Nahost

Palästina-Demos auch in Mannheim: Verfassungsschutz stuft Zaytouna als Verdachtsfall ein

Regelmäßig organisiert Zaytouna Rhein-Neckar-Kreis in Mannheim Palästina-Demos. Nun beobachtet der Verfassungsschutz die Gruppe. Was bedeutet das?

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Sebastian Koch
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An unter anderem von Zaytouna organisierten Demonstrationen haben in Mannheim teilweise mehr als 1.000 Menschen teilgenommen. © Sebastian Koch

Mannheim. In den vergangenen eineinhalb Jahren war der Krieg im Nahen Osten auch in Mannheim spürbar. Vor allem die teils regelmäßig stattfindenden Demonstrationen haben das Stadtbild geprägt – und die Gesellschaft polarisiert. Die Protestzüge haben den Konflikt auf die Straßen gebracht, der Tausende Kilometer entfernt tobt – und auch in Mannheim Tausende Menschen bewegt: durch persönliche Verluste, familiäre Wurzeln oder politische Überzeugungen.

Im Mittelpunkt propalästinensischer Demonstrationen steht auch Zaytouna Rhein-Neckar-Kreis. Die Gruppe ist – neben Free Palestine Mannheim – federführend an der Organisation des Großteils der Versammlungen beteiligt. Nun hat das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Zaytouna als Verdachtsfall des säkularen propalästinensischen Extremismus eingestuft. Das hat Beate Bube auf Nachfrage des Mannheimer SPD-Abgeordneten Boris Weirauch im Parlamentarischen Kontrollgremium des Landtags erklärt, dem die Behördenpräsidentin und Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) den Verfassungsschutzbericht 2024 vorgestellt haben. Fragen und Antworten zum Thema.

Warum beobachtet das LfV Zaytouna als Verdachtsfall?

Ein Sprecher erklärt dieser Redaktion, der Verfassungsschutz bearbeite Zaytouna seit Dezember als Verdachtsfall. Demnach stuft das LfV die Gruppe als einen Hauptakteur des propalästinensischen Protestgeschehens in der Region ein. Nach Einschätzung der Behörde lassen Inhalte auf Versammlungen und sozialen Medien eine „Herabwürdigung Israels“ erkennen. „Zudem wird das Existenzrecht des Staates Israel teils aberkannt.“ Der Sprecher zitiert „exemplarisch“ die Aussage eines Redners: „Ich scheiß‘ auf das Existenzrecht Israels.“ Ähnliche, teilweise wortgleiche Aussagen waren auch bei Versammlungen in Mannheim immer wieder zu hören.

Zudem verweist der Verfassungsschutz auf „Straftaten und Ordnungswidrigkeiten“ im Zusammenhang mit Versammlungen. Darüber hinaus soll Zaytouna „zumindest Sympathien“ für das internationale palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun hegen, erklärt der Sprecher. Das Netzwerk ist in Deutschland seit November 2023 verboten, weil es antisemitische und israelfeindliche Propaganda verbreitet hat. Der Sprecher des LfV verweist auf eine Solidaritätskundgebung von Zaytouna am 27. Juli 2024 in Mannheim gegen dieses Verbot.

„Im Fall von Zaytouna Rhein-Neckar-Kreis ergibt sich der Beobachtungsauftrag für das LfV aus den Aktivitäten der Bestrebung und ihrer Mitglieder, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richten. Zudem gefährden sie die auswärtigen Belange Deutschlands“, erklärt der Sprecher.

Kommentar Protest braucht klare Grenzen – und entschlossene Behörden!

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Ist Zaytouna die einzige Gruppe aus der propalästinensischen Szene, die das LfV beobachtet?

Nein. Neben Zaytouna listet der Verfassungsschutz Palästina Spricht in Stuttgart und in Freiburg sowie das Palästinakomitee Stuttgart als Verdachtsfälle. Während diese Gruppen bereits länger beobachtet werden, ist Zaytouna erst seit Dezember 2024 eingestuft und in der Druckfahne des Verfassungsschutzberichts 2024 deshalb noch nicht namentlich erfasst.

