Mannheim. Über die neuen Namen von vier Straßen in Rheinau-Süd dürfen in Kürze alle Mannheimerinnen und Mannheimer abstimmen. Eine Vorauswahl durch die Anwohner dieser Straßen in Rheinau-Süd wird es also nicht geben. Einen Antrag von Oberbürgermeister Christian Specht, der ein solches „zweistufiges“ Wahlverfahren vorgesehen hatte, lehnte der Hauptausschuss des Gemeinderates mehrheitlich ab. Anträge von CDU, ML und FDP/MfM, auch See-Namen zuzulassen, wurden erst gar nicht zur Abstimmung gestellt.
Es bleibt also bei dem Verfahren, das der Gemeinderat Anfang 2022 mit breiter Mehrheit - nur drei der 49 Mitglieder votieren dagegen - beschlossen hat. Damals entscheidet das Gremium, die nach den Kolonialverbrechern Theodor Leutwein, Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal sowie dem Hitler-Verehrer Sven Hedin benannten Straßen in Rheinau-Süd umzubenennen. Die neuen Namen sollen gefunden werden, indem alle Bürger Mannheims Vorschläge einreichen und - nach fachlicher Überprüfung durch das Marchivum - darüber abstimmen dürfen.
Der Vorschlag von Christian Specht
Die Prüfung ist Mitte 2023 abgeschlossen, 18 Vorschläge bleiben übrig, der Bürgerentscheid über sie ist für Ende 2023 avisiert. Doch dazu kommt es nicht. Der neue Oberbürgermeister schlägt vor, dass aus besagten 18 Vorschlägen die Bürger von Rheinau-Süd acht auswählen dürfen; nur diese „Short List“ mit den acht Namen soll allen Mannheimern zur Abstimmung vorgelegt werden. CDU, ML und FDP/MfM unterstützen die Idee der „Short List“ in wortgleichen Anträgen.
„Ich stehe zur Umbenennung“, macht Specht zu Beginn der Sitzung noch einmal klar. Ziel sei es, dass wir den „belasteten Teil unserer Mannheimer Kolonialgeschichte hier aus dem ständigen Gedächtnis tilgen.“
Diese 18 Namen stehen in Kürze zur Abstimmung
- May Ayim (1960-1996), Dichterin, Aktivistin der afrodeutschen Bewegung.
- Johann Heinrich Barth (1821-1865): Deutscher Afrikaforscher.
- George Bass (1771-1803): Englischer Forscher mit Schwerpunkt Tasmanien und Australien.
- Rudolf Duala Manga Bell (1873-1914): König der Duala in Kamerun, Opfer eines Justizmordes der deutschen Kolonialmacht.
- Isabella Eberhardt (1877-1904): Schweizerisch-deutsche Wüstenreisende und Reiseschriftstellerin.
- Dian Fossey (1932-85): Amerikanische Zoologin, Leiterin von Projekten zur Rettung von Berggorillas, in Ruanda ermordet.
- Robert Gulik (1910-1967): Niederländischer Sinologe, Diplomat und Schriftsteller.
- Jakob August Lorent (1813-84): In den USA geboren, in Mannheim aufgewachsen, Weltreisender, Pionier der Architekturfotografie.
- Wangari Maathai (1940-2011): Kenianerin, Professorin für Biologie, Umweltaktivistin, 2004 Trägerin des Friedensnobelpreises.
- Miriam Makeba (1932-2008): Südafrikanische Sängerin, Kämpferin gegen die Apartheid.
- Georg Balthasar Neumayer (1826-1909): Geboren in Kirchheim-Bolanden, gestorben in Neustadt an der Weinstraße, Polarforscher, Namensgeber von Forschungsstationen.
- Carsten Niebuhr (1733-1815): Deutsch-dänischer Mathematiker, Kartograf, Forschungsreisender.
- Ida Pfeiffer (1797-1858): Österreichische Reiseschriftstellerin mit Schwerpunkt Borneo.
- Marco Polo (1254-1324): Legendärer Weltreisender aus Venedig.
- Leonhard Rauwolf (1535-96): Botaniker, Entdeckungsreisender.
- Philipp Franz Balthasar Siebold (1796-1866): Botaniker und Entdeckungsreisender (Japan).
- Georg Wilhelm Steller (1709-46): Arzt, Ethnologe, Naturforscher (Kamtschatka-Expedition).
