Mannheim. Das Wirken der Thor-Gruppe in der Neckarstadt-West ist umstritten. Wir haben die Fraktionen im Mannheimer Gemeinderat gefragt, wie sie das Engagement des Investors bewerten. Und welche Konsequenzen sie daraus für das politische Handeln ihrer Fraktion ziehen? Hier sind die ausführlichen Stellungnahmen.
Grüne:
Der Fraktionsvorstand bestehend aus Melis Sekmen, Stefanie Heß und Gerhard Fontagnier erklärt:
„Die Entwicklung von Stadtteilen ist eine demokratische Aufgabe der Stadtgesellschaft, ihrer gewählten Vertreter*innen und zu allererst der zuständigen Fachverwaltung. Dabei muss in einem ausgewogenen Verhältnis sowohl mit privaten Investoren als vor allem auch mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG, mit gemeinschaftlichen Wohnprojekten, Genossenschaften und den engagierten Menschen in den Stadtteilen zusammengearbeitet werden. Die Stadtteilentwicklung alleine an private Investoren zu „delegieren“ und sich dadurch als Stadt abhängig zu machen, lehnen wir strikt ab. Die Zusammenarbeit mit privaten Investoren braucht Transparenz und klar zu vereinbarende Regeln, die von der Stadtverwaltung und der Stadtpolitik gemeinsam gesetzt werden müssen. Damit Veränderung zum Wohle der Menschen im Stadtteil erfolgen und sie bei den Entwicklungen mitgenommen werden. Mit unverbindlichen Vereinbarungen lässt sich auch keine soziale Sicherung gewährleisten. Nach unseren Beobachtungen leiden unter solchen starken privaten Vorstößen all jene, die weder über eine Lobby noch über eine gesicherte und ausreichende Lebensgrundlage verfügen. Wir erwarten, dass die Stadtverwaltung die Entwicklung der Stadtteile und die Steuerung der Wohnungspolitik federführend in öffentlicher Händen behält. Dafür gibt es Mittel und Möglichkeit, die wir beispielsweise mit Erhaltungs- und Milieuschutzsatzungen mehrfach, leider erfolgslos, gefordert und beantragt haben. Auch auf die von uns beantragte Zweckentfremdungssatzung warten wir ebenfalls mittlerweile seit ca. 3 Jahren vergeblich. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die Verdrängung von Menschen, die sich die stetig wachsenden Mieten nicht mehr leisten können, sind für uns komplett inakzeptabel. Es entspricht nach unserer Meinung auch nicht den Leitlinien der Stadt Mannheim. Für uns GRÜNE spielt bei der Schaffung und Erhaltung bezahlbaren Wohnraums die GBG die zentrale Rolle. Gerade in dicht besiedelten Quartieren muss die GBG ihre Kaufaktivitäten deutlich erhöhen. Das Engagement der GBG in der Neckarstadt West begrüßen wir ausdrücklich, auch wenn wir es uns schon deutlich früher gewünscht hätten.
SPD:
Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Isabel Cademartori (Sprecherin für Stadtentwicklung) und Reinhold Götz (wohnungspolitischer Sprecher) erklären:
„Mit dem Ausweis eines Sanierungsgebietes ist grundsätzlich das Ziel verbunden, zur Verbesserung des Wohnungsbestandes und des Wohnumfeldes auch privates Kapital zu mobilisieren. Daher begrüßen wir es grundsätzlich, dass im Sanierungsgebiet Neckarstadt-West der Wohnungsbestand saniert und teilweise auch modernisiert wird, allerdings nicht, wenn damit Menschen wegen überzogener Renditeerwartungen aus dem Stadtteil gedrängt werden sollen. Wir unterstützen ausdrücklich das Engagement der GBG, bestehenden Wohnraum zu sanieren und teilweise zu modernisieren, wie dies z.B. in der Untermühlaustraße erfolgte und neue Immobilien zu erwerben, um zusätzlichen Wohnraum vor allem für Familien zu schaffen. Allerdings wären weitere finanzielle Mittel und Instrumente von Bund und Land notwendig, um noch wirksamer in gewachsenen Stadtteilen wie der Neckarstadt bezahlbaren Wohnraum erhalten und neu schaffen und das Wohnumfeld verbessern zu können. So lange wir solche Instrumente, wie z.B. ein deutlich verbessertes Vorkaufsrecht nicht haben, können wir als Stadt Investoren grundsätzlich nicht daran hindern, Immobilien zu kaufen. Deshalb ist es aus unserer Sicht notwendig, dass seitens der Stadt mit einem großen Investor