Mannheim. „Bundestagswahl! Bundestagswahl!“ Die beiden siebenjährigen Mädchen hüpfen in der Neumayerstraße zwischen Bäckerei und Sparkasse hin und her, schwenken ihre grünen Windrädchen und verteilen Päckchen. „Ein Stift, Tee - und irgendwelche Karten.“ Darauf ist die Frau zu sehen, die als Kandidatin der Grünen für Mannheim in den Bundestag einziehen will: Nina Wellenreuther. „Die kenn‘ ich – zumindest vom Plakat“, sagt die Frau, die ihr Rad Richtung Bäckerei schiebt. Nun kann sie die 28-Jährige persönlich kennenlernen. Deren „Stand-Hopping“ beginnt an diesem kalten Samstagmorgen auf der Rheinau.
Der Wahlkampf ähnelt hier einem Familienprojekt. Entsprechend ist die Stimmung. Man kennt sich, man umarmt sich. Zwischendurch ist sogar ein verstohlener Kuss für Freund Nico drin, den die Seckenheimerin im Studium kennengelernt hat. Wer diese politische Familie sympathisch findet, bleibt kurz stehen, um zu plaudern. Die anderen halt nicht. So geht das etwa eine Stunde lang zwischen heißem Kaffee und frischen Brötchen. Doch so nett wird es nicht den ganzen Tag bleiben.
In Wallstadt vor dem Markthaus ist es noch sehr entspannt. Wellenreuther nutzt das, um nebenher Videos für Social Media zu drehen: „Du bist gerade 18 und darfst zum ersten Mal wählen? Ich bin Nina Wellenreuther und ich nenne dir drei Gründe, warum es gut ist, uns zu wählen.“
Ihre Kernthemen: Energie, Infrastruktur, Ehrenamt
Bezahlbare Energie, Investitionen in die Infrastruktur und Stärkung des Ehrenamts: Das sind die Kernpunkte, mit denen sie überzeugen will. Also ein stärkerer und schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien, erklärt sie: „Wenn wir es jetzt angehen, wird es bald besser.“ Zur Instandhaltung etwa der Straßen und Brücken brauche es viel mehr Geld: „Die Kommunen werden es allein nicht schaffen.“ Also weg mit der Schuldenbremse, her mit einer „Reichensteuer“. Außerdem will sie die Vereine besser unterstützen, etwa bei der Umsetzung hoher Sicherheitsauflagen.
Diese drei Punkte resultieren auch aus dem Lebenslauf der jungen Frau, die nicht mit dem einstigen Oberbürgermeister-Kandidaten Ingo Wellenreuther verwandt ist: Nachdem sie als Medienkauffrau bei der HAAS-Mediengruppe gearbeitet hat (zu der auch der „Mannheimer Morgen“ gehört), hat sie in der Corona-Zeit beschlossen, doch noch zu studieren.
Seit diesem Winter ist sie Umweltingenieurin, kennt sich also bestens mit erneuerbaren Energien aus. Die Nöte der Kommunen versteht sie ebenfalls, schließlich sitzt sie seit sechs Jahren im Gemeinderat, seit dreien sogar als eine der Vorsitzenden ihrer Fraktion. Und in den Vereinen in Seckenheim und Friedrichsfeld ist „die Nina“ eh verwurzelt. Nicht nur, weil sie schon als Kind im Turnen und bei der Leichtathletik war und im Turmspringen sogar zweimal baden-württembergische Meisterin. Sondern auch, weil durch ihren Vater die Handballhalle zu einer Art zweitem Wohnzimmer wurde.
Auf der Schönau scheint das einen 75-Jährigen, der am Bäcker-Stehtisch vor dem Penny seinen Pappbecher-Kaffee trinkt, jedoch herzlich wenig zu beeindrucken.