- Katarina Taikon (1932-95): Schwedische Kinderbuchautorin mit Engagement für die Rechte der der Sinti und Roma, denen sie selbst angehört hat. -tin
„Der Vorschlag verändert die wesentlichen Zielsetzungen des Prozesses nicht“, wirbt Specht für seine Initiative; diese solle jedoch zur „Versöhnung vor Ort“ beitragen. Dabei beruft er sich auf Punkt 2 der Grundsätze der Stadt Mannheim für Bürgerbeteiligung: „Gute Bürgerbeteiligung erreicht insbesondere diejenigen, die von einem Vorhaben am stärksten betroffen sind“, zitiert er vor dem Rat: „Das ist das Regelwerk, das Sie verabschiedet haben.“
„Wir halten es prinzipiell für falsch, dass wir einen Prozess von zwei Jahren durchführen und dann kurz vor Abschluss des Prozesses eine Umkehr vornehmen“, lehnt SPD-Fraktionschef Reinhold Götz Spechts Vorstoß ab. Für eine solche Umkehr bestehe auch kein Grund: „Es gibt 18 Vorschläge, die alle gut begründet werden.“ Die Meinung der Bürger von Rheinau-Süd werde ohnehin deutlich werden, da das stadtweite Abstimmungsergebnis ja nach Stadtteilen aufgegliedert ausgewiesen werde: „Denn auch uns interessiert natürlich, was die Menschen in Rheinau-Süd denken.“
Auch die Grünen mögen Specht nicht folgen. Fraktionschefin Stefanie Heß warnt davor, die Bedeutung des Wegfalls von Straßennamen für die Lebensqualität der Menschen zu überhöhen - ein Hinweis, dem sich Dennis Ulas anschließt: „Seinen Wohnort sucht man sich nicht an Hand von Straßennamen aus“, sagt der Fraktionschef der LiParTie: „Wichtiger ist die Wohnung, das Haus, in dem man lebt.“
Die Benennung öffentlicher Straßen sei keine Angelegenheit, die nur die Anwohner betreffe, sondern ein gesamtstädtisches Anliegen, so Ulas. Die Argumentation der Befürworter der „Short List“ zu Ende denkend, müsste diese sogar nur den Anwohnern der vier betroffenen Straßen vorgelegt werden. Wichtiger wäre ohnehin, die Anwohner für die Unkosten der Umbenennung zu entschädigen, wie es ein von seiner Partei im Sommer vorgelegter, aber abgelehnter Antrag vorsieht. „Das wäre ein Aspekt, wie man den Betroffenen entgegenkommen könnte“, so Ulas.
Claudius Kranz warnt vor Dilemma
„Bei allen Demokraten ist unbestritten, dass eine Namensänderung an dieser Stelle richtig und notwendig ist“, bekennt sich CDU-Fraktionschef Claudius Kranz zur Umbenennung. Richtig sei aber auch, „diejenigen, die von der Namensänderung direkt betroffen sind, auch in besonderer Weise in das Verfahren einzubeziehen.“ Wenn dies schon nicht mit den vor Ort gewünschten See-Namen möglich sei, dann zumindest mit der „Short List“. Diese befreie den Gemeinderat zudem aus einem Dilemma: Denn wie soll das Gremium entscheiden, wenn die Abstimmung stadtweit ein anderes Ergebnis zeigt als in Rheinau-Süd?
„Wir haben uns alle wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert in dieser Geschichte“, konstatiert Holger Schmid: „Es ist nicht allzu gut gelaufen“, bilanziert der ML-Fraktionschef und unterstützt daher Specht: „Der jetzige Vorschlag ist eine Verbesserung und keine Umkehr.“
Ähnlich argumentiert Birgit Reinemund. Das Ziel des bisher exerzierten Verfahrens, zur Befriedung beizutragen, sei nicht erreicht worden, konstatiert die FDP-Politikerin: „Wenn aber der Zweck des Prozesses nicht erfüllt ist, ist es durchaus legitim, diesen Prozess anzupassen.“ Die AfD äußert sich nicht, Fraktionschef Bernd Siegholt beobachtet lediglich wortlos das Geschehen.
Rheinauer Gremium gespalten
„Der Migrationsbeirat war überrascht über diese neue Vorlage“, bekennt die Vorsitzende Zahra Alibabanezhad Salem: „Es ist schade, dass versucht wird, die anderen Mannheimer und Mannheimerinnen nicht zu beteiligen an dem Entkolonialisierungsprozess.“ Zudem wehrt sie sich dagegen, Anwohner als zentrale Betroffene anzusehen. Wenn es Betroffene gebe, dann seien es die Nachfahren derer, die von jenen ermordet wurden, die jetzt noch auf den Straßenschildern stehen.
„Ich weiß gar nicht, was ich melden soll“, bekennt Ulrike Kahlert. Die Sozialdemokratin soll die Meinung des örtlichen Bezirksbeirates vortragen: „Wir sind beim Patt“, muss sie bekennen: „Sechs Mitglieder des Bezirksbeirates unterstützen die Anträge der Fraktionen. Der andere Teil des Bezirksbeirates hat den bisherigen Beschluss unterstützt.“ Insofern sei die Stimmung im Gremium so gespalten wie in der Stadtgesellschaft. Trotzdem zeigt sie sich für eine Befriedung zuversichtlich: „Die zukünftigen Menschen wachsen mit neuen Straßennamen auf.“
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Mit der Mehrheit von SPD, Grünen und LiParTie gegen die anderen Fraktionen und den OB wird dessen Vorlage abgelehnt. Gar nicht erst zur Abstimmung gestellt werden die gleichlautenden Anträge von CDU, ML und FDP auf Prüfung der Zulassung von See-Namen. Diese Prüfung sei erfolgt, argumentiert Specht, ihr Ergebnis in der Verwaltungsvorlage zu lesen, nämlich: „Es gibt keine Änderung des Taufbezirks“, macht der OB klar, fügt aber hinzu: „Das wäre möglich gewesen am Anfang dieses Prozesses, ich hielte es aber für falsch, jetzt, nach dem laufenden Prozess, den Taufbezirk durch einen Gemeinderatsbeschluss zu ändern.“
Und wie geht es nun weiter? Wie Specht bereits zu Beginn der Sitzung ankündigt, soll die Bürgerbefragung jetzt „sehr zeitnah erfolgen“: „Die Unterstellungen, wir würden da was nach der Kommunalwahl schieben, sind nicht zutreffend“, betont der OB und bekräftigt: „Wir werden den Prozess auf jeden Fall starten, wie es bisher vorgesehen war.“ Das bedeutet: Alle Mannheimerinnen und Mannheimer ab dem 16. Lebensjahr dürfen in Kürze über die 18 Namensvorschläge abstimmen. Einzelheiten zu der Abstimmung werden von der Stadt noch bekanntgegeben.
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