Mannheim. „Not sehen und handeln“ lautet ein Leitspruch der Caritas. 1905 haben in Mannheim katholische Gruppen beschlossen, ihre Angebote gelebter Nächstenliebe zu bündeln. Das Engagement von Ehrenamtlichen galt dabei als tragende Säule. 120 ereignisreiche Jahre vom Caritas-Comité bis zum Wohlfahrtsverband werden am Sonntag, 28. September, mit einem Festgottesdienst und einer Feier gewürdigt. Anlässlich des Jubiläums lässt diese Redaktion drei von insgesamt rund 1000 Ehrenamtlichen zu Wort kommen.
In den frühen Jahren waren es hauptsächlich Ordensschwestern und Geistliche, die Caritas-Arbeit geprägt haben. Ausgebildete Sozialfachkräfte oder Therapeuten sollten erst viel später kommen. Hingegen erwiesen sich Ehrenamtliche – ob Mitglieder der Pfarreien oder „Damen der besseren Gesellschaft“, wie es damals hieß – von Anfang an als unentbehrlich.
120 Jahre Caritas in Mannheim
1905 hat sich das Caritas-Comité Mannheim als Zusammenschluss katholischer Gruppen mit Einrichtungen wie Bahnhofsmission, Krankenhaus, Waisenhäusern und Bürgerhospital gegründet. 1912 kam die Umwandlung in den Caritasverband .
Die doppelte Vorstandsspitze bilden aktuell Regina Hertlein und Volker Hemmerich.
Der Festgottesdienst mit anschließender Feier beginnt am Sonntag, 28. September, um 10 Uhr in der Kirche St. Franziskus (Speckweg 8-12) mit Dekan Karl Jung und Monsignore Axel Mehlmann. wam
Zum Beispiel bei der Bahnhofsmission: Sie entstand, weil die rasante Industrialisierung junge, oft minderjährige Frauen vom Land in aufstrebende Städte zog, wo sie sich eine Stellung in einem wohlhabenden Haushalt versprachen. Aber nicht wenige der hoffnungsvoll in Wirtschaftszentren wie Mannheim gereisten Töchter armer Familien sollten schon beim Verlassen der Eisenbahn von Schleppern mit unseriösen Versprechen abgeworben werden und manchmal nicht mehr auftauchen. Dem wollte die Bahnhofsmission direkt am Gleis vorbeugen.
Ehrenamtliche dieses Rund-um-die Uhr-Dienstes nehmen heute längst keine „Dienstmädchen“ mehr in Empfang, sie kümmern sich stattdessen um Gestrandete, Bestohlene, Verzweifelte oder Obdachlose und unterstützen hilfsbedürftige Reisende beim Ein- und Aussteigen. Die Bahnhofsmission ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Aufgaben verändern.
Die 81-jährige Marliese Schumacher weiß um sich wandelnde Herausforderungen im sozialen Ehrenamt: „Aber früher wie heute geht es um Menschen.“ Über die katholische Jugend und die Pfarrei St. Sebastian – „in der Kirche habe ich geheiratet, wurden meine drei Kinder getauft“ – sei sie ins Ehrenamt „gerutscht“. 1985 entschied sich Marliese Schumacher, beim Besuchsdienst ihrer Gemeinde mitzumachen. „Damals haben Ältere noch viel vom Krieg und der Flucht erzählt“, blickt sie zurück.
Marliese Schumacher ist seit 1985 im Besuchsdienst tätig
Als sie die Leitung übernahm, war sie Mitte 50 und traf schon bald eine Entscheidung, „die ich immer wieder machen würde“: Der Besuchsdienst wurde Mitglied im Caritasverband. „Dadurch sind wir in eine Gemeinschaft eingebettet.“ Und die biete auch fachlichen Erfahrungsaustausch. Sich veränderten Bedürfnissen anpassen, kennt sie nur zu gut. Marliese Schumacher berichtet von der Corona-Pandemie, als „Seelentröster“ verschickt und vereinbarte Einkäufe vor die Tür gestellt wurden, „um irgendwie Kontakt aufrechtzuerhalten“. Inzwischen gibt es keine Isolationsbestimmungen mehr, „aber wir haben es zunehmend schwer, in Häuser und Wohnungen zu kommen, weil häufig Namensschilder fehlen“.
