Mentale Gesundheit

Psychosoziales Zentrum für Geflüchtete in Mannheim eröffnet

Zwei Caritasverbände schaffen ein Zentrum, um traumatisierte Geflüchtete besser zu betreuen. Einer der Standorte wird Mannheim sein. Wir waren vor Ort.

Von 
Lea Seethaler
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In den neuen Räumen des Cabrini-Centers in E 2, 1-3 v.l.: Regina Hertlein, Vorstandsvorsitzende Caritasverband Mannheim, Kateryna Karasova, Psychologin und Mitarbeiterin Cabrini-Center, Johanna Roth, Leiterin Cabrini-Center und Stefanie Paul, Leiterin Abteilung Arbeit – Migration – Soziales des Caritasverbands. © Lea Seethaler

Mannheim. „Schon in der Bibel steht: Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“, sagt Regina Hertlein, Vorstandsvorsitzende des Caritasverbands, bei der Eröffnung des neuen Psychosozialen Zentrums für Geflüchtete. Sie blickt zu den anwesenden Pressevertretern. „Doch nach Aufnahme geht es erst richtig los. Dann beginnt die Integration, die gelingen muss.“

„Schon vor vier Jahren haben wir versucht, das Zentrum mit Fördermitteln hochzuziehen“, sagt Stefanie Paul, Leiterin des Bereichs Arbeit – Migration – Soziales beim Caritasverband. „Wir haben fast die Segel gestrichen, nie hat es geklappt.“ Bürokratische Hürden etwa hätten es verhindert.

Traumatisierte Geflüchtete: Eine Schutzpatronin der Migranten ist Namensgeberin in Mannheim

Dann aber jüngst der Lichtblick: Der Förderantrag bei der EU wurde bewilligt. „Drei Wochen Vorlaufzeit hatten wir, dann musste es losgehen“, sagt Paul. Doch sie hatten schon vorgesorgt, einen „Kickoff“ organisiert und „sehr gutes Personal in der Pipeline“.

Gehämmer ist zu hören, während die Pressekonferenz stattfindet. „Die Räume werden gerade noch eingerichtet“, sagt Paul und blickt auf die Folien in der Baustelle. „Sie werden sehr schön werden.“ Man merkt dem Team die Freude und eine ganz besondere Motivation an, als sie vor den Journalisten sitzen.

Es geht hier um Menschen, die Folter, aber auch sexuelle und psychische Gewalt erlebt haben
Johanna Roth Leiterin Cabrini-Center

Warum heißt das Zentrum Francesca Xaviera Cabrini-Center? „Man hat sich sicher gefragt: Noch komplizierter hätten die den Namen nicht wählen können für die hier Ankommenden. Doch es war uns wichtig, diese Frau zu nehmen, sie ist die Schutzpatronin der Migranten“, sagt Paul.

Als Italienerin wanderte sie in die USA aus und kümmerte sich dort um Migranten. Die Ordensgründerin wurde heiliggesprochen. „Es war uns auch wichtig, dass es eine Frau ist“, sagt Paul und verweist auf die männerdominierten Namen von Einrichtungen. „Außerdem haben wir jetzt irgendwie eine schöne Achse zur Jesuitenkirche, wo der Schutzpatron der heilige Franz Xaver ist.“ In Zukunft, sind sich alle auf dem Podium sicher, wird das Zentrum nur das „Cabrini-Center“ genannt werden.

4,5 Millionen Euro fließen nach Mannheim und in die Ortenau

Hertlein sagt: „Es ist der größte nichtinvestive Förderantrag, den die Caritas Mannheim je gestellt hat, der hinter dem Zentrum steht.“ Ganze 4,5 Millionen Euro fließen jetzt in das Projekt. Es ist auf drei Jahre gefördert.

Geteilt werden die Fördergelder mit der Caritas Ortenau. Warum Ortenau? „Es gab gute Kontakte dorthin und es muss menscheln bei solch einem Projekt, dass das gelingt“, so Paul. „Zudem konnten wir feststellen, dass im Raum Offenburg und eben auch in Mannheim eine massive Unterversorgung der psychosozialen Beratung für Geflüchtete vorliegt.“

Fördersumme und Mitarbeiter sind in etwa gleich aufgeteilt, rund zwölf Stellen wird es insgesamt geben. „Allerdings liegt die Lead Agency, also die führende Organisation, größtenteils in Mannheim“, sagt Paul. „Hier werden Psychologen, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter arbeiten“, erklärt Paul. Auch kultursensibles Dolmetschen ist ein Herzstück der Beratung. „Wir haben im Team etwa Menschen, die Russisch, Belarussisch, Ukrainisch und Persisch sprechen“, erklärt sie.

