Mannheim. Anfang der 90er-Jahre brechen im sozialistischen Jugoslawien Kriege aus, die zum Zerfall des Vielvölkerstaates führen. Safet Zivkovic lebt damals im Kosovo. Er ist Reservist in der jugoslawischen Volksarmee und steht kurz davor, in das Militär eingezogen zu werden. Er wollte aber nichts mit dem „Bruderkrieg“ zu tun haben, erzählt der 56-Jährige in der aktuellen Podcastfolge von „Migrationsstadt Mannheim“.

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Also bleibt ihm nur übrig zu fliehen. Er kann aber nicht offiziell über die Grenze ausreisen, weil er sonst für die Armee rekrutiert wird. „Da waren Leute, die die Menschen mit Geld irgendwie über die Grenze nach Deutschland gebracht haben“, erinnert er sich. Er und sein Bruder werden im April 1992 in einem Transporter mit verdunkelten Scheiben aus dem Land geschleust. Seine Mutter, seine zwei Schwestern und seine hochschwangere Frau können normal nach Deutschland reisen. Dort treffen sie sich wieder und melden sich bei der Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Karlsruhe. Danach werden sie dann in eine Asylunterkunft auf die Schönau gebracht, wo sie erstmal bleiben sollen. 215 Menschen aus 20 Nationen sind dort untergebracht, vor allem Geflüchtete aus Kriegsgebieten.
Dass aus der ehemaligen Gendarmeriekaserne in der Lilienthalstraße eine Asylunterkunft wurde, hat damals das Land Baden-Württemberg entschieden. Im Stadtteil kommt das bei vielen nicht gut an. Die Menschen auf der Schönau hätten das Gebäude lieber für ansässige Vereine benutzt. An Christi Himmelfahrt, dem 28. Mai 1992, findet traditionell ein Waldfest auf der Schönau statt. Dort macht ein Gerücht die Runde, dass ein Bewohner der Asylunterkunft eine junge Schönauerin vergewaltigt haben soll. Wie sich später herausstellt, stimmt das nicht. Aber das Gerücht ist längst im Umlauf.
Auf dem Waldfest kommt es zu einer Schlägerei, die Feier wird am frühen Abend beendet. Ein alkoholisierter und wütender Mob zieht von dort in die Lilienthalstraße. Die Menschen brüllen rassistische Parolen, werfen mit Steinen die Fensterscheiben ein und wollen die ehemalige Kaserne stürmen. Der Wachdienst ruft die Polizei und verlässt dann aus Angst das Gelände. Drinnen bereiten sich die Bewohner auf das Schlimmste vor. „Viele haben vor Angst geweint. Die Kinder haben geschrien. Wir wussten nicht, wie wir sie beruhigen sollen“, sagt Safet Zivkovic in der aktuellen Podcastfolge. Was er damals erlebt hat, hat seinen ersten Eindruck von Deutschland geprägt und beschäftigt ihn bis heute immer wieder. Außerdem erzählen der Schönauer Bezirksbeirat Christian Zaubzer, der auch dort aufgewachsen ist, sowie der damalige Pastoralreferent Hermann Rütermann, wie sie die Zeit um Christi Himmelfahrt 1992 erlebt haben.
Die Folgen von "Migrationsstadt Mannheim"
Folge 1 „Schicksal“ ab 19. Januar: Merve Uslu ist in Mannheim geboren und aufgewachsen. Lange hat sie ihre türkische Biografie verdrängt. Doch am Ende ihres Bachelorstudiums fliegt sie in den Süden der Türkei. Dorthin, wo ihre Großväter aufgewachsen sind. Sie fragt nach, warum sie damals nach Deutschland ausgewandert, aber ihre Brüder zurückgeblieben sind.
Folge 2 „Friss oder stirb“ ab 26. Januar: Giuseppe Londero kam in den 1950er-Jahren mit seinen Eltern aus Italien nach Deutschland. Als Kind musste er sich in einem fremden Land zurechtfinden. Im Podcast erzählt er davon, wie er Liebesbriefe für Gastarbeiter schrieb und wie ein spontaner Urlaub fast seine Zukunft kaputt gemacht hätte.
Folge 3 „Die Unmündigen“ ab 2. Februar: In den 90er-Jahren wachsen in Deutschland viele Nachkommen von Gastarbeitern auf. Sie sind hier zur Schule gegangen, aber ohne deutschen Pass sind sie politisch benachteiligt. Also schließen sich in Mannheim, im Jugendkulturzentrum Forum, junge Migranten zusammen, um etwas dagegen zu unternehmen.
Folge 4 „Vergessen“ ab 9. Februar: Safet Zivkovic floh vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland. Mit seiner Familie wurde er in einer Asylunterkunft auf der Schönau untergebracht. Dort will an Christi Himmelfahrt 1992 eine aufgebrachte Menge die ehemalige Gendarmeriekaserne stürmen.
Folge 5 „Erinnern“ ab 16. Februar: Nach den Ereignissen auf der Schönau ist Mannheim in Aufruhr. Am Pfingstsamstag 1992 eskaliert eine Demonstration in der Mannheimer Innenstadt. Es kommt zu Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Thomas Reutter war damals vor Ort und wurde sogar selbst verletzt.
Folge 6 „Gast auf unbestimmte Zeit“ ab 23. Februar: Ein Jahr ist vergangen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Vor dem Krieg sind mittlerweile mehr als 16 Millionen Menschen geflohen. Einige davon auch nach Mannheim. Sängerin Yaroslava Yurchenko erzählt, wie es sich anfühlt, nach ihrer Flucht aus Kiew komplett bei Null anfangen zu müssen.
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