Mannheim. „Bundesweiter Protesttag. Unsere Apotheke bleibt am 14. Juni 2023 geschlossen.“ Plakate mit diesem oder ähnlichem Text prangen in vielen Schaufenstern zwischen Infotafeln über Allergien bis zu Zeckenstichen. Thomas Luft, Sprecher der Apothekenbetreiber in Mannheim, geht davon aus, dass sich am Mittwoch „80 bis 90 Prozent“ der Vor-Ort- Kollegenschaft an der Aktion beteiligen und die Abgabe dringend benötigter Medikamente einem organisierten Notdienst überlassen werden. „Wir müssen ein Zeichen setzen“, fasst er den Unmut seines Berufsstandes über den Umgang der Politik mit Medikamenten-Mangel, über abgekoppelte Honorare und überbordende Bürokratie zusammen.
"Machen uns ernsthafte Sorgen um Versorgung"
„Es muss endlich etwas passieren“, findet auch Kollegin Eva Wolfmüller. Die von ihr in Feudenheim an der Hauptstraße betriebene Apotheke bleibt am Mittwoch ebenfalls geschlossen. „Mittlerweile ist ein Punkt erreicht, an dem wir uns ernsthafte Sorgen um die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln machen“, kommentiert sie „seit Monaten anhaltende Lieferengpässe, selbst bei Basis-Medikamenten“. Eva Wolfmüller wie auch Thomas Luft berichten von zeitraubenden Telefonaten, die sie mit behandelnden Ärzten und Ärztinnen führen, um ein anderes Präparat zu finden, wenn die ursprünglich verordnete Medizin nicht zu bekommen ist. „Im Moment gibt es bei uns beispielsweise kein Penicillin, weder als Tabletten noch als Saft“, so der Apothekensprecher und fügt an, es sei nun mal für Pharmahersteller lukrativer, ihre Produkte in anderen Ländern ohne Festbeträge oder Rabattvereinbarungen zu verkaufen.
Wieso gibt es Engpässe?
- Das Klinikum Ludwigshafen erklärt auf Anfrage die Gründe der Lieferengpässe bei Medikamenten so: „Die Produktion von Arznei-Rohstoffen erfolgt aus Kostengründen zu 80 Prozent in China und Indien.“
- Es gebe teilweise für einen in Europa benötigten Arzneirohstoff nur drei Hersteller in Fernost, die aber wiederum eine Vielzahl von europäischen Arzneimittelfirmen belieferten, teilt Pressesprecherin Yasemin Böhnke mit.
- „Bei Ausfall eines chinesischen Arzneistoffherstellers oder Störungen in den globalen Lieferketten sind gleich mehrere europäische Arzneimittelfirmen betroffen“, heißt es weiter vonseiten des Klinikums.
- Ein weiterer Grund für Lieferengpässe ergibt sich folgendermaßen: „Krankenkassen schließen mit den deutschen Arzneimittelherstellern exklusive Lieferverträge für ihre Versicherten (sogenannte Rabattverträge) ab, wobei der jeweils günstigste Hersteller den Zuschlag erhält, unabhängig davon, ob eine langfristige Belieferung garantiert werden kann oder nicht.“
Dass aufwendiges Management bei der Suche nach Alternativen für versorgungskritische Medikamente mit einer Aufwandsentschädigung von 50 Cent ausgeglichen werden soll, bezeichnet Thomas Luft als „völlig unangemessen“, und seine Kollegin Wolfmüller spricht „von einem schlechten Witz“. Außerdem nervt Luft, dass von Versandapotheken wegen Lieferengpässen zurückgeschickte Rezepte ihm und der Kollegenschaft vorgelegt werden – in der Erwartung, dass nun sie irgendwie fündig werden.
Es geht auch um Geld
Bei dem Protesttag geht es auch um Geld, besser gesagt um Honorare. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) kritisiert, dass die Vergütung seit Jahren von der Inflation abgekoppelt sei. Thomas Luft, der in Neckarhausen (was organisatorisch zu Mannheim gehört) die Post-Apotheke betreibt, führt aus: „2004 ist das Fixhonorar pro Packung mit 8,10 Euro gestartet und wurde einmalig 2013 um 25 Cent auf die heute gültigen 8,35 Euro erhöht.“ Dieser Betrag reduziere sich aber noch mal um den gesetzlich festgelegten „Kassenabschlag“ in Höhe von derzeit zwei Euro.
Als Indiz dafür, dass so manche Apotheken in wirtschaftliche Bedrängnis geraten, nennt Luft den kontinuierlichen Rückgang von Apotheken: „Es gab mal um die 120 im Stadtgebiet – jetzt sind es noch um die 80.“ Diese Entwicklung ist deutschlandweit zu beobachten: Vor einigen Wochen sorgte für Schlagzeilen, dass allein im vergangenen Jahr 393 Betriebsstätten dichtmachten und seitdem die Zahl der Apotheken mit 18 068 Anlaufstellen so niedrig wie noch nie ist – was vor allem in ländlichen Regionen eine flächendeckende Versorgung gefährdet und weite Wege mit sich bringt. Als einen der Gründe nennt die Dachorganisation ABDA den leergefegten Personalmarkt und gibt an, dass pharmazeutische Fachkräfte oftmals wegen besserer Bezahlung in die Industrie abwandern. Obendrein offenbare sich ein Nachfolgeproblem, wenn ältere Apothekeninhaber aufhören. Regionalsprecher Luft berichtet, dass besonders häufig kleine Betriebe auf der Strecke bleiben – „weil die oftmals nicht mehr rentabel sind“. Und Eva Wolfmüller weiß, dass manchmal auch eine Rolle spielt, wenn mit einer Pensionierung der Bestandsschutz endet und nach einem Inhaberwechsel neue bauliche Auflagen erfüllt werden müssen: „Das kann teuer werden, vor allem in einem denkmalgeschützten Haus.“
Reizthema Bürokratie
Wenn der Mannheimer Apotheken-Sprecher auf das Reizthema Bürokratie zu sprechen kommt, gerät er in Fahrt: „Der pure Wahnsinn“ sei so manche Vorschrift, insbesondere bei Hilfsmitteln. Als „absurd“ empfindet er, dass Apotheken zwar Insulin in Form von Patronen oder Fertigpens abgeben dürfen, aber für die Nadeln und den wiederverwendbaren Pen eine sogenannte Präqualifizierung benötigen – „dabei haben wir eine umfassende Betriebszulassung“. Und obendrein komme ein Pharmazierat alle drei Jahre zur Kontrollinspektion.
Beklagte Irrungen und Wirrungen rund um vorgeschriebene Präqualifizierungen könnten freilich demnächst gekippt werden. Inzwischen hat sich der Gesundheitsausschuss der Bundesländer mit dem Aufregerthema beschäftigt. Und weil sich in Umfragen von Apotheker-Organisationen der Wust an Überregulierungen samt Papierkram als größter Stressfaktor im Berufsalltag entpuppt haben, sammelt die baden-württembergische Landesapothekerkammer „Bürokratie-Monster“. Jedenfalls rief sie Mitglieder auf, solche konkret zu schildern.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Apotheken sind eine wichtige Schnittstelle