Am Stand auf der Schönau wird‘s richtig ungemütlich
„Sind Sie verwandt mit denen aus der Gartenstadt?“, fragt er, nachdem sich Wellenreuther vorgestellt hat. „Ja, die Schreinerei ist von meinem Opa.“ „Und was machen Sie?“ „Ich bin Umweltingenieurin.“ „Was für ein Ding?“ Die Erklärung fasst er für sich so zusammen: „Also gearbeitet haben Sie noch nichts.“
Es dauert nur einige Sätze, bis seine Stimme lauter und aggressiver wird („Ihr lebt in einer anderen Welt“) und über einen Exkurs zum „Zigeunerschnitzel“ („Wollt ihr über uns bestimmen?“) bei der Migration landet: „Ich war beim Arzt und hab‘ eine Wurzelbehandlung machen lassen: 300 Euro hab‘ ich da selbst bezahlt! Und der Asylant neben mir hat nix bezahlt! Das ist doch nicht normal!“
Beim Weggehen schüttelt er den Kopf: „Keine Ahnung vom Leben“, murmelt er. „Scheiß Grüne.“ Dann steigt er auf sein E-Bike und radelt davon.
Wellenreuther ist danach für einige Minuten sehr still. Wie sie mit so etwas umgehen könne? „Nicht so gut“, sagt sie leise. „Es frustriert mich immer. Dieses Pauschalisieren macht mich fertig. Man kommt halt nicht dagegen an.“
Auf der Weiterfahrt im „Tourbus“, den sie vom selbstständigen Vater für den Wahlkampf ausgeliehen hat, ist die Stimmung wieder besser. Laute, schnelle Beats spenden Energie. Wellenreuther wippt den Kopf im Takt und singt die eine oder andere Zeile mit. Die Sprüche aus der Grüne-Jugend-Ecke sorgen für Klassenfahrt-Stimmung. Dem Altersschnitt nach könnte es auch eine Studienfahrt sein. Und die trifft gleich auf Kommilitonen.
Die sind zwar nicht mit der Partei verbandelt, erklärt Wellenreuther, fänden es aber toll, was sie da macht. „Das ist meine Masche“, sagt sie verschmitzt: „Die Leute können mich persönlich sehr gut leiden.“ Darum verschenken die Mitstudierenden am Paradeplatz nun Pani Puri: eine indische Spezialität, garniert mit Flyern und anderem Werbematerial.
Ungewöhnlich viel Unterstützung erhalte sie, sagt Wellenreuther. „Es werfen gerade sehr viele sehr viel in diesen Wahlkampf rein.“ Und seit die CDU im Bundestag mit den Stimmen der AfD einen Antrag durchgebracht hat, sei das Engagement noch größer: „Weil es jetzt zählt.“
Das macht ihr Hoffnung. Nachdem sie am Anfang die Erwartungen eher gedämpft hat, zeigt sie sich nun optimistisch: „Wir werden das gewinnen“, sagt sie. Ein bisschen ist sie auch verdammt dazu: Für ihren Listenplatz 20 müssten die Grünen Schätzungen zufolge etwa 20 Prozent der Stimmen erhalten. Aktuell liegen sie bei 15.
Kampf um Direktmandat mit Überraschungen
Melis Sekmen (CDU) und Isabel Cademartori (SPD) sind ihre Hauptkonkurrentinnen im Kampf um das Direktmandat. Wobei Erstere aufgrund der Wahlrechtsreform keine guten Chancen auf einen Einzug ins Parlament hat, selbst wenn sie in Mannheim die meisten Stimmen erhalten sollte. Für Wellenreuther spielte Sekmen schon früher eine besondere Rolle: Sie war es, die sie einst ermuntert hatte, als Stadträtin zu kandidieren. Und erst Sekmens spektakulärer Wechsel von den Grünen zur CDU hat ihr den Weg zur Kandidatur eröffnet.
So kommt es, dass sie womöglich nach Berlin wechselt. Zumindest schmucktechnisch ist sie bereits vorbereitet: An ihrem Handgelenk baumelt das gleiche „Kanzler-Era“-Armband im Taylor-Swift-Style, das auch Robert Habeck trägt. Vielleicht kann sie ja bald tauschen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-so-will-die-mannheimer-gruene-nina-wellenreuther-das-direktmandat-gewinnen-_arid,2284873.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/rheinau-hochstaett.html
[3] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/wallstadt.html
[4] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/seckenheim.html
[5] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/schoenau.html