Weit mehr treibt die 81-Jährige freilich um, dass sie schon lange eine Nachfolge sucht, aber nicht findet. In den anderen katholischen Innenstadtgemeinden gebe es schon gar keinen Besuchsdienst mehr. Noch gehören zu ihrem Team neun Frauen, die alte und einsame Menschen besuchen. Die Jüngste ist 58. „Aber früher waren wir mal 25.“
Als überzeugte Katholikin ist für sie wichtig, dass die Kirche „Räume für Menschen“ schafft. Solange sie gesundheitlich kann, will sie den Besuchsdienst aufrechterhalten und an Maria Himmelfahrt symbolträchtige Kräutersträußchen überreichen. „Man gibt nicht nur, sondern bekommt ganz viel zurück“, beschreibt sie ihre Motivation.
Ehrenamtlichkeit ist bei dem Wohlfahrtsverband bis in die Führungsspitze verankert. Deshalb beruft der Caritasrat den hauptamtlichen Vorstand. Und wie fand Andrea Kloster, seit 2020 Richterin am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, in dieses einem Aufsichtsrat ähnlichen Gremium? Noch an der Mannheimer Schloss-Universität über Umwege, erzählt sie. Der Pfarrer der Hochschulgemeinde habe sie angesprochen, weil er vom damaligen Caritas-Chef Franz Pfeifer wusste, dass im ehrenamtlichen Team rechtliche Expertise gesucht wurde.
Andrea Kloster ist als promovierte Juristin im Caritasrat tätig
2006 ist die promovierte Juristin in den Caritasrat gewählt worden. Seitdem gestaltet sie die Geschicke des Verbandes mit. An der strategischen Ausrichtung beteiligt zu sein und dabei etwas der Gesellschaft zurückgeben zu können, bezeichnet die VGH-Richterin und Mutter von drei Kindern als „Herzensangelegenheit“. Die 49-Jährige begeistert, wenn es der Caritas gelingt, auch „einen Beitrag zur Stadtentwicklung“ zu leisten - beispielsweise auf dem Waldhof mit dem Zentrum St. Franziskus am neu gestalteten Taunusplatz.
Neue Wege beschreitet das Ehrenamt im Bereich „youngcaritas“. Dazu gehören beispielsweise unter dem Motto „Buddy gesucht“ Patenschaften für geflüchtete Menschen, die Deutsch lernen möchten. Eine solche Begleitung hat Matthias Kleinermann übernommen. Eigentlich ist der Betriebswirtschaftler erst im Februar nach Mannheim gekommen, um an der Schloss-Universität seinen Doktor zu machen. Davor habe er bei einem Konzern an seiner Berufskarriere gestrickt – „so ganz klassisch“. Die Promotion sieht der 30-Jährige als Erweiterung seines Horizontes. Und deshalb möchte er auch noch „etwas ganz anderes“ machen.
Matthias Kleinermann macht Sprachtraining mit Juri aus der Ukraine
Weil er durch eigene Erfahrungen und solchen von ausländischen Lehrstuhl-Kollegen weiß, wie schwierig es ist, sich eine andere Sprache anzueignen, sagte er zu, als die Caritas ihm eine solche Patenschaft vorschlug. Zu einem Mann aus der Ukraine habe er schon bei der ersten Begegnung „einen Draht aufbauen“ können. Als „tolle Erfahrung“ wertet er Treffen, die gezielt dem Sprechen dienen, aber auch dem menschlichen Austausch.
Matthias Kleinermann besucht mit Juri, der vom Alter her sein Vater sein könnte, auch das von „youngcaritas“ in C2 initiierte multikulturelle Sprachcafé. Den wissenschaftlichen Uni-Mitarbeiter wundert nicht, dass bei solchen Projekten auch zunehmend unterstützende Männer - bei den meisten Ehrenämtern eher Exoten - gewonnen werden. Sein Engagement empfindet er also etwas wie „Freizeitaktivität mit Freunden“ - mit dem Vorteil, es zeitlich in seine Uni-Verpflichtungen einbauen zu können.
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