wie der Thor-Gruppe beispielsweise durch sogenannte Abwendungsvereinbarungen versucht wird, Einvernehmen über gemeinsame Ziele und den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum zu erzielen. Dabei müssen die Einhaltung dieser Ziele nachvollziehbar kontrolliert werden. Dazu ist es notwendig, dass auch von Seiten der Thor-Gruppe mehr Transparenz als bisher hergestellt wird. Ein „sozialer“ Umgang mit den Mietern/innen ist eine zwingende Voraussetzung für eine konstruktive Zusammenarbeit. Darüber hinaus erwarten wir, dass auch die Thor-Gruppe soziale Initiativen, wie z.B. das Campus-Projekt im Stadtteil unterstützt. Das Engagement der Thor-Gruppe auch eine attraktivere Gastronomie- und Gewerbelandschaft zu schaffen, ist aus unserer Sicht vor allem dann zu unterstützen, wenn dadurch Orte des Glückspiels und der Prostitution aus dem Stadtteil gedrängt werden. Dadurch kann die Neckarstadt-West, die einen erheblichen Teil alteingesessener Gewerbetreibende und Gastronomen verloren hat, durchaus aufgewertet werden. Allerdings ist es für uns dabei wichtig, dass der Stadtteil nicht zu einem „zweiten Jungbusch“ wird, sondern in erster Linie ein Quartier für Familien bleibt. Um dies zu unterstützen, setzen wir uns als SPD-Fraktion vor allem auch dafür ein, bessere Bildungschancen in der Neckarstadt zu schaffen. Deshalb engagieren wir uns besonders für das Campus-Projekt, haben die Sanierung des Kaisergarten durchgesetzt und fordern die Schaffung von Ganztagsschulen im Stadtteil, um die überdurchschnittliche Mieterfluktuation insbesondere bei Familien, deren Kinder das Grundschulalter erreichen, zu beenden und somit eine stabile Mieter- und Bewohnerstruktur zu etablieren. Wir halten es außerdem für wichtig, Initiativen wie „Alter“ sowie die zahlreichen Kulturinitiativen vor Ort dauerhaft zu unterstützen, damit das Alleinstellungsmerkmal an Diversität, das nur in der Neckarstadt-West in dieser Größenordnung vorkommt, dauerhaft erhalten bleibt. Dies muss auch im Interesse der Investoren sein, eine finanzielle Beteiligung wäre deshalb zu begrüßen.“
CDU:
Fraktionschef Claudius Kranz erklärt:
„Für die CDU Fraktion steht außer Frage, dass die Neckarstadt-West eine nachhaltige, neue städtebauliche Entwicklung benötigt. In viele Bestandsgebäude ist in den letzten 30-40 Jahren kaum etwas investiert worden. Die Wohnqualitäten sind daher häufig schlecht (Schimmelbildungen, Einzelöfen zur Beheizung und alte, wenig gedämmte Fenster sind nur ein paar Beispiele). Insofern befürworten wir die gezielte Weiterentwicklung angemessenen Wohnens in der Neckarstadt West. Wir wissen, dass dies häufig ein schmaler Grat ist. Daher befürworten wir ausdrücklich den eingeschlagenen Weg der Stadtverwaltung mit Investoren in der Neckarstadt-West und hier insbesondere der Thor-Gruppe möglichst partnerschaftlich zusammenzuarbeiten und über die städtische Wohnungsbaugesellschaft GBG ebenfalls auf dem Markt als Investor aufzutreten. Auch die in der Vergangenheit bereits zahlreich abgeschlossenen Abwendungsvereinbarungen im Rahmen des Konzeptes der lokalen Stadterneuerung halten wir für sinnvoll.“
LI.PAR.Tie:
„Die Fraktion LI.PAR.Tie. begrüßt grundsätzlich, dass die Neckarstadt-West als Sanierungsgebiet ausgewiesen ist und durch die Lokale Stadterneuerung (LOS) der öffentliche Raum, die Wohnumfeldsituation und das Wohnraumangebot verbessert werden. Jedoch leidet die Neckarstadt-West unter der stadtweiten Mietpreisentwicklung, die auch für die Mittelschicht wie etwa eine Krankenschwester kaum noch bezahlbar ist. Die aktuellen Mieten betragen in der Neckarstadt-West bei Neuvermietungen durchschnittlich 10 €/m² kalt aufwärts. Eine Ursache dafür ist der Verkauf von immer mehr Häusern an Investoren. Deswegen sehen wir das Engagement dieser Investoren kritisch. Hildebrandt & Hees als der größte private Investor bzw. die einzelnen Thor-Gesellschaften besitzen derzeit 46 Häuser in der Neckarstadt-West. Das sind zwar nur 4 Prozent des Gebäudebestandes, aber