Die Planken ohne Brezel-Verkauf? Undenkbar – jedenfalls für Mannheimer, die in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind. „Bitte, bitte ein Groschen“ bettelten damals Mädchen wie Buben, wenn sie mit den Eltern oder Oma und Opa auf Mannheims Prachtmeile zum Schaufenstergucken oder Einkaufen unterwegs waren. Zehn Pfennige kostete einst die symmetrisch in sich verschlungene Köstlichkeit. Inzwischen hat sich so einiges verändert. Nicht nur der Preis. Vorbei ist die Zeit, als die Teigspezialität in großen geflochtenen Körben auf einem Hocker angeboten wurde. Die einstigen Freiluftstände sind Häuschen gewichen, in Mannheim „Brezel-Bude“ genannt. Und dennoch ist vieles wie früher: Kinder, und nicht nur sie, lieben nach wie vor das gesalzene Laugengebäck mit dem fluffig weichen Teigbauch und den knusprig-krossen Ärmchen. Innen weiß und außen kastanienbraun.
Schneiderberuf aufgegeben
Seit mehr als einem Jahrzehnt verkauft Christa Bendick Brezeln. Sie mag ihre Arbeit – weil das, was sie über die Theke reicht, von Menschen gemocht wird. Ursprünglich hat die gebürtige Mannheimerin das Schneidern gelernt. Als sich schleichend eine Schwäche beim Erkennen von Farben entwickelte, konnte sie in ihren Beruf nicht weiter ausüben. „Als Schneiderin muss man farbsicher sein!“ Schließlich gehe es nicht, für die Naht eines roten Stoffes einen grünen Faden zu nehmen. Auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit entdeckte Bendick eher zufällig an einer Brezel-Bude ein Schild „Mitarbeiterinnen gesucht“.
Als sie vor elf Jahren am Standort Marktplatz anfing, wurden die Brezeln noch fix und fertig geliefert. Einige Jahre später startete die Ofen-Ära: Seitdem backt sie tiefgefrorene Teiglinge 14 Minuten lang direkt im Häuschen auf. „Mit der neuen Technik umzugehen – das war schon eine Herausforderung“, blickt sie zurück. An kalten Wintertagen lernte sie den einheizenden Backofen zu schätzen. In Super-Sommern wie 2018 „na ja, da habe ich ziemlich geschwitzt“.
Viele Planken-Passanten haben es eilig, legen Geld hin und stürmen mit dem Backwerk davon. Bendick hat aber auch Stammkunden mit Zeit für ein Schwätzchen. Im Laufe der elf Jahre hat sie so manche Sprösslinge aufwachsen sehen. Sie ist erfreut, wenn Kinder über eine Brezel strahlen und genüsslich hinein beißen. „Für meine zwei Enkel ist es auch das Größte, die Oma zu besuchen und eine Brezel in die Hand gedrückt zu bekommen.“ Der Klassiker mit Salz, erzählt sie, sei immer noch unangefochten der Favorit. „Die meisten mögen die Brezel warm.“ Großer Beliebtheit erfreue sich auch die Variante mit Butter. Nö, sie müsse weder aufschneiden noch schmieren. Das erledigt in der Großbäckerei eine Hightech-Maschine – „mit Hochdruck“, wie Wolfgang Bohatsch berichtet. Der Inhaber von „Golden Brezel“ und seit 2015 auch von „Ams“, erzählt stolz: „Die Käsebrezel, die habe ich erfunden.“ Irgendwann um 1980 sei ihm dazu die Idee „einfach so“ gekommen. Der Trick: Im Ofen müsse beim Aufstreuen die Umluft ausgeschaltet werden, „sonst fliegt der Käse rum“.
Am Verkaufshäuschen, das während des Plankenumbaus von der Drogeriemarkt-Seite gegenüber zu „P&C“ umziehen musste, kommt auch Stadträtin Marianne Seitz vorbei und holt sich eine Brezel. „Die schmeckt auch nach Kindheitserinnerungen“, betont sie.
Christa Bendick ist jetzt 62. „Die drei Jahre bis zu Rente will ich vollmachen.“ Und dann werde sie weiter sehen. So manche ihrer pensionierten Kolleginnen – Männer sind in Brezelbuden eher Exoten – verkaufen auch jenseits der Siebzig als Aushilfskraft das beliebte „Gebildbrot“, wie es früher hieß. Am Ende des Gespräches verrät Bendick noch ein Geheimnis: Was tut eine (Vollzeit-)Brezelfrau, wenn sie mal muss, dies aber in ihrem Häuschen nicht kann? „Ganz einfach, ich lasse den Rollladen runter, klemme die Kasse unter den Arm, schließe ab und verschwinde.“ Natürlich dorthin, wo nicht nur der Kaiser zu Fuß hingeht.
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