Free Palestine Mannheim hingegen wird nicht beobachtet, erklärte Präsidentin Bube im Landtag. Warum das LfV Zaytouna beobachtet, nicht aber Free Palestine Mannheim, das eng mit Zaytouna zusammenarbeitet, dazu machte der Sprecher der Behörde auf mehrfache Nachfrage keine Angaben.

Auch andere extremistische Szenen nehmen laut Verfassungsschutz Einfluss auf das Protestgeschehen. So kommt es etwa im linksextremen Spektrum zu Kooperationen mit der propalästinensischen Szene, etwa am 7. Oktober 2024 in Stuttgart bei einer gemeinsamen Demonstration des Palästinakomitees Stuttgart und der linksextremistischen Gruppe Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung.

Was bedeutet Verdachtsfall und was sagt Weirauch dazu?

Die Grundlage für die Beobachtung ist das Landesverfassungsschutzgesetz (LVSG). Demnach darf das LfV Gruppen beobachten, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass sie etwa die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gefährden. Bei einem Verdachtsfall wie Zaytouna liegen laut dem Sprecher „zwar bereits hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung“ nach Paragraf 3, Absatz 2 LVSG vor – in Abgrenzung zu einer gesichert extremistischen Bestrebung haben sich diese „aber noch nicht zur Gewissheit verdichtet“.

Weirauch, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, kann die Einstufung nachvollziehen. „Wir erleben in Mannheim beinahe jede Woche, dass bei propalästinensischen Kundgebungen unter dem Deckmantel vermeintlicher ,Israel-Kritik‘ antisemitische Narrative und Parolen verbreitet werden, etwa indem Israel sein völkerrechtlich verbrieftes Existenzrecht abgesprochen wird“, erklärt er dieser Redaktion. „Diese Erkenntnisse haben sich für den Verfassungsschutz jetzt offenbar so weit verdichtet, dass er mit Zaytouna eine der Organisationen aus diesem Spektrum als Verdachtsfall einstuft. Das hat zur Folge, dass die Bestrebung jetzt auch mit nachrichtendienstlichen Instrumenten überwacht werden kann.“

Was sagt Zaytouna zu den Vorwürfen des LfV?

Gerne hätte diese Redaktion Zaytouna die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Eine Sprecherin der Gruppe zeigt sich auf Anfrage Anfang Juli zunächst aber überrascht. Die Gruppe hat offenbar noch nichts gewusst. Bis zum 21. Juli bleiben Fragen dieser Redaktion, wie Zaytouna die Einstufung bewertet, welche Auswirkung die Einstufung für sie hat, wie die Gruppe zur Aussage zum Existenzrecht Israels steht, wie sie sich inzwischen zu Samidoun positioniert, was sie entgegnet, dass sich Mitglieder gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Völkerverständigung richten, und wie sich die Gruppe von Extremismus abgrenzen möchte, dann allerdings gänzlich unbeantwortet.

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Hat die Einstufung Auswirkungen auf das Protestgeschehen in Mannheim?

Nicht direkt. Die Einstufung als Verdachtsfall hat zunächst keine Auswirkungen auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Das wäre nur denkbar, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht mit einer Verwirkungsentscheidung feststellt, dass eine Organisation das Grundrecht „gezielt missbraucht“, um die freiheitlich‑demokratische Ordnung zu bekämpfen, erklärt eine Sprecherin der Versammlungsbehörde. Die nehme die Einstufung „zum Anlass, in enger Kooperation mit der Polizei besonders intensiv zu prüfen, ob durch den Veranstalter selbst oder die Teilnehmer der geplanten Versammlung strafbare Handlungen oder sonstige Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind“.

Auf Nachfrage, ob das denn nicht schon in der Vergangenheit geschehen sei, präzisiert die Sprecherin, dass jede Versammlungsanmeldung „sorgfältig geprüft“ worden sei und die Behörde „eng“ mit der Polizei zusammenarbeite. Auflagen seien stets abgestimmt worden. „Daran hat sich grundsätzlich nichts geändert.“ Die Einstufung führe jedoch zu einer „erhöhten Sensibilität im Umgang mit entsprechenden Versammlungen“. Das bedeute nicht „automatisch schärfere Maßnahmen“, wohl aber eine noch „aufmerksamere Prüfung im Vorfeld“, erklärt sie und betont neben der Einzelfallentscheidung das verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsrecht hierfür als Handlungsrahmen.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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