Mannheim. Der Messerstecher-Prozess vor der Strafkammer 1 des Mannheimer Landgerichts ist am Mittwoch mit Plädoyers in die Zielgerade gebogen.
Die Staatsanwaltschaft sieht ihren Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch die Beweisaufnahme bestätigt und fordert eine Haftstrafe von zwölf Jahren.
Hingegen moniert die Verteidigung „erhebliche Lücken“ bei der Rekonstruktion des blutigen Geschehens in der letztjährigen Nacht zum 30. Oktober und hält deshalb mehrere Szenarien für möglich – auch die Variante, dass der 23-jährige Angeklagte gar nicht zugestochen hat.
Was hat sich auf dem Parkplatz im A 1-Quadrat vor der Uni-Bibliothek zwischen einem damals 22-jährigen Türken und einem gleichaltrigen Landsmann abgespielt? Diese Frage steht im Mittelpunkt. Laut Ermittlungen soll Anil A. nach einer bereits beendeten nächtlichen Aussprache zu einem nur wenige Stunden zurückliegenden Streit überraschend sein Messer gezogen und von hinten zugestochen haben. Im Prozess gibt das Opfer, das nach einer Operation schon wenige Tage später wieder das Klinikum verlassen konnte, nur wenige Details zum Tatgeschehen preis, behauptet, sich nicht mehr zu erinnern – was ihm wegen verweigerter Wahrheitspflicht erst ein Ordnungsgeld und dann Beugehaft einbringt. Allerdings sitzt der wortkarge Zeuge bereits in Untersuchungshaft – wegen eines versuchten Totschlags , der mit dem Verfahren nichts zu tun hat.
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Erinnerungslücken und Alkohol
Der 16-jährige Cousin will sich ebenfalls nicht zu der Vorgeschichte der Messerattacke äußern – obwohl er bei der Polizei ausgesagt hatte, dass er einen Faustschlag ins Gesicht bekommen und an den Haaren gezogen worden sei. Zu Protokoll gab er damals den Namen des späteren Angeklagten.
Das Schweigen des Schülers relativiert sich, als dieser am Mittwochvormittag nach zweitägiger Beugehaft vorgeführt wird. Das Gericht hat ihm einen Anwalt zur Seite gestellt. Der Jugendliche windet sich, den Namen seines Angreifers zu nennen und beruft sich auf Dunkelheit sowie Erinnerungslücken aufgrund von Wodka-Trinken. Der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz lässt aber nicht locker, hält ihm dessen früheren Aussagen vor. Letztlich räumt der Jugendliche ein, dass seine protokollierten Angaben gestimmt haben.
Zum Ende der Beweisaufnahme verliest der Kammervorsitzende die Einträge von Anil A. im zentralen Strafregister – zwölf an der Zahl, darunter Diebstahl, schwerer Raub, Körperverletzung, Bedrohung.
„Für mich steht die Täterschaft fest“, erklärt Staatsanwalt Michael Hager in seinem Plädoyer und erläutert, warum er bei dem Vorwurf des versuchten Mordes bleibt. Anil A. habe bei der nächtlichen Aussprache zu dem Attackieren des 16-Jährigen mit einem Angriff von hinten Heimtücke bewiesen und obendrein die Messerklinge mit „voller Wucht“ 7,5 Zentimeter in den rechten Torso des Landmannes gerammt und damit dessen Tod billigend in Kauf genommen.
In ihren Schlussvorträgen betonen Strafverteidiger Stefan Allgeier und seine Kollegin Miriam Haas: Fest stehe lediglich, dass sich nachts drei Personen getroffen haben – der Angeklagte, dessen Begleiter und der später Niedergestochene. Hingegen bleibe auch nach der Beweisaufnahme unklar, was sich in jenem „gewaltbereiten Setting“ zugetragen habe.
Zumal wichtige Zeugen zunächst gar nichts sagen wollten und erst nach Beugehaft „flexible“ Schilderungen von sich gaben. Bei dem Szenario, dass der Begleiter zugestochen haben könnte, müsse Freispruch erfolgen. Und sollte die Kammer den Angeklagten für den Täter halten, so die Verteidigung, käme allenfalls Körperverletzung in Betracht.
Droht Abschiebung in die Türkei?
Das Gericht will das Urteil am 28. Juni verkünden. Davon wird auch abhängen, ob auf den in Deutschland aufgewachsenen jungen Türken eine Abschiebung zukommt. Dass in den Familien der unterschiedlichen Prozess-Beteiligten die Emotionen hochkochen, offenbart sich im und vor dem Gerichtssaal, wo es mehrfach zu lautstarken Wortgefechten kommt.
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