten Personen Mannheims.
Anzumerken ist ihm das nicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Investoren gibt sich der studierte Volkswirt offen, nahbar. Er lacht viel, erzählt Persönliches und beantwortet praktisch jede Frage. Hauptenbuchner kann Menschen für sich einnehmen, so viel ist klar. Im Plauderton erzählt er gerne und ausführlich von seinen Ideen. Und lädt zu einem Rundgang durch die Neckarstadt-West, um einen Eindruck von seinen Projekten zu vermitteln.
„Hohes Risiko, hohe Rendite“
Begonnen hat er sie vor elf Jahren, als ein Freund ein Haus in Mannheim kaufen wollte. „In der Oststadt war die Rendite schwach“, sagt Hauptenbuchner. „Im Jungbusch war das Risiko hoch. Hohes Risiko bedeutet aber auch eine hohe Rendite.“ Also kauften sie dort ein Haus. Dann noch eins. Und noch eins. Zurzeit sind es 25, die inzwischen – über einen von der Bank BNP Paribas aufgelegten Fonds – einer „regionalen Pensionskasse“ gehören. Konkreter möchte Hauptenbuchner nicht werden. Hildebrandt & Hees verwaltet die Häuser. Genauso wie die 46 in der Neckarstadt-West.
Dort sind die Eigentumsverhältnisse allerdings anders. Die rund 430 Wohnungen gehören – in unterschiedlicher Zusammensetzung – Hauptenbuchner und drei Freunden, die die Thor-Gruppe bilden – benannt nach dem germanischen Donner-Gott. Zu seinen Partnern will der 44-Jährige nicht mehr sagen außer: „Das sind alles Mannheimer Unternehmer.“ Sie wollten nicht in der Öffentlichkeit stehen – das sei sein Part. Er betont aber, dass es ihnen nicht um das schnelle Geld gehe: „Wir wollen nicht kaufen und wieder verkaufen. Wir sind gekommen, um zu bleiben.“ Für manchen klingt das wie eine Drohung.
Der Rundgang beginnt am Neumarkt, in der Lutherstraße 25. Die neue Fassade des Gebäudes mit dem charakteristischen Erker strahlt in Weiß und Türkis. Im Erdgeschoss, wo früher eine Kneipe mit Spielautomaten war, ist jetzt ein Café: viel Holz, teils unverputzte Backsteinwände, Biomilch, Espresso „fruchtig oder schokoladig“. Szenig halt.
Dieses Haus zeigt ziemlich gut das Konzept der Thor-Gruppe: durch Gastronomie oder Geschäfte für Belebung sorgen, das Sicherheitsgefühl erhöhen und Verantwortlichkeiten schaffen. „Wer einen Laden hat, kümmert sich auch darum, dass der Gehweg anständig aussieht“, sagt Hauptenbuchner.
Szene-Café statt Spelunke
Die einen nennen das „Aufwertung“ oder „Stadtteilentwicklung“. Andere bezeichnen es als Gentrifizierung – also als Verdrängung der ansässigen Bevölkerung durch Wohlhabendere. Genau an dieser Stelle verläuft die Konfliktlinie – seit die Mietpreise überall in die Höhe geschossen sind und bezahlbarer Wohnraum zu einem kostbaren Gut geworden ist, kommt sie in so vielen deutschen Städten zum Vorschein.
Linda Kiefer weiß, auf welcher Seite dieser Linie sie steht. Sie engagiert sich im Offenen Stadtteiltreffen Neckarstadt (OST), einer privaten Bürgerinitiative, „die offen ist für alle Interessierten, die sich mit der Wohnsituation auseinandersetzen wollen“. Für Kiefer ist Hauptenbuchner so etwas wie ein Miethai, dem es vor allen Dingen darum gehe, „so viel Umsatz wie möglich zu machen“. Er kaufe Häuser, setze die Bewohner mit teils fragwürdigen Mieterhöhungen oder Modernisierungsankündigungen unter Druck und spekuliere anscheinend darauf, dass sie auszögen. Dann sei der Weg frei für die Sanierung. Das Ergebnis: „Die Menschen können sich die Miete nicht mehr leisten.“ Darum hat die Initiative jüngst eine Demonstration organisiert, zu der rund 150 Menschen gekommen seien.
