Mannheim. Als „Gretchenfrage“ sieht Vorsitzender Richter Ulrich Bunk, ob der einstige Klinikum-Geschäftsführer Alfred Dänzer kontrolliert hat, dass von ihm delegierte Pflichten tatsächlich umgesetzt wurden. Am sechsten Verhandlungstag spielt im Hygiene-Prozess erneut eine Dienstanweisung vom Mai 2007 eine zentrale Rolle. Denn das Schriftstück hielt fest, dass Steri-Geräte zur Aufbereitung von OP-Besteck entsprechend den Auflagen des Medizinproduktegesetzes der Klinikumabteilung Technik obliegen.
Deren damaliger Leiter hat allerdings ausgesagt, diese schriftliche Anweisung nicht gekannt zu haben. Gleichwohl zeigt das Dokument das Unterschriften-Kürzel des Technik-Chefs. Verteidiger Hans Ulrich Beust weist daraufhin, dass bereits der Vorgänger-Geschäftsführer nahezu wortgleich der Technikabteilung die Verantwortung für den Steri-Maschinenpark übertragen hatte. Beust beantragt, Zeugen zu hören, die über das Erarbeiten der Dienstanweisung von 2007 samt Pflichtenkatalog berichten können.
Bekannt: Spezial-TÜV abgelaufen
„Führungskräfte haben häufig den Schwarzen Peter hin und her geschoben“, blickte der einstige Klinikum-Bereichsleiter für Unternehmensentwicklung zurück, als er vor einer Woche von der dritten Landgericht-Strafkammer gehört wurde. Dass sich bei der komplexen wie sensiblen Sterilgut-Aufbereitung wohl niemand zuständig fühlte, das offenbaren Schilderungen einer erfahrenen Endoskopie-Schwester, einer langjährigen Steri-Mitarbeiterin, einer Hygienefachkraft sowie einer pensionierten Pflegedienstleiterin. Auch wenn die Zeuginnen aus der Warte unterschiedlicher Arbeitsbereiche berichten, so gibt es übereinstimmende Aussagen: Danach haben Beschäftigte an der Front sehr wohl gewusst, dass bei dezentralen (nämlich OP-Sälen direkt angegliederten) Reinigungs-und Desinfektionsmaschinen der Spezial-TÜV (die Validierung) abgelaufen war.
Die einstige Endoskopie-Schwester berichtet, dass sie keinen Überprüfungsauftrag bei den jeweiligen Herstellerfirmen eigenmächtig erteilen durfte. Von der Technik und dem übergeordneten Bereich Einkauf habe sie bei Nachfragen aber stets gehört, dass noch geklärt werden müsse, wer für was zuständig ist. „Immer neue Anforderungen bei weniger Personal“, so umreißt eine Steri-Mitarbeiterin, die 40 Jahre zum Team gehörte, sich zuspitzende Probleme. Die Zeugin erzählt, dass früher übliche Siebe mit OP-Besteck in einer halben Stunde aufbereitet waren. Mit neuen chirurgischen Methoden hätten sich die erforderlichen Instrumente wie auch zeitliche Aufwendungen vervielfacht - weil beispielsweise Zangen mit bis zu fünf Teilen vor dem Reinigen komplett auseinandergenommen und später wieder zusammengesetzt werden mussten.
Die extrem gewachsene Arbeitsbelastung habe sogar zu einer „Überlastungsanzeige“ beim Betriebsrat geführt. Dass Personal nicht dem medizinischen Fortschritt und damit verknüpften Zusatzaufgaben angepasst worden ist, bestätigen auch andere Zeuginnen. Von der Hygiene-Fachkraft ist zu hören: Die Technik-Abteilung und deren übergeordnete Chefs für Personal und Einkauf „haben nichts von der Materie beim Sterilisieren verstanden, bei Gesprächen reagierten sie meist ungehalten“.
„Es lief immer wieder im Kreis“
Die inzwischen pensionierte Pflegedienstleiterin, die sich vergeblich um qualifizierte Funktionstests überfälliger Steri-Geräte bemüht habe, schildert: „Der Technik-Chef hat mir gesagt, dass dafür die Ärzte als Nutzer zuständig sind, aber die wussten davon nichts. Und so lief es immer wieder im Kreis herum.“
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