Mannheim. „Der Zusammenbruch hat sich angekündigt, ich wollte aber die Signale nicht wahrhaben“, blickt die 42-Jährige zurück. Als Pflegefachkraft gehört sie zu einer Berufsgruppe, die in Krankenkassen-Statistiken besonders häufig mit Fehltagen aufgrund eines Burnouts auftaucht. Warum dies so ist und wie entgegensteuert werden kann, soll eine EU-Studie herausfinden, die das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit koordiniert. „Stark im Pflegealltag: Schutzfaktoren entschlüsseln und verstehen“. Diese auf einem ZI-Infoflyer prangende Botschaft lässt sich auf den Punkt bringen: Resilienz.
Projektkoordinatorin Michèle Wessa weiß, dass dieser Begriff inzwischen auch jenseits von Fachleuten in aller Munde ist. Und wie lautet ihre Definition? Im Kern gehe es darum, trotz Stress oder anderer Belastungen psychisch gesund zu bleiben, erläutert die Resilienzforscherin und verknüpft damit „einen dynamischen Prozess der Anpassung, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen“ – auch die Persönlichkeit, aber nicht allein.
Resilienz kann trainiert werden, das gilt inzwischen als unstrittig. Und dass manche Menschen in der Lage sind, Krisen, ja Katastrophen zu bewältigen, an denen andere zerbrechen, ist so etwas wie eine Erfahrungstatsache. Fest steht: Ein Resilienz-Gen gibt es zwar nicht, wohl aber die Fähigkeit, in schwierigen Lebenssituationen nicht zu hadern und stattdessen kreativ nach Lösungen zu suchen.
Eine Längsschnittstudie begründet die einschlägige Forschung zu Resilienz
Es war Emmy Werner, die mit einer ersten Längsschnittstudie die einschlägige Forschung begründete: Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin untersuchte knapp 700 Hawaiianer von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter: Sie alle waren 1955 auf der Insel Kauai auf die Welt gekommen und galten von ihrer sozialen Herkunft her als gefährdet.
Zwei Drittel der beobachteten Mädchen und Jungen zeigten früh Verhaltensauffälligkeiten, scheiterten später – gleich ihren Eltern –, einige griffen zu Drogen, andere wurden kriminell. Hingegen absolvierte ein Drittel die Schule, erlernte einen Beruf, gestaltete die Zukunft. Die Pionierin fand heraus, dass dazu vieles beigetragen hatte. Beispielsweise außerhalb der desolaten Kernfamilie erlebte Unterstützung, häufig von einer engagierten Lehrkraft. Die Mannheimer Risikokinder-Studie, die das ZI Mitte der 1980er startete, sollte Erkenntnisse der wegweisenden Kauai-Untersuchung bestätigen.
In der Resilienzforschung hat die Metapher vom sprichwörtlichen Fels in der Brandung längst ausgedient. Schließlich kann ein stetig von Wasser umspülter Steinbrocken porös werden und brechen.
Als symbolisches Vorbild dient Bambus: Weil dieser die Eigenschaft besitzt, sich im Sturm fast zum Boden zu neigen, aber ohne zu knicken oder zu entwurzeln. Nicht von ungefähr bedeutet der von resilire („zurückspringen“) abgeleitete Begriff in der Werkstoffkunde ein Material, das sich elastisch verformen und wieder in den Ursprungszustand bringen lässt.
Die Projektkoordinatorin
Michèle Wessa (Jahrgang 1975) stammt aus Ludwigshafen , hat in Mannheim und Berlin Psychologie studiert, an der Universität Heidelberg promoviert und sich habilitiert .
Nach mehreren Berufsstationen, auch an der Gutenberg-Universität in Mainz, leitet sie seit 2024 am ZI das Institut für Neuropsychologie und Resilienzforschung .
Eine W3-Professur hat sie in ähnlicher Funktion am Deutschen Krebsforschungsinstitut Heidelberg .
Mailkontakt zur Studie: XR2esilience@zi-mannheim.de. wam
Mannheimer ZI-Studie ist Teil des EU-Projekts „XR2ESILIENCE“
Und wie soll die Studie als Teil des EU-Projekts „XR2ESILIENCE“ vor sich gehen? „Auf jeden Fall läuft alles online und standardisiert ab“, schickt die leitende Koordinatorin voraus. Als Teilnehmende sind Frauen und Männer unterschiedlicher Altersgruppen erwünscht, die in einem Krankenhaus als Pflegekräfte entweder Vollzeit oder auch reduziert (mindestens zehn Wochenstunden) arbeiten.
In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren sollen nicht nur Fragebögen ausgefüllt werden. Vorgesehen sind außerdem längere wie kürze Befragungen. Dabei soll die Ist-Situation im Berufsalltag ausgeleuchtet werden. Es gehe aber auch darum, so Michèle Wessa, herauszufinden, welche Übungen beziehungsweise Strategien zum Abbau von Stress sich in die jeweiligen Abläufe eines Klinikalltags – ob auf der Intensivstation oder bei der Notfallaufnahme – überhaupt einbauen lassen und als hilfreich empfunden werden. „Das soll gemeinsam entwickelt werden.“
Gefragt nach Faktoren, die als Resilienz-förderlich belegt sind, spricht Wessa von „einem ganzen Strauß“. Wichtig sei beispielsweise, an eigene Kräfte und Talente zu glauben, aber gleichzeitig persönliche Grenzen zu erkennen. Es gelte, das richtige Maß von „Selbstmitgefühl“ zu finden und freundlich mit sich umzugehen – aber ohne Selbstgerechtigkeit. Dabei könne inspirieren, einen Brief aus der Sicht einer Freundin oder eines Freundes an sich selbst zu schreiben. Eine wichtige Rolle spiele vor allem in verantwortungsvollen Berufen der Umgang mit Fehlern und die Akzeptanz, „dass diese gemacht werden“.
In den nächsten Wochen will Michèle Wessa mit ihrem Team das Projekt gezielt bei Veranstaltungen vorstellen: „Wir sind bereits mitten drin, für die Studie Pflegekräfte zu rekrutieren“.
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