Kaufen, sanieren, teuer vermieten: Diesen Vorwurf will Hauptenbuchner auf dem Weg Richtung Mittelstraße so nicht stehenlassen. „Klar verlangen wir bei einer kernsanierte Wohnung auch mal 13 Euro pro Quadratmeter. Aber 80 Prozent der anderen Wohnungen liegen im normalen Bereich“, sagt er. „Wir haben in unseren Häusern auch Mieten deutlich unter acht Euro und sogar Bestandsmieten von 4,50 Euro.“ An Familien mit Kindern vermiete man generell 30 Prozent günstiger.
Ganz ohne Sanierungen gehe es aber nicht, wie der jüngste Kauf der Thor-Gruppe in der Elfenstraße zeigt. Schon vor zehn Jahren hatte der „MM“ über den zweigeschossigen Klinkerbau berichtet. Damals fand die Polizei bei einer Razzia ein überbelegtes und teils vermülltes Haus vor. Viel verändert hat sich seither nicht. Weil es keine Zentralheizung gibt, haben die Bewohner in ihren Öfen offenbar alles Mögliche verbrannt. Ein Mitarbeiter Hauptenbuchners räumt gerade die vermoderten Keller auf, wo er Teppichstücke gefunden hat – mit brennbarer Flüssigkeit getränkt.
„Wir haben hier im Stadtteil einen riesigen Renovierungsstau“, sagt Hauptenbuchner. „Die 400-Euro-Wohnungen werden nicht noch 20 Jahre funktionieren, da ist oft noch Elektrik aus den 50er und 60er Jahren drin.“ Und wenn er für eine Kernsanierung 50 000 Euro investiert habe, „kann ich statt 400 auch 800 Euro Miete verlangen, denn die sanierte Wohnung ist eine völlig andere.“ Er fügt hinzu: „Natürlich haben Sie dann einen anderen Mieter.“
Deshalb beäugt auch der Mieterverein die Aktivitäten der Thor-Gruppe skeptisch. Der Vorsitzende Gabriel Höfle berichtet von einem Haus der Gruppe in der Dammstraße, wo die Miete in einer Wohnung nach der Sanierung doppelt so hoch gewesen sei wie davor. Nach Höfles Informationen zahle die Thor-Gruppe für Häuser viel mehr, als sich über die aktuelle Nettojahreskaltmiete wieder erwirtschaften lasse. „Die Thor-Gruppe kalkuliert offenbar gleich mit drastischen Mietpreissteigerungen.“ Darum wirft er ihr ein Geschäftsmodell vor, „bei dem sie die Marktlage ausnutzt und Häuser zu jedem Preis kauft – wohl wissend, dass sie die Miete zeitnah anpassen muss. Das befördert Verdrängung und den Gentrifizierungsprozess in der Neckarstadt-West.“
Es geht zurück zum Neumarkt. Hauptenbuchner kennt viele im Stadtteil, hier ein Hallo, da ein Plausch. Von einem will er aber nicht sprechen: Gentrifizierung. „Wir sanieren im Jahr vielleicht 25 Wohnungen. Und das bei einem Gesamtbestand von mehr als 10 000. Wir sollen mit unseren vier Prozent tatsächlich die ganze Neckarstadt verändern?“ Er sagt aber auch: „Natürlich wird der Anteil günstiger Wohnungen sinken.“
Ist das jetzt gut oder schlecht für die Neckarstadt-West? Da ist sie wieder, die Konfliktlinie. Sicher ist nur eines: Im Vergleich zum Ost-Teil ist ein Haus hier zurzeit etwa die Hälfte wert, sagt Hauptenbuchner. Man könnte es auch andersherum ausdrücken: Wenn sich die Neckarstadt-West genauso entwickelt, wären die Häuser der Thor-Gruppe irgendwann wohl das Doppelte wert.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Thor-Gruppe in der Neckarstadt-West: Mehr Nutzen als Schaden