Am Montag, 4. März, ist es soweit: 283 000 Mannheimerinnen und Mannheimer haben dann bis zum 17. März Gelegenheit, die neuen Namen für vier Straßen im Ortsteil Rheinau-Süd auszuwählen. Diese sind bislang nach drei Kolonialverbrechern sowie dem Hitler-Bewunderer Sven Hedin benannt und sollen daher nun umbenannt werden.
Um welche Straßen geht es in der jetzigen Diskussion überhaupt?
Um vier Straßen in Mannheims südlichstem Ortsteil Rheinau-Süd: Die Leutwein-, die Lüderitz- und die Gustav-Nachtigal-Straße in der 1933 entstandenen IG-Siedlung sowie den Sven-Hedin-Weg in einem angrenzenden Neubaugebiet.
Warum sind die bisherigen Namen nicht mehr tragbar?
Leutwein, Lüderitz und Nachtigal waren zentrale Repräsentanten der früheren deutschen Kolonialherrschaft in Afrika und damit auch von deren Verbrechen, also die Ausplünderung und die brutale Unterdrückung der örtlichen Bevölkerung.
Und was ist Sven Hedin anzulasten?
Der Entdeckungsreisende war fanatischer Bewunderer Hitlers. Nach dessen Tode und damit noch nach dem Holocaust rühmte er ihn „als einen der größten Menschen, den die Weltgeschichte besessen hat“.
Seit wann haben die vier Straßen ihre problematischen Namen?
Leutwein, Lüderitz und Nachtigal wurden im Dritten Reich Namenspaten; die Nazis fühlten sich ihrer Gedankenwelt von Rassismus und Ausbeutung fremder Völker eng verbunden. Sven Hedin erhielt „seine“ Straße im Neubaugebiet erst 1985. Damals war das Bewusstsein für diese Thematik noch nicht ausgeprägt.
Will eine kleine politische Minderheit mit der Umbenennung der Mehrheit ihren Willen aufzwingen?
Mit Zahlen lässt sich dies nicht belegen. Den Grundsatzbeschluss zur Umbenennung hat der Gemeinderat 2022 nahezu einmütig gefasst: Nur drei (!) der 49 Ratsmitglieder votierten dagegen. Den Beschluss zum konkreten Abstimmungsverfahren hat der Rat in diesem Februar mit Zwei-Drittel-Mehrheit bekräftigt.
Wie kamen die 18 nun zur Wahl stehenden Vorschläge zu Stande?
In der ersten Stufe der Bürgerbeteiligung konnten 2022 alle Mannheimerinnen und Mannheimer Vorschläge für neue Namen einreichen. Insgesamt kamen dabei 235 zusammen. Diese wurden von Experten überprüft. Übrig blieben die 18 nun zur Auswahl stehenden Vorschläge.
Was waren die Kriterien bei dieser Experten-Überprüfung?
Natürlich soll es den jeweiligen oder einen ähnlichen Namen in Mannheim nicht schon geben; er soll dem Taufbezirk entsprechen, leicht aussprechbar und nicht zu lang sein, keine lebende Person ehren und keine, die politisch belastet ist.
Diese 18 Namen stehen ab 4. März zur Abstimmung
- May Ayim (1960-1996), Dichterin, Aktivistin der afrodeutschen Bewegung.
- Johann Heinrich Barth (1821-1865): Deutscher Afrikaforscher.
- George Bass (1771-1803): Englischer Forscher mit Schwerpunkt Tasmanien und Australien.
- Rudolf Duala Manga Bell (1873-1914): König der Duala in Kamerun, Opfer eines Justizmordes der deutschen Kolonialmacht.
- Isabella Eberhardt (1877-1904): Schweizerisch-deutsche Wüstenreisende und Reiseschriftstellerin.
- Dian Fossey (1932-85): Amerikanische Zoologin, Leiterin von Projekten zur Rettung von Berggorillas, in Ruanda ermordet.
- Robert Gulik (1910-1967): Niederländischer Sinologe, Diplomat und Schriftsteller.
- Jakob August Lorent (1813-84): In den USA geboren, in Mannheim aufgewachsen, Weltreisender, Pionier der Architekturfotografie.
- Wangari Maathai (1940-2011): Kenianerin, Professorin für Biologie, Umweltaktivistin, 2004 Trägerin des Friedensnobelpreises.
- Miriam Makeba (1932-2008): Südafrikanische Sängerin, Kämpferin gegen die Apartheid.
- Georg Balthasar Neumayer (1826-1909): Geboren in Kirchheim-Bolanden, gestorben in Neustadt an der Weinstraße, Polarforscher, Namensgeber von Forschungsstationen.
- Carsten Niebuhr (1733-1815): Deutsch-dänischer Mathematiker, Kartograf, Forschungsreisender.
- Ida Pfeiffer (1797-1858): Österreichische Reiseschriftstellerin mit Schwerpunkt Borneo.
- Marco Polo (1254-1324): Legendärer Weltreisender aus Venedig.
- Leonhard Rauwolf (1535-96): Botaniker, Entdeckungsreisender.
