Mannheim. Eigentlich ist er viel zu klein, der Spielzeugladen von Lothar Mandler. Die deckenhohen Regale, die jede freie Wand bedecken, sind bis auf den letzten Zentimeter mit Modellspielwaren gefüllt. Davor stehen Kisten mit noch mehr Spielsachen, hauptsächlich Modelleisenbahnen, Modellautos, antikes Blechspielzeug und eine beachtliche Sammlung von Tim & Struppi Figurinen. Mindestens dreimal so groß müsste der Spielzeugladen sein, wollte man alle Schätze, die sich dort befinden, gebührend ausstellen.
Der Spielwarenladen, der dieses Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert, ist eines der wenigen inhabergeführten Geschäfte der Mannheimer Innenstadt im Quadrat C3. Inhaber Lothar Mandler ist ein lässiger Typ. Tim & Struppi-T-Shirt, rotes Kordhemd, weiße Slipper, die schneeweißen Haare zurückgekämmt. Beinahe wäre er Bänker geworden. Dass er sein BWL-Studium dann nach dem sechsten Semester „erfolgreich abgebrochen“ hat und lieber Spielzeugsammler wurde, daran ist laut Mandler der "Mannheimer Morgen" schuld. „Anfang der 70er Jahre habe ich im ,Mannheimer Morgen' eine Notiz gelesen, dass in Weinheim ein Tauschmarkt für Modelleisenbahnen und altes Spielzeug stattfindet“, berichtet er.
Auf diesem Markt habe er dann Exponate entdeckt, die als teure Sammlerstücke gehandelt wurden, die er aber kurz zuvor noch in Spielzeuggeschäften entdeckt habe. Als gelernter Bankkaufmann habe er sich ausgerechnet wie lukrativ es wäre, altes Spielzeug aufzukaufen und selbst weiter zu verkaufen. „So ist diese Sammel- und Verkaufsleidenschaft entstanden.“
„Solche Trödelfuzzis wie ich sterben aus“
Ob er diese Entscheidung jemals bereut hat? „Ganz und gar nicht“, sagt Mandler und berichtet von Ereignissen und Begegnungen, die seine Augen beim Erzählen zum Leuchten bringen. Wie er seinen Jagdradius, wie er es nennt, von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg auf ganz Deutschland ausgeweitet hat. Er dann 1974 den Laden in C3 mit altem Blechspielzeug, Holzspielzeug und Spielen eröffnet hat, ausgestattet mit den Vitrinen eines Freundes, vor der Tür ein altes Karussellpferd. Seine Frau half im Laden, aber daraus sei nichts geworden – sie sei Künstlerin gewesen, damals schon, und nach der Trennung, die dann folgte, tatsächlich Malerin geworden. „Sie hat ganz großes Talent“, meint Mandler und zeigt stolz einige ihrer Bilder.
Dass ein Spielzeugladen wie der seine eine Seltenheit ist, weiß Mandler. „Solche Trödelfuzzis wie ich sterben aus. Das will ja niemand mehr machen“, sagt Mandler, ein Halbblut, wie er sich selbst bezeichnet: die Mutter Berlinerin, der Vater Pfälzer. In der ganzen Stadt würde es kein einziges Geschäft für Modelleisenbahnen mehr geben. „Meistens hat das der Vater oder Großvater gemacht, aber die Kinder haben kein Interesse mehr daran.“ Bekannt ist Mandler trotzdem, oder gerade deswegen. Alte Blechspielzeuge sind langsam zu Antiquitäten geworden und haben zum Teil großen Wert bei Sammlern gewonnen.
Dioramas und die Kulisse einer Ufolandung für den Playboy
Er steht auf und zeigt die vollständige Kollektion der Tim & Struppi-Autos – einige davon in schwarz-weiß, wie in dem Heft „Tim & Struppi in der Sowjetunion“. Noch mehr Schätze: Die Handarbeit eines Eisenbahnmodells, das später ein Kunde im Laden wiedererkannt hat. Mit diesem Wagen sei er 1992 von Berlin nach Moskau gereist. Als Beweis bringt der Kunde einen Schnappschuss mit, den man irgendwie auch als Kunstwerk betrachten kann, es erinnert an ein Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper. Mandler hat das Foto „Umspurung, Brest, 1992“ getauft, weil in Brest die Normalspurwagen auf die russische Breitspur umgespurt wurden.
