Rhein-Neckar. Eigentlich sollten die Apothekerschränke immer gefüllt sein. Und ist ein Medikament mal doch nicht verfügbar, bestellen es die Apotheker und innerhalb von zwei Stunden ist es da. Derzeit herrscht allerdings ein Medikamenten-Mangel, vor allem bei Antibiotika. „Ich habe heute zwei Flaschen Antibiotika geliefert bekommen. Immerhin. Aber eigentlich ist diese Menge ein Witz.“ Das sagt Christian Schreck von der Römer Apotheke in Heidelberg, die er leitet.
Bestimmte Antibiotika sind teilweise gar nicht erst lieferbar oder haben lange Wartelisten. „Der Großhändler teilt dann relativ spontan mit, dass eine Lieferung kommt.“ So wie bei den beiden Flaschen, die am Donnerstag in die Apotheke nach Heidelberg geliefert worden sind.
Was Verpackungsmaterialien mit dem Medikamenten-Mangel zu tun haben
Dass es derzeit an Antibiotika mangelt, hängt mit unterschiedlichen Aspekten zusammen. Einer ist das Verpackungsmaterial, wie Claus Meilinger betont. Er ist Geschäftsführer von SGD Pharma Kipfenberg. Das Unternehmen sei in Deutschland und weltweit führender Hersteller von Verpackungen und Behältnissen für die Pharmaindustrie. Auf der Webseite des Konzerns sind die Sirupflaschen aufgeführt, die für Antibiotika verwendet werden. Fast alle der acht verschiedenen Behältnisse sind lieferbar. „Das Glas ist nicht das Problem. Hier haben wir maximale Lieferzeiten von vier Wochen.“ Problematischer sehe es bei den Verschlüssen aus: „Für Stopfen und Kappen gibt es monatelange Lieferzeiten.“
SGD Pharma produziert dabei die Behältnisse, die wiederum von den großen Pharma-Unternehmen gekauft werden, die darin ihre Rezepturen abfüllen. Hierzu benötigt die Pharma-Industrie die jeweiligen Wirkstoffe, die hauptsächlich in China und in Indien hergestellt würden, so Meilinger. „Hier gab es zeitweise Unterbrechungen in den Lieferketten. Der Plan ist jetzt aber, dass Deutschland unabhängiger werden will von China.“ Deshalb solle die Produktion von Wirkstoffen, wie etwa an einem fast stillgelegten Standort in Österreich laut Meilinger ausgebaut werden.
So reagiert das Bundesministerium für Gesundheit auf Engpässe
Der Medikamenten-Mangel ist dabei allerdings auch auf Rabattverträge zurückzuführen. Seit 2003 haben die gesetzlichen Krankenversicherungen die Möglichkeit, Verträge mit Arzneimittelherstellern abzuschließen, um „im Interesse ihrer Versicherten gute Bedingungen herauszuholen“, führt das Bundesministerium für Gesundheit aus.
Durch das Drücken der Preise lohnt es sich allerdings für einige Pharma-Unternehmen nicht mehr, für den deutschen Markt zu produzieren - sodass es deshalb unter anderem an Antibiotika mangelt.
Das Bundesgesundheitsministerium hat mittlerweile reagiert und das Bundeskabinett hat ein Lieferengpass-Bekämpfungsgesetz beschlossen. Dieses lockert unter anderem die Preisregeln, Rabattverträge werden abgeschafft. Zudem sollen Hersteller, die Wirkstoffe in der EU oder Europa produzieren, bei Ausschreibungen stärker berücksichtigt werden.
Deshalb sprechen sich Apotheken derzeit mit Ärzten und Ärztinnen ab
Außerdem, so teilt der Bundestag mit: „Ist ein Arzneimittel nicht verfügbar, dürfen Apothekerinnen und Apotheker ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben.“ Durch die Änderung des Arzneimittelgesetzes könnten diese auch „in einer anderen als der deutschen Sprache in den Verkehr gebracht“ werden, so der Bundestag.