bezüglich Neuvermietungen ein relevanter Faktor. Marcel Hauptenbuchner, Geschäftsführer der Hildebrandt & Hees, baut seinen Einfluss im Stadtteil auch über Stadtentwicklungsprojekte mit eigenen Konzepten wie etwa „Westwind“ und teilweise eigenen finanziellen Mitteln aus. Unbestritten sind dabei gute Ansätze wie weniger KFZ-Verkehrsfläche und Fassadenbegrünungen. Diese dienen jedoch unseres Erachtens nach einer Attraktivierung des Wohnumfeldes zur Erzielung höherer Mietpreise. Wir sind überzeugt, dass Herr Hauptenbuchner als Player der behutsamen Stadterneuerung mit verdeckten Karten spielt, sodass es vordergründig um mehr Aufenthaltsqualität, faktisch aber nur um die eigenen Profitinteressen geht. Zudem kritisieren wir die Intransparenz seitens der Stadtverwaltung bei den Abwendungsvereinbarungen, die die Stadt mit den Investoren abschließt. Auch nach Anfrage im Gemeinderat und Nachhaken haben wir bisher keine Auskünfte darüber erhalten, ob diese Abwendungsvereinbarungen kontrolliert werden, ob es Verstöße gibt und ob diese Verstöße geahndet werden. Dabei darf niemand aufgrund steigender Mietpreise aus der Wohnung oder dem Stadtteil verdrängt werden. Wir als LI.PAR.Tie. fordern daher ein stärkeres Engagement seitens Stadt und GBG: Die Stadt muss die volle Kontrolle über die Quartiersentwicklung behalten. Nicht Privatinvestoren, sondern die Kommune selbst soll Wohngebäude aufkaufen und sanieren, indem sie von Ihrem Vorkaufsrecht mehr Gebrauch macht. Hierfür braucht es eine Ausweitung des Bodenfonds bzw. kommunale Haushaltsmittel speziell für die Sicherung von preiswertem Wohnraum. Mit Unterstützung durch Landes- und Bundeszuschüsse soll sichergestellt werden, dass die Mieten auch nach Sanierung dauerhaft niedrig bleiben können.
AfD:
AfD-Fraktionschef Bernd Siegholt erklärt:
„Wir finden das Engagement der Thor-Gruppe gut, weil sie Gebäude saniert und so ein zahlungskräftiges Klientel anzieht. Damit sorgt sie für eine echte Durchmischung im Stadtteil und eine positive Stadtteilentwicklung - und das ist es, was wir in der Neckarstadt-West dringend brauchen. Nach dem, was wir wissen, saniert die Thor-Gruppe anständig und betreibt ihre Immobilien langfristig. Hinter der Thor-Gruppe stehen kapitalkräftige Leute, die Mannheim vorwärtsbringen und ihr Kapital positiv einsetzen wollen.“
FDP/Mittelstand für Mannheim:
Volker Beisel, wohnungsbaupolitischer Sprecher der FDP / MfM-Fraktion, erklärt:
„Es gibt in Mannheim leider immer noch nicht genug Wohnraum, und zwar in jedem Preissegment. Deshalb sind wirksame Investitionen wichtig, sowohl von staatlicher Seite als auch von privaten Investoren. Dazu braucht es Neubau, Sanierungen, Reaktivierung von Wohnraum und eine sorgsame Nachverdichtung. Dazu leisten fast alle privaten Investoren - wie eben auch die Thor-Gruppe - einen wichtigen Beitrag. Gerade beim Thema Reaktivierung ist die Thor-Gruppe besonders aktiv. Der Dialog aller Akteure und der offene, ehrliche Austausch ist unverzichtbar, um etwaige Konfliktlinien befrieden zu können aber auch um die unterschiedlichen Interessen offen zu legen. Die Thor-Gruppe bringt sich im Gegensatz zu vielen anderen Investoren aktiv in die lokalen Diskussionen ein. Nicht alle Ideen müssen allen gefallen, aber die Thor-Gruppe ist kein namenloser Investor. Sondern ein lokaler Unternehmer, der nicht nur ein legitimes Interesse daran hat Geld zu verdienen, sondern sich auch besonders für die Stadt interessiert und engagiert.“
Freie Wähler/Mannheimer Liste (ML):
Die Fraktion erklärt:
„Der Fraktion ist das derzeitige Engagement der Thor-Gruppe insbesondere in der Neckarstadt-West nicht im Detail bekannt. Eine Einschätzung mit einer Stellungnahme zu evtl. Konsequenzen hinsichtlich unseres politischen Handelns ist deshalb derzeit nicht möglich. Darüber hinaus werden wir keine Kommentare zu geschäftlichen Aktivitäten einer privater Firma abgeben.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Thor-Gruppe in der Neckarstadt-West: Mehr Nutzen als Schaden