Mannheim. Ibuprofen, Xylometazolin (abschwellende Nasensprays), Paracetamol und Antibiotika - die Liste der Wirkstoffe und Medikamente, die derzeit schwer zu beschaffen sind, ist lang. Sven Seidel, der Vorstandschef des Mannheimer Pharmagroßhändlers Phoenix, schätzt, dass etwa 1000 Arzneimittel in Deutschland von den Lieferengpässen betroffen sind. „Die Situation ist stabil, aber nicht zufriedenstellend“, sagte er am Dienstag bei der Vorstellung der Bilanzkennzahlen.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Die Patienten spüren die Versorgungslücken dahingehend, dass sie nicht wie gewohnt und erhofft behandelt werden können. Für den Pharmagroßhändler bedeute das einen „starken, zusätzlichen, manuellen Mehraufwand“, der nicht automatisierbar sei. Laut Seidel wird jede zweite Großhandelsbestellung in Deutschland unvollständig an Phoenix geliefert. Weil sich die Verfügbarkeit der Artikel täglich ändere, müsse täglich mehrfach ausjongliert werden, was zu einem hohen operativen Aufwand führe.
In Deutschland sei die Grundproblematik in allen Regionen gleich. „Wir begrüßen es, dass in einigen Bundesländern inzwischen Sonderimporte möglich sind, um die Situation zu verbessern“, sagte Seidel. Phoenix werde „alle Ware, die wir haben, schnellstmöglich und fair“ an die Kunden liefern. Über das Vertriebsnetz in Deutschland mit 19 Niederlassungen sei ein bedarfsorientierter Austausch von Produkten möglich. Allerdings: „Es ist immer eine Einzelfallbetrachtung, die unser Geschäft massiv beeinflusst“, so Seidel.
Europaweit sei die Situation ähnlich, „allerdings ist nicht jedes Produkt zwangsläufig in jedem Land knapp“, erklärte der Vorstandschef. Mehrheitlich betroffen seien verschreibungspflichtige Produkte, Generika und OTC (rezeptfreie, aber apothekenpflichtige Medikamente). „Auch hier versuchen wir täglich, eine Balance zwischen Verfügbarkeit und Bedarf hinzubekommen.“ Oberste Maxime, so Seidel, ist: „Lieferprobleme dürfen nicht zum Patientenproblem werden. Wir tun alles dafür, dass Medikamente an die betroffenen Personen ausgeliefert werden können, insbesondere auch kritische Medikationen.“
Das aufwendige Lieferengpass-Management hat Auswirkungen auf die Kosten. Hinzu kommen allgemeine Preissteigerungen für Transporte, Energie und Personal sowie die allgemeine Inflation, ein unsicheres wirtschaftliches Umfeld durch den Krieg in der Ukraine und die Zinsentwicklung. Seidel sprach dennoch von einem „soliden, guten Geschäftsjahr, trotz aller Herausforderungen“.
McKesson-Kauf zeigt Wirkung
Die Finanzzahlen sind klar von der Übernahme von Teilen des US-Konkurrenten McKesson gekennzeichnet. Durch die Akquisition ist Phoenix nun in 29 Ländern Europas vertreten. Sie wurde zum 31. Oktober 2022 vollzogen und ist deshalb im vierten Quartal des Geschäftsjahres, das zum 31. Januar 2023 endete, voll eingeflossen. Seidel bezeichnete die bisher größte Geschäftserweiterung der Phoenix Gruppe als „herausragenden Meilenstein in der Unternehmensgeschichte“. Sie stärke die Position von Phoenix als europaweit größten und führenden Pharmagroßhändler, Apothekenbetreiber und Dienstleister für die Pharmaindustrie. Dennoch sei das Unternehmen auch organisch gewachsen.
In der Gesamtleistung - sie umfasst Umsatzerlöse und den Warenumschlag gegen Dienstleistungsgebühren - legte der Pharmagroßhändler um 16 Prozent auf 45,9 Milliarden Euro zu. Der Einmaleffekt der McKesson-Übernahme zeigt sich beim operativen Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (siehe Tabelle). Beim Ergebnis vor Steuern betrug das Plus nur 0,6 Prozent auf 299,8 Millionen Euro. Nach Steuern bleiben 269,8 Millionen Euro (plus 27,5 Prozent).
Weniger Gewinn erwartet
Für das laufende Geschäftsjahr, dessen erstes Quartal bereits abgeschlossen ist, sieht Finanzvorstand Sauerland das Unternehmen „einem herausfordernden Umfeld ausgesetzt“. Verantwortlich dafür seien weiter hohe Kosten für Transporte und Energie infolge anhaltender Arzneimittel-Lieferengpässe. Da Phoenix sich eine gute Marktposition erarbeitet habe und solide finanziert sei, erwartet er für die Gruppe ein Wachstum, „wieder leicht über dem Niveau des europäischen Pharmamarktes“ in nahezu allen Ländermärkten. Die Ergebnisse einzelner Regionen weist Phoenix nicht aus.
Der Gewinn (Ergebnis vor Steuern) werde wahrscheinlich unter dem Niveau des Geschäftsjahres 2022/23 liegen, erwartet der Finanzvorstand. Nach dem Kauf von McKesson werden höhere Abschreibungen und höhere Finanzierungskosten wegen eines Anstiegs bei Zinsen und Nettoverschuldung anfallen. Bei der Eigenkapitalquote wird von einer leichten Steigerung ausgegangen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-wie-die-mannheimer-phoenix-gruppe-mit-den-arzneimittel-engpaessen-umgeht-_arid,2087220.html