- Philipp Franz Balthasar Siebold (1796-1866): Botaniker und Entdeckungsreisender (Japan).
- Georg Wilhelm Steller (1709-46): Arzt, Ethnologe, Naturforscher (Kamtschatka-Expedition).
- Katarina Taikon (1932-95): Schwedische Kinderbuchautorin mit Engagement für die Rechte der der Sinti und Roma, denen sie selbst angehört hat.
Was meinen eigentlich die Anwohner dieser Straßen dazu?
Ihre Interessenvertretung, die BASF-Siedlergemeinschaft, hat sich von Beginn an gegen die Umbenennung ausgesprochen (mit Ausnahme des Hedin-Weges) und eine Zusatzbeschilderung als ausreichend erachtet. Als die Umbenennung vom Gemeinderat beschlossen war, forderte sie, bei der Neubenennung Namen von Seen zuzulassen, die es auch in der Umgebung bereits gibt. Doch auch dies wurde vom Gemeinderat in zwei Abstimmungen abgelehnt.
Und wie reagiert die Siedlergemeinschaft jetzt?
In einem Flyer artikuliert sie „Wut“. Für den 28. Februar lädt sie ihre Mitglieder sowie die Anlieger der betroffenen Straßen in die Martinskirche ein, um zu beraten, welche vier Namen sie „offensiv bewerben“ will.
Ein Motor der Diskussion war der Arbeitskreis Kolonialgeschichte. Welche Namen präferiert er?
Seine Haltung lässt sich auf einen Punkt bringen: Nach Jahrzehnten, in denen die Straßennamen Unterdrücker geehrt haben, muss nun gelten: „Bei der Neubenennung der Straßen sollte die Stadt Mannheim ein klares Signal für Vielfalt und gegen Gewaltherrschaft und Rassismus setzen.“ Der AK schlägt daher May Ayim, Rudolf Duala Manga Bell, Wangari Maathai und Miriam Makeba vor.
Wer darf an der anstehenden Abstimmung teilnehmen?
Alle in Mannheim gemeldeten Personen ab 16 Jahren, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.
Wie können die Mannheimerinnen und Mannheimer wählen?
Online über das Beteiligungsportal der Stadt www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de/dialoge/strassennamen-rheinau-sued oder postalisch an den Fachbereich Geoinformation und Stadtplanung, Glück-steinallee 11, 68163 Mannheim.
Was muss man tun, um an der Abstimmung teilzunehmen?
Es ist lediglich eine Registrierung mit Angabe der Adresse nötig, um Mehrfachbeteiligungen zu vermeiden. Die Auswertung erfolgt anonym.
Wie viele Namen darf man nennen?
Es können vier Namen genannt werden. Mindestens zwei der vier Straßen sollen nach Frauen benannt werden. Die Auszählung beginnt nach Ende der gesamten Abstimmung, also ab 18. März. Danach erfolgt zeitnah die Veröffentlichung.
Wie geht es nach der Abstimmung weiter?
Das Ergebnis wird dem örtlichen Bezirksbeirat Rheinau vorgelegt. Dieser legt einen Vorschlag vor, welche der vier „siegreichen“ Namen auf welche Straße entfallen soll.
Wer fällt schlussendlich die Entscheidung?
Der Gemeinderat. Dabei ist er weder an das Bezirksbeiratsvotum noch an die Bürgerbefragung gebunden.
Was geschieht, wenn die Menschen in Rheinau-Süd anders abstimmen als die Gesamtstadt?
Diese heikle Frage ist völlig ungeklärt. Keine der politischen Gruppen hat sich daher bezüglich dieser Problematik bisher öffentlich festgelegt.
Welche Mittel haben Umbenennungsgegner dann noch?
Der Ratsbeschluss wird im Amtsblatt veröffentlicht. Innerhalb des Monats danach kann geklagt werden.
Wie sind die Aussichten einer solchen Klage?
„Klagen sind meistens erfolglos“, weiß die große Rechtsschutzversicherung Advocard: „Die persönliche Bindung der Anwohner zum alten Straßennamen, entstehende Kosten (. . .) sind keine Hinderungsgründe.“
Wie vollzieht sich die Umbenennung ganz konkret?
Die „alten“ Straßenschilder werden zunächst nur rot durchgestrichen und bleiben noch ein Jahr hängen.
Anwohner haben Kosten durch die Umbenennung. Wer trägt die?
Die Stadt Mannheim hat zugesagt, Kosten, die in ihren Bereich fallen (Ausweis, Kfz-Zulassung etc.) zu übernehmen. Auch Änderungen im Grundbuch und beim Finanzamt erfolgen kostenlos und automatisch.
Und bei Gewerbetreibenden, die noch höhere Kosten durch Änderung von Flyern oder Aufdrucken an Firmenfahrzeugen haben?
Laut Rechtslage gibt es dafür keinerlei Anspruch auf Kostenerstattung. Allerdings hat der Gemeinderat die Verwaltung beauftragt, Vorschläge für eine mögliche Unterstützung der Betroffenen vorzulegen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Bürgerbeteiligung Straßennamen in Rheinau-Süd gehen ganz Mannheim an