Landgericht - Angeklagter soll nach Aussprache überraschend zugestochen haben

Schweigende Zeugen im Prozess um versuchten Mord

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Vor einer schwierigen Aufgabe steht die Strafkammer 1 des Mannheimer Landgerichts, die ausleuchten muss, was am 30. Oktober 2021 geschah. © Uwe Anspach/dpa

Es ist der Tag des Schweigens: Im Landgerichtsprozess um eine Messerattacke, die der Staatsanwalt als versuchten Mord wertet, erklären zwei Zeugen, sich nicht äußern zu wollen – obwohl ihnen kein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Auch Ordnungsgeld und Beugehaft bringen die beiden nicht zum Reden.

Die Strafkammer 1 hat die schwierige Aufgabe auszuleuchten, was sich am letztjährigen 30. Oktober auf einem Parkplatz vor der Uni-Bibliothek zwischen einem damals 22-jährigen Türken und einem gleichaltrigen Landsmann abgespielt hat. Laut Ermittlungen soll Anil A. nach einer bereits beendeten nächtlichen Aussprache zu einem zurückliegenden Streit überraschend sein Messer gezogen und von hinten zugestochen haben.

In U-Haft sitzt nicht nur der Angeklagte – auch dessen Opfer. Allerdings hat der ihm zur Last gelegte versuchte Totschlag nichts mit dem laufenden Prozess zu tun. Der Zeuge, der aufgrund seiner Stichverletzungen operiert werden musste, aber schon nach einigen Tagen das Klinikum verlassen konnte, gibt weder Details zum Tatgeschehen noch Namen preis. Der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz klärt ihn über die Aussagepflicht und damit verknüpfte Konsequenzen auf – was den jungen Mann wenig beeindruckt. Nun behauptet er, sich nicht mehr zu erinnern. Mehrfach zieht sich die Kammer zur Beratung zurück. Aber weder das zunächst verhängte Ordnungsgeld von 300 Euro noch der darauf folgende Beschluss einer Beugehaft von sechs Monaten bringen den Zeugen dazu, zu sagen, was er weiß.

Sein 16-jähriger Cousin will ebenfalls keine Angaben machen. Der Schüler soll vor der eigentlichen Messerattacke von dem Angeklagten angegriffen worden sein. Aufgrund des jugendlichen Alters verfügt der Vorsitzende Richter, dass dem Schüler ein beratender Rechtsbeistand zur Seite gestellt wird. Als der 16-Jährige nach der Mittagspause in Begleitung eines Anwaltes erscheint, bleibt er dabei, sich nicht zu äußern. Das verhängte Ordnungsgeld von 300 Euro kommentiert er: „Das bezahl ich.“ Der Kammervorsitzende bestellt den Jugendlichen erneut für den 20. Juni ein und mahnt: „Wenn Sie dann noch immer die Rechtsordnung missachten, werden Sie richtig Ärger haben.“ Und wenn er noch so oft kommen müsse, „ich werde nichts sagen“, kündigt der Jugendliche beim Verlassen des Saals an.

Kurz ist der Auftritt eines weiteren Zeugen, der gleich mit Anwalt erscheint. Und dieser erklärt, sein Mandant wolle vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Diesmal akzeptiert die Kammer das Schweigen, weil der 22-Jährige womöglich das blutig endende Treffen mit arrangiert hat und sich belasten könnte. Nur ein Zeuge zeigt sich am Montag komplett aussagebereit: ein Kripobeamter, der Befragungen geführt hatte. Der Prozess wird am 20. Juni, 9 Uhr, fortgesetzt.

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