Fehlt es auch in Kliniken an Medikamenten?
Mit Blick auf die angespannte Lage in den Apotheken der Region stellt sich auch die Frage, wie es um die Versorgung mit Medikamenten und Antibiotika in den Krankenhäusern steht. Das Klinikum Ludwigshafen hat auf Anfrage dieser Redaktion bei Klinik-Apotheker Norbert Marxer nachgefragt.
Dort seien derzeit rund zehn Prozent aller im Klinikum eingesetzten Arzneimittel von Lieferengpässen betroffen. Das bedeutet, dass gewünschte Medikamente nicht lieferbar sind oder Liefertermine für Monate später angekündigt werden. Außerdem würden bestellte Medikamente nur in Teilmengen ausgeliefert, heißt es.
Wie reagiert das Klinikum auf diese Engpässe? Soweit es möglich ist, werde vorausschauend der Lagerbestand bei kritischen Arzneimitteln erhöht. Außerdem greife das Krankenhaus auf gleiche Arzneimittel-Wirkstoffe bei anderen Herstellern zurück oder beschaffe Medikamente in einer anderen Dosis, beispielsweise Tabletten, die teilbar sind, heißt es weiter. Auch aus dem Ausland beziehe das Klinikum Medikamente und stelle auch eigene Säfte durch die Umarbeitung von Tabletten her. „Bei reduzierter Verfügbarkeit eines Medikaments wird in Absprache mit den behandelnden Ärzten das Medikament nur bei den Krankheiten eingesetzt, bei denen keine therapeutische Alternative besteht“, so das Klinikum.
Die Versorgung des Klinikums mit Breitband-Antibiotika und Reserve-Antibiotika sei wiederum gut. Lieferengpässe gebe es aber bei Standard-Antibiotika. „Diese betreffen nicht nur Antibiotika-Säfte, sondern auch Tabletten und Antibiotika-Infusionen. Die Lieferfristen bei Standard-Antibiotika betragen teilweise bis zu drei Monaten.“ Und wie steht es um die Versorgung von Kindern? Das Klinikum hat keine Kinderklinik und behandelt daher wenige Kinder.
Sofern Antibiotika-Säfte zum Einsatz kämen, würden Kinder eine Antibiotika-Alternative erhalten oder Säfte durch die Umarbeitung von Tabletten. Das Klinikum bewertet die Liefersituation insgesamt als sehr angespannt bei Standard-Antibiotika. „Durch die Maßnahmen erhalten aber alle Patienten eine ausreichende Antibiotika-Behandlung.“ vs
Denn derzeit müssten viele Kunden laut Schreck mehrere Apotheken ansteuern, um Antibiotika zu erhalten. „Viele rufen aber auch an und fragen, ob wir die Medikamente überhaupt dahaben.“ In der Columbus Apotheke in Frankenthal halten die Angestellten sogar Rücksprache mit den Ärzten, sodass diese wissen, welche Medikamente sie verschreiben können, die auch vorrätig sind.
Das berichtet Ulrike Arnetzl. „Wir sind täglich damit beschäftigt, Antibiotika an Land zu ziehen. Vor allem die gängigen 100-Milliliter-Flaschen sind nur schwer zu bekommen.“ Die Angestellten verbringen viel Zeit am Computer und checken beim Großhandel, welche Antibiotika verfügbar sind oder rufen bei Pharma-Vertretern an, um nachzufragen.
Können Apotheken selbst Antibiotika herstellen?
„Wenn es dann aber eine kleine Menge gibt, können wir das auch nicht bunkern, weil andere Apotheken auch Antibiotika benötigen.“ Auch Arnetzl berichtet, dass es bei den Flaschen an Verschlüssen fehlt. Teilweise habe die Apotheke daher kindersichere Verschlüsse bei Tropfflaschen verwendet, „auch wenn es das eigentlich gar nicht braucht“.
