Die Mannheimerinnen und Mannheimer können in diesem Jahr wie alle Deutschen bei der Europawahl ihre Stimme abgeben und wie in ganz Baden-Württemberg ihre Gemeinderäte wählen. Doch im März kommt für sie speziell sogar noch eine Beteiligungsmöglichkeit hinzu: Im Rahmen einer Bürgerbefragung dürfen sie abstimmen, wie vier bislang nach Kolonialverbrechern benannte Straßen im Ortsteil Rheinau-Süd künftig heißen sollen. Eine ganz tolle Sache!
Beim Thema Umbenennung ist ja bislang viel an der Kommunalpolitik und der Stadtverwaltung herumgekrittelt worden. Dabei wird das Positive, ja das Wunderbare zuweilen übersehen: das außerordentliche Maß an Bürgerbeteiligung, das bei der Neubenennung bislang einzigartig ist in Deutschland. Angefangen damit, dass nicht die Verwaltung, sondern Bürger Vorschläge für neue Namen vorlegen konnten. Und dass sie nun stadtweit darüber abstimmen dürfen. Das setzt Maßstäbe - für weitere Umbenennungen in Mannheim, aber auch weit darüber hinaus.
Die Mitteilung, dass die Ab-stimmung bereits im März stattfinden soll, die ist eine faustdicke Überraschung. Denn der neue CDU-OB Specht fremdelt sichtlich mit dem Prozess, den er von seinem sozialdemokratischen Vorgänger Kurz geerbt hat. Doch bereits vor den beiden Abstimmungsniederlagen, die er in dieser Sache in den Ratsgremien eingefahren hat, sagte er zu, die Bürgerbefragung zeitnah zu ermöglichen, auf jeden Fall vor der Kommunalwahl - und er hält Wort.
Nun kann es wie vor jeder Abstimmung eine Art Wahlkampf geben - und hoffentlich ist das so. Und zwar im Sinne eines Wettbewerbes, in dem beide Gruppen - die Siedler aus Rheinau-Süd und der Kolonial-Arbeitskreis - engagiert, aber bitte sachlich, bei den Mannheimerinnen und Mannheimern für ihre Präferenzen werben. Im Netz und auf Veranstaltungen, vielleicht gar gemeinsamen? Damit könnte zugleich die deutsche Kolonialgeschichte und endlich auch Mannheims Anteil daran erörtert werden.
Danach gilt es für Gemeinderat und Verwaltung, dieses Votum aller Mannheimer zu respektieren - und nicht wieder mit Argumentationskonstrukten wie von der „besonderen Betroffenheit“ zu entwerten, ja zu verfälschen.
Ein Schlussstrich unter der Diskussion Straßenumbenennungen ist damit allerdings nicht verbunden. Im Gegenteil: Sie fängt erst richtig an. Denn Erinnerungskultur im Stadtbild darf und kann nicht auf das kleine Rheinau-Süd beschränkt bleiben. Das zeigt die bereits anlaufende Diskussion um die Johann-Schütte-Straße auf der Schönau.
Denn dass Schütte im wahrsten Sinne des Wortes nicht ehrenwert ist, das ist längst offenkundig. Die Argumentation der politischen Umbenennungsgegner, die Aufrechterhaltung der Ehrung für diesen überzeugten Nazi fördere das Eintreten für Toleranz, ist daher völlig absurd.
Das Beispiel Schütte zeigt, dass die Diskussion auch deshalb weitergehen muss, weil sogar in unseren Tagen in diesem Bereich neue Fehler gemacht werden. 2023 wurde von einem Verein auf der Meile der Innovationen am Schloss für Schütte eine Gedenkplatte gesetzt, die mit keinem Wort erwähnt, welche Schuld er trägt an der Zerstörung der beruflichen Existenz jüdischer Kollegen; auch diese Ehrung im öffentlichen Raum ist für jeden historisch bewussten Menschen eine einzige Zumutung.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Erinnerungskultur Straßennamen in Rheinau-Süd: Chance für eine interessante Diskussion
Im März dürfen alle Mannheimerinnen und Mannheimer über neue Straßennamen in Rheinau-Süd abstimmen. Redakteur Konstantin Groß hofft auf eine engagierte, aber sachliche Diskussion.