Im Laden finden sich auch unverkäufliche Stücke, zum Beispiel ein kompletter Zug aus Messing der Firma Bavaria: Den gab es nur als Bausatz, er musste von Hand zusammengelötet werden. Oder eine Szenerie des Afrikacorps aus dem Zweiten Weltkrieg, „ein Tribut an meinen Onkel. Er war in Libyen stationiert und hat es überlebt“. In der einen Vitrine sind Überreste der römischen Besetzung in Leptis Magna zu sehen, dort steht Rommel mit seinen Soldaten. Der Gegner, General Bernard Montgomery, ist in der Vitrine gegenüber positioniert. Omar Sharif und Laurence von Arabien sind auch mit von der Partie. „Sie gehören eigentlich nicht hierher, das ist Erster Weltkrieg. Aber die Figuren sind so fantastisch bemalt, dass sie in dem Diorama dabei sein dürfen.“
Noch eine Story: Der Zeichner und Fotograf Günther Blum aus Heidelberg, Mandlers bester Freund, der schon verstorben ist, hat viel für den Playboy gearbeitet. Sie haben einen Artikel über Ufos zusammen illustriert. Wann war das? Mandler muss nachschauen. 1989. Die Kulisse einer Ufolandung, das Unbekannte Flugobjekt gebaut aus einer Radkappe, im Hintergrund stehen Gebäude, die ebenfalls Mandler gefertigt hat.
Berühmte Spielkinder: Günter Kunert und Phil Collins
Der Schriftsteller Günter Kunert war anlässlich einer Lesung einmal in Mannheim und ist in den Spielwarenladen gekommen, es entwickelte sich eine jahrzehntelange Freundschaft. „Ich habe ihm Sachen geschickt, er hat mir seine Erstausgaben geschickt. Wir haben uns gegenseitig Witze erzählt. Mundsprachlich hat ihm der Hessische Dialekt am besten gefallen. Er war ein hochgescheiter Mensch“, erinnert sich Mandler. In Kunerts Haus in Schenefeld sei er damals zu Gast gewesen, um seine Modell-Sammlung zu kuratieren. Mandler erinnert sich noch die letzten Worte seines Freundes bei einem Telefonat, als es Kunert plötzlich sehr schlecht ging: „Herr Mandler, mir geht's nicht gut. Wir sehen uns in einem anderen Leben wieder.“
Ach ja, irgendwann in den 80er Jahren war der „Trommlermeister Phil Collins“ einmal zu Besuch im Spielwarenladen, zusammen mit seiner damaligen Frau Jill. Als Genesis in Mannheim aufgetreten ist, hatte der damalige Mannheimer Konzertveranstalter Matthias Hoffmann dem Künstler von dem kleinen Spielwarenladen erzählt. „Es war ein Sonntagmorgen. Er kam an mit einem dicken Leibwächter und seiner ganz bezaubernden Frau Jill, hat hier ein bisschen rumgewühlt und was gefunden, ich glaube so für 2000 Mark.“
Die Großbahn fuhr durch Löcher in den Wänden durch die Wohnung
Collins habe dann gern auch die private Sammlung sehen wollen und besuchte Mandler in dessen damaliger Wohnung in den S-Quadraten, wo eine Großbahn durch die ganze Wohnung fuhr, durch eigens dafür gebohrte Löcher in den Wänden. Der größte Spaß für das große Spielkind Mandler: Mit Freunden, mit denen er gezecht hatte, Eisenbahn zu spielen. „Das sind die Geschichten, die mich mit der Außenwelt verbinden“, sagt er, der die große Wohnung aufgegeben hat und inzwischen über seinem Geschäft lebt. Das Kreuz schmerzt ein bisschen, die Bandscheiben. „Ich bin halt 77, sehe aber aus wie 76“, sagt Mandler schulterzuckend und lacht.
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