Wieso gibt es Engpässe?
- Das Klinikum Ludwigshafen erklärt auf Anfrage die Gründe der Lieferengpässe bei Medikamenten so: „Die Produktion von Arznei-Rohstoffen erfolgt aus Kostengründen zu 80 Prozent in China und Indien.“
- Es gebe teilweise für einen in Europa benötigten Arzneirohstoff nur drei Hersteller in Fernost, die aber wiederum eine Vielzahl von europäischen Arzneimittelfirmen belieferten, teilt Pressesprecherin Yasemin Böhnke mit.
- „Bei Ausfall eines chinesischen Arzneistoffherstellers oder Störungen in den globalen Lieferketten sind gleich mehrere europäische Arzneimittelfirmen betroffen“, heißt es weiter vonseiten des Klinikums.
- Ein weiterer Grund für Lieferengpässe ergibt sich folgendermaßen: „Krankenkassen schließen mit den deutschen Arzneimittelherstellern exklusive Lieferverträge für ihre Versicherten (sogenannte Rabattverträge) ab, wobei der jeweils günstigste Hersteller den Zuschlag erhält, unabhängig davon, ob eine langfristige Belieferung garantiert werden kann oder nicht.“
Selbst Antibiotika zu produzieren, das sei laut Arnetzl personell nicht leistbar. Einmal habe die Apotheke im Winter Tabletten importieren müssen, bisher habe man in Frankenthal aber noch nicht auf Medikamente aus dem europäischen Ausland zurückgreifen müssen. Diese sind nicht in Deutschland zugelassen, können aber verwendet werden. Hierzulande ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Zulassung von Medikamenten zuständig. „Wenn die Medikamente im europäischen Ausland zugelassen sind, geht das aber als Alternative“, so Arnetzl.
Apotheken warten auf bestimmte Bestellfenster bei Lieferanten
Auch in der Galenus Apotheke in Ladenburg müssen noch keine Medikamente importiert werden, die nicht zugelassen sind. „Einige Antibiotika sind vollumfänglich lieferbar“, berichtet ein Apotheker, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Tage oder Wochen warte man auf bestimmte Antibiotika, wie beispielsweise Penizillin V.
Der Medikamenten-Mangel verursacht dabei auch einen Mehraufwand für die Apotheker - und das nicht nur wegen des Hinterhertelefonierens bei Lieferanten: „Wenn das Antibiotikum nicht lieferbar ist und wir auf ein anderes zurückgreifen müssen, halten wir Absprache mit dem Arzt. Das ist ein enormer Aufwand.“ Vom Großhandel erhalte man in Ladenburg nur vage Aussagen zu Lieferzeiten. „Teilweise werden Medikamente zu bestimmten Zeiten reingestellt, sodass man Bestellfenster abpassen muss.“ Der Apotheker vergleicht es mit Situationen in Börsenfilmen. Und das, obwohl die Nachfrage so groß ist, vor allem in der zurückliegenden Scharlach-Welle. Zehn Flaschen Antibiotika gehen am Tag in der Heidelberger Apotheke über den Tresen.
Berufsverband spricht deshalb von einer Gefahr für Kinder und Jugendliche
„Vor allem bei Antibiotika für Kinder fehlt es einfach. Bei Erwachsenen war die Lage vor Weihnachten schlimmer, das hat sich etwas beruhigt“, sagt Schreck. In einem offenen Brief spricht der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sogar davon, dass die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen durch den Medikamenten-Mangel in Gefahr ist.
„Die Engpässe der letzten Monate führen dazu, dass weder kindgerechte noch an Therapierichtlinien ausgerichtete Behandlungen möglich sind“, heißt es in dem Schreiben dazu. Arnetzl hofft in der Apotheke in Frankenthal indes auf den bevorstehenden Sommer: „Ich denke, mit weniger Infektionen im Sommer können wir Vorräte auffüllen.“
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