Stadtgeschichte

So sieht es 1945 in Mannheim bei Kriegsende aus

Das offizielle Kriegsende in Berlin ist für Mannheim weit weg. Hier haben die Amerikaner schon seit Ende März das Sagen.

Von 
Peter W. Ragge
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Wiederaufbau: US-Soldaten verlegen in Mannheim Telefonkabel. © Bild: Marchivum/US Army

Mannheim. Ob die Glocken läuten, die wenigen nicht eingeschmolzenen Glocken? Man weiß nicht genau, wie die Mannheimer vor 80 Jahren erfahren, dass nun Frieden ist. Die Kapitulation der Wehrmacht im fernen Berlin und damit das offizielle Ende des Zweiten Weltkrieges wird in Mannheim wohl eher achselzuckend zur Kenntnis genommen. Überliefert ist dazu kaum etwas, nur das Leid der von Hunger geplagten Bevölkerung in der weitgehend in Trümmern liegenden Stadt. Hier ist der Krieg nämlich schon mit dem Einmarsch der Amerikaner am 29. März zu Ende.

„Nun ist der Friede da! Freilich ist es kein Friede, der aus der Einsicht und dem guten Willen unserer Führer geboren wurde. Er ist das letzte Kind dieses grausamen Krieges, der als totaler Krieg von den Nazis und all denen, die sie in ihrem Machthunger unterstützten, begonnen und geführt wurde. Dieser Friede mußte erzwungen werden mit Macht und Gewalt, mit Not und Elend und der Vernichtung vieler Menschen in vielen Ländern“, heißt es erst am 19. Mai im Mitteilungsblatt der Militärregierung: „Wir konnten nicht verhindern, was war, aber wir müssen verhindern, daß dieses oder ähnliches sich in Zukunft wiederholt.“

Aktuell gemeldet wird das Kriegsende sicher vom einstigen „Feindsender“ BBC London. Den hören viele Deutsche, obwohl sie ja eigentlich alle ihre Volksempfänger an die Amerikaner haben abgeben müssen, was die aber nicht so stark kontrollieren wie das Verbot, Waffen zu besitzen. Deutsche Sender und Zeitungen gibt es nicht mehr. In Mannheim erscheint seit dem 17. April alle paar Tage das Mitteilungsblatt mit den Vorschriften der Militärregierung.

Wenig Platz: Da viele Wohnungen in Trümmern liegen, leben auch in Mannheim die Menschen auf wenig Platz. © Bild: Marchivum/US Army

Die ist aber nicht zufrieden, wie sie eingehalten werden. Am 9. Mai bestellt daher Oberstleutnant Charles D. Winning die Bürgermeister des gesamten Landkreises Mannheim in das Palasthotel „Mannheimer Hof“, das beschlagnahmt ist und als „Truman-Hotel“ genutzt wird, ein. Er liest den Zivilisten die Leviten, kritisiert die fehlende Einhaltung vieler Verbote und erinnert sie daran, dass die einzige Autorität die Militärregierung sei.

„Unnötiges Herumlaufen“ ist in Mannheim den Deutschen untersagt

Die hat in ihrem allerersten Mitteilungsblatt vom 17. April von 19 bis 6 Uhr eine Ausgangssperre verkündet. Auch am Tage ist „unnötiges Herumlaufen“ untersagt, da es den Militärverkehr behindert. Deutsche dürfen „nur die nötigsten Gänge“ machen, Hauptstraßen nicht mit Fahrrädern, Motorrädern und Wagen befahren. „Gruppenbildungen in den Straßen sind zu unterlassen“, ordnet die Militärregierung an. Wer dagegen verstößt, wird vor den Militärgerichtshof gestellt und bestraft, heißt es. Auf Plünderer werde sofort geschossen.

Im dritten Mitteilungsblatt vom 30. April bestimmt die Militärregierung, dass der 1. Mai kein Feiertag ist. Das lasse „der gegenwärtige Zustand unserer Stadt“ nicht zu, da würden alle für den Wiederaufbau gebraucht. Zugleich werden „alle Arbeitsfähigen, welche gegenwärtig unbeschäftigt sind“, aufgefordert, sich bei den Polizeirevieren zu melden. Direkt daneben steht die Notiz, dass ein früherer Polizeibeamter (mit voller Namensnennung) zu drei Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er seine Mitgliedschaft in SA und Wehrmacht verschwiegen hatte.

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„Entnazifizierung“ nennt sich das. Wer belastet ist, also im alten System mitgewirkt hat, soll enttarnt und von öffentlichen Ämtern ferngehalten werden. Das erweist sich indes als schwierig. Von einem amerikanischen Offizier ist der Stoßseufzer überliefert, dass es in Deutschland offenbar gar keine Nazis gegeben habe, nur einen einzigen, und der sei tot – gemeint ist Adolf Hitler. In den ersten Wochen nach Kriegsende bilden sich in einigen Betrieben Arbeiterausschüsse, die auf die Entlassung von NSDAP-Mitgliedern drängen, und in Stadtteilen „Antifaschistische Ausschüsse“.