Das sind die Symptome eines Traumas

  • Ein Symptom für ein Trauma ist unter anderem, dass die Erinnerung an die Situation ganz echt wirkt. Vor dem geistigen Auge sieht man immer wieder, was passiert ist, erlebt sogar wieder, was man gerochen, gehört oder gedacht hat dabei. Und wie sich der eigene Körper angefühlt hat. Wie schwer sich die Belastungen von etwa Krieg auf die geflüchteten Menschen auswirken, hängt immer auch vom Erlebten und von den Lebensumständen ab.

Trauma bedeutet „immer auf der Hut“ sein

  • Bei einem Trauma unterscheidet man zwischen verschiedenen Symptom-Clustern, unter denen Betroffene dann leiden. Der erste ist das ständige Wiederaufleben des Geschehenen, etwa als Flashbacks oder in Form von Alpträumen. Diese Erinnerungen erleben die Menschen als ganz lebendig.
  • Menschen leiden zweitens zudem an sogenannten Vermeidungssymptomen. Sie meiden all das, was die Erinnerungen an das Geschehene wachrufen könnte. So schaut dann der oder die Betroffene etwa kein TV mehr, aus Angst, eine Szene aus dem Krieg könnte gezeigt werden und alles wieder hochkommen lassen.
  • Und drittens befinden sich Betroffene schließlich in einem stetigen Zustand Übererregtheit, sind „immer auf der Hut“, sind schreckhaft, reizbar oder schlaflos.

„Es geht hier um Menschen, die Folter erlebt haben, Gewalt, sexualisierte Gewalt, psychische und physische Gewalt“, ergänzt Johanna Roth, die das Cabrini-Center leiten wird. Sie ist seit fast zehn Jahren in der Beratung Geflüchteter aktiv. „Hierher werden Menschen herkommen, die gesehen haben, wie ihre Mutter vergewaltigt wurde oder Kinder, die, sobald ein wenig Lärm von der Straße durchs Fenster tönt, unter den Tisch krabbeln und nicht mehr hervorkommen“, sagt Roth mit fester Stimme.

30 Prozent der Geflüchteten sind traumatisiert

Sie macht eine Pause. „Wir wissen, dass 30 Prozent der Geflüchteten traumatisiert sind, einige leiden schon an Traumafolgestörungen.“ Traumafolgestörungen entstehen, wenn nach einem schrecklichen Ereignis nicht schnell genug darüber gesprochen und dieses aufgearbeitet wird. Es müssen Strategien, mit den danach aufkommenden unvorstellbaren Gefühlen umzugehen, erlernt werden. Die Störung ist quasi eine Manifestierung des Traumas, die zu Alpträumen, Depressionen, Flashbacks und anderen schweren psychischen Krankheiten führen kann.

Viele Therapeuten können für diese Menschen keine passenden Therapien bieten. Wir wollen auch sie fortbilden
Johanna Roth Leiterin Cabrini-Center

Es wird im Cabrini-Center keine Therapie angeboten werden, sagt Johanna Roth. „Im Optimalfall ist die Person bei uns, bis sie eine Psychotherapie findet“, so Roth. Auf die Frage, ob das wissend um die Wartezeiten nicht zum Problem werden könnte, da etwa die „Pipeline“ verstopft ist, sagt Stefanie Paul: „Bis dahin werden auch wieder Menschen, die stabilisiert worden sind, einen Platz frei gemacht haben.“

Cabrini-Center Mannheim will traumatisierte Geflüchtete stabilisieren

„Es wird hier psychologische Hilfe und Beratung geben. Es wird aber auch Schulungen für Ehrenamtler geben und für Fachpersonen und Institutionen“, ergänzt Roth. Man sei keine Konkurrenz zu anderen Angeboten, sondern wichtiges Bindeglied.