Sie wollen der Militärregierung helfen, alte Nazis aufzuspüren. Teilweise gehen sie aber auch eigenmächtig gegen sie vor, manchmal mit US-Offizieren zusammen. Etwa in Feudenheim, Käfertal und Wallstadt werfen sie alte Parteigenossen aus ihren Wohnungen oder betreiben „Lastenausgleich“, indem sie ihnen Gebrauchsgüter abnehmen. Dagegen protestiert Oberbürgermeister Josef Braun bei der Militärregierung und weist darauf hin, dass dafür jede Rechtsgrundlage fehlt.

Einen Oberbürgermeister hat Mannheim nämlich schon wieder – wenn auch nicht gewählt. Josef Braun, Bauernsohn und tiefgläubiger Katholik, hat Maschinenbau studiert. Er arbeitet bei den Stadtwerken, ist für die Bauabteilung und für den Rohrnetzbetrieb verantwortlich. Zudem engagiert er sich in der katholischen Zentrumspartei, für die er von 1919 bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 dem Gemeinderat angehört.

Während der Nazi-Diktatur darf er sich politisch nicht betätigen, aber als Fachmann weiter bei den Stadtwerken arbeiten. Gleich nach dem Einmarsch der Amerikaner gibt Josef Bauer, Dekan und Pfarrer an der Jesuitenkirche, den Besatzungssoldaten den entscheidenden Tipp. Sie suchen einen von den nationalsozialistischen Gewalttaten unbelasteten Mann als neuen, ihnen freilich unterstellten Chef der Stadt. Eineinhalb Tage lang wird er von sieben Offizieren verhört und dann vom US-Stadtkommandant am 31. März 1945 zum kommissarischen Oberbürgermeister ernannt. Es ist der erste von den Amerikanern im Bereich des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg eingesetzte Verwaltungschef.

Hilfspolizeitruppe gegen Plünderer und Übergriffe von Zwangsarbeitern

Doch sein Chef ist ein Amerikaner – der Stadtkommandant, Oberstleutnant Winning. Bei der Militärregierung, die erst im Stadtwerke-Haus in K5 und dann in der Otto-Beck-Straße 42 sitzt, liegt die alleinige Entscheidungsgewalt, Josef Braun soll nur die deutsche Verwaltung organisieren und Anordnungen ausführen. Zunächst muss er dafür sorgen, dass das Rathaus wieder funktioniert: Binnen 14 Tagen, damit noch vor der Kapitulation, kehrt ein Viertel der ehemaligen städtischen Beschäftigten wieder zurück – viele waren in den letzten Kriegstagen geflohen. Braun stellt eine unbewaffnete deutsche Hilfspolizeitruppe auf, die Plünderungen und Übergriffe der etwa 12.000 in Mannheim lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter, von denen viele einen Hass auf die Deutschen empfinden, verhindern soll.

Viele Menschen suchen ein festes Dach über dem Kopf, leiden unter Hunger. Gerade mal 1147 Kalorien pro Tag gestatten die Amerikaner in den ersten Wochen der Besatzungszeit der Bevölkerung. Braun weist die Militärregierung immer wieder auf die katastrophale Ernährungslage hin. Aber immerhin fließt seit 4. April wieder Wasser, wenn man es auch nur abgekocht trinken soll, und ab 6. April läuft die Gaserzeugung im Gaswerk Luzenberg.

Mitte April nehmen 13 Apotheken, neun Allgemeinärzte in der Innen- und Neckarstadt und zehn in den Vororten ihren Dienst wieder auf, und ab Anfang Mai gestattet die Militärregierung den Zivilverkehr über die von den Amerikanern zwischen den gesprengten Brücken errichtete Behelfsbrücke. US-Fahrzeuge haben aber stets Vorrang. Als am 14. Mai die Verdunkelungsvorschriften außer Kraft gesetzt werden, fühlt es sich für viele Mannheimer dann doch so an, als sei der Krieg jetzt wirklich vorbei.

Amerikanische Truppen bauen Mannheim zu einem wichtigen Standort aus

Doch bis die Trümmer weg sind, dauert es noch Jahre. Derweil bauen die Amerikaner Mannheim immer mehr zur Garnison aus. Während die Soldaten, welche die Stadt befreien, nach Heilbronn weiterziehen und dort in schwere Kämpfe verwickelt werden, richten weitere Einheiten sich in der Quadratestadt ein.

Von den Kasernen wird zunächst die – weitgehend unzerstörte – Seckenheimer Loretto-Kaserne von den Amerikanern belegt. Die deutschen Kriegsgefangenen werden in der Lüttich-Kaserne (spätere Ludwig-Frank-Kaserne) gesammelt, die ehemaligen Gefangenen und Zwangsarbeiter der Nazis, nun Displaced Persons genannt, in der Kaiser-Wilhelm-Kaserne in der Neckarstadt betreut.

Redaktion Chefreporter

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