Noch ist das Schild in den Quadraten in Mannheim provisorisch: Doch bald geht im Francesca Xaviera Cabrini-Center die Beratung traumatisierter Geflüchteter los. © Lea Seethaler

„Auch etwa Psychologen und Psychotherapeuten sind Zielgruppe. Viele nehmen keine Geflüchteten auf, auch weil sie für die Hintergründe der Menschen keine passenden Therapien anbieten können. Wir wollen ermutigen, dass wir auch dazu ausbilden, besser mit Menschen, die schwere Folter erlebt haben, zu arbeiten.“

Roth weist auch auf das Problem hin, dass Geflüchtete nach Ankunft 36 Monate unversichert sind. Sie haben etwa nur Anspruch auf Behandlung, wenn akute Schmerzen vorliegen. „Diese Lücke wollen wir schließen.“

Traumatisierte Geflüchtete in Mannheim: Kultur- und traumasensibel dolmetschen und beraten

Es wird auch Gruppenangebote geben. Zudem Gespräche, wo eine Sozialarbeiterin und eine Psychotherapeutin eine „Bestandsaufnahme“ machen.

„Wir wollen vor allem positive Alltagssituationen bieten. Helfen bei Sprache, beim Thema Wohnen und Jobsuche. Viele dieser Angebote gibt es bei uns in der Caritas. Wir sehen uns vor allem als Vermittler zu diesen und anderen in der Stadt. Auch Tandempartnerschaften, Freizeitaktivitäten und Begleitung zu Terminen sind geplant. Zudem sind asylrechtliche Gutachten für das Asylverfahren möglich.“

Ehrenamtler sind stets und gerade jetzt im Cabrini-Center für Mitarbeit gesucht, betonen die drei Frauen mit Nachdruck. Sie können am Cabrini-Center auch geschult werden (Kontakt bei Interesse per E-Mail: cabrini@caritas-mannheim.de; Adresse E2,1-3).

Es weint sich besser in der Muttersprache
Stefanie Paul Leiterin Abteilung Arbeit - Migration - Soziales Caritasverband

„Je schneller Menschen Unterstützung haben, desto besser ist es für ihre seelische Gesundheit, wir wollen das Entstehen einer Traumafolgestörung vermeiden“, sagt Roth. „Wir wollen sie hier stabilisieren. Jemand, der nie schlafen kann, weil seine Gedanken bei der bedrohten und bombardierten Familie im Heimatland sind, wird nie die Energie haben, sich richtig zu integrieren.“

Trauma bei Geflüchteten in Mannheim: Hilfe von Migranten für Migranten

Mit vielen lokalen Akteuren, etwa dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim (ZI) hat sich die Caritas vorher ausgetauscht. Es war eine der ersten, das eine Geflüchtetenambulanz anbot. Mit dem ZI ist man weiter im Austausch und der Zusammenarbeit, so Paul.

Das ZI hatte zuletzt im Gespräch mit der Redaktion vermeldet, dass die Zahl der Patientinnen und Patientinnen an seiner Ambulanz angestiegen war. „Überproportional“ viele hätten durch die Flucht posttraumatische Belastungsstörungen entwickelt, so die Wissenschaftler. Im Erwachsenenbereich wollen die Mediziner aktuell etwa auch herausfinden, inwieweit Geflüchtete mit Traumafolgestörungen von spezifischen Hilfsangeboten profitieren.

„Die Welt brennt“, resümiert Paul. „Wir werden immer mehr Fluchtbewegungen haben. Wenn Menschen hier gut leben sollen, müssen sie hier richtig ankommen. Wir sehen hier tagtäglich: Es ist keine Fragen des Wollens, sondern es hat oft mit ,Können‘ zu tun. Und wenn dann jemand sagt: ,Pah, der will nicht arbeiten‘, dann muss man bedenken, dass die Person vielleicht morgens wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht mal mehr aus dem Bett aufstehen kann‘“.

Laut Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer gibt es bisher rund 50 Psychosozialzentren wie nun das in Mannheim in Deutschland.

In E2, 1-3 hat nun auch Kateryna Karasova eine Stelle gefunden. Sie flüchtete aus der Ukraine, wo sie Psychologie studierte. In Deutschland machte sie ihren Abschluss fertig und ist jetzt eine der ersten Mitarbeiterinnen im Cabrini-Center.

Das erzählt sie noch etwas schüchtern bei der Vorstellung vor der Presse an ihrem neuen Arbeitsort in Deutschland. „In Windeseile hat sie verhandlungssicher Deutsch gelernt“, sagt Regina Hertlein und blickt stolz auf sie. Nun wird sie auf Augenhöhe auch Landsmänner- und Frauen beraten können. „Denn es weint sich besser in der Muttersprache“, weiß auch Stefanie Paul.

Kontaktdaten Francesca Xaviera Cabrini-Center:

Hier gibt es Hilfe beim Thema Trauma:

Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Sie Suizid-Gedanken plagen, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800 / 33 44 533 zu erreichen.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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