Jüdische Gemeinde

Orna Marhöfer von der Jüdischen Gemeinde Mannheim feiert 70. Geburtstag

Mehr als 20 Jahre lang war Orna Marhöfer im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Mannheims engagiert, davon acht Jahre als Erste Vorsitzende. An diesem Freitag feiert sie ihren 70. Geburtstag - und bleibt weiterhin aktiv

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Konstantin Groß
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Orna Marhöfer wird an diesem Freitag 70 Jahre alt. © Konstantin Groß

Mannheim. An eine Szene aus ihrer Kindheit erinnert sich Orna Marhöfer noch genau: In ihrer Grundschule in der Pfalz wird die Klasse nach der Religionszugehörigkeit befragt. Die meisten stehen auf, als „katholisch“ aufgerufen wird, der kleinere Teil bei „evangelisch“. „Muslime und Konfessionslose gab es dort damals ja noch nicht.“ Und so steht die kleine Orna beim dritten Aufruf, nach „anderen Konfessionen“, alleine: „Ich war eine Exotin“, schmunzelt sie.

Schon von Kindesbeinen an ist Orna Marhöfer sich ihrer jüdischen Religion bewusst - selbstbewusst, wie man hinzufügen darf: „Ich habe das immer gelebt.“ Und sich daher für ihre Gemeinschaft ein Leben lang engagiert: Insgesamt 21 Jahre wirkt sie im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Mannheims, davon acht Jahre als Erste Vorsitzende, noch heute in überörtlichen Gremien - ungeachtet dessen, dass sie an diesem Freitag 70 Jahre alt wird.

In die Zukunft gerichtet

Stets ist ihr Engagement von Optimismus, von positiver Lebenseinstellung geprägt, zukunftsgewandt, doch niemals ohne Bewusstsein für das historische Erbe, das hinter der Jüdischen Gemeinschaft liegt: „Das ist mir Verpflichtung.“ Denn auch ihre Familie wird von der Shoa heimgesucht. Ihr Großvater mütterlicherseits, in Lemberg (heute Ukraine) zu Hause, wird in einem Wald erschossen; Marhöfers Mutter kann fliehen, ebenso wie die Familie des Vaters, seit Jahrhunderten in der Pfalz zu Hause. „Mein Vater hat mit Fritz Walter beim FCK gekickt.“

Vater und Mutter retten sich, unabhängig voneinander, nach Palästina, lernen sich dort kennen und lieben, heiraten. Und hier, in Tel Aviv, wird Orna Marhöfer am 6. Oktober 1953 geboren. Doch trotz allem, was in Deutschland war: Den Vater plagt ein tiefes Heimweh nach der Pfalz, die ihm emotionale Heimat geblieben ist. 1956 kehrt er mit seiner Familie zurück nach Kaiserslautern.

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Das Studium der Sozialpädagogik führt die Jubilarin nach Mannheim. Hier ist sie seit 1972 zu Hause, hier ist sie 42 Jahre lang im Sozialen Dienst der Stadt tätig. Ihre berufliche Qualifikation zu helfen stellt sie in den Dienst der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, damals noch in der Maximilianstraße in der Oststadt zu Hause. Sie engagiert sich, wird 1989 in den Vorstand gewählt, 1992 Zweite, 2002 Erste Vorsitzende.

Es ist eine prägende Zeit für die Jüdische Gemeinde Mannheims. 1987 wird am historischen Standort in F 3 das neue Gemeindezentrum eröffnet. Marhöfer will es in die Stadt integrieren, nein treffender: Das Haus für die Stadt öffnen. Mit anspruchsvoller Kultur, Konzerten, Aufführungen, Lesungen. Kishon, Kulenkampff und Iris Berben gastieren hier. Die Hemmschwelle, eine jüdische Einrichtung zu betreten, soll weichen. „Das ist uns sehr, sehr gut gelungen“, bilanziert Marhöfer. Nach 1990 dann der Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion. Und die Notwendigkeit der Integration vieler neuer Gemeindemitglieder. Auch die gelingt. Die Einheitsgemeinde bleibt gewahrt, obgleich die Hälfte der heute 550 Mitglieder aus anders geprägten Gesellschaften stammt.

Zentrum jüdischen Lebens in Mannheim: das Gemeindezentrum am historischen Standort F 3, für Orna Marhöfer lange ein „zweites Zuhause“. © Thomas Tröster

Diese ehrenamtliche Arbeit ist damals zeitlich nahezu ein Vollzeitjob: „Das Gemeindezentrum war mein zweites Zuhause“, schmunzelt Marhöfer: Vermietung des Saales, Verwaltung der Wohnungen in F 3, Pflege des Jüdischen Friedhofes, Repräsentieren der Gemeinde in der Öffentlichkeit, führend bei der Ausarbeitung der „Mannheimer Erklärung für Toleranz“ - nach 21 Jahren hört sie 2010 auf. Bleibt jedoch weiter aktiv, wird Vorsitzende des Oberrates der Israeliten in Baden.

„Mein zweites Zuhause“

Aktuell engagiert sie sich für das Projekt „Meet a Jew“ des Zentralrates. Dazu geht sie in Schulen, erlebt dort viel Positives: „Ich staune über die Neugier der jungen Leute.“

Hat sie schon einmal antisemitische Gewalt erlebt? Schon alleine eine solche Frage, die man keinem führenden Katholiken oder Protestanten stellen würde, zeigt die ganze Problematik. Marhöfers Antwort ist zweigeteilt: „Ich selbst habe keine körperliche Gewalt erfahren“, berichtet sie: „Doch die Übergriffe, die es gibt, treffen mich persönlich.“ So hofft sie, dass die deutsche Zivilgesellschaft sich als wehrhaft erweist.

Ihre persönliche Bilanz fällt positiv aus: „Ich hatte ein erfülltes Leben“, sagt sie: „Und ich blicke darauf mit großer Dankbarkeit.“ Vor allem für ihren Mann, „ohne den ich das alles nicht geschafft hätte“, ihre drei Kinder. In Kürze bringt ihre Tochter, beruflich bei der Deutschen Botschaft in Tel Aviv tätig, Enkel Nr. 3 zur Welt. Daher verbringt die Jubilarin dort auch ihren Geburtstag.

Ihr Enkel Leon wird einmal von einem Journalisten gefragt, ob er daran denkt, von Deutschland nach Israel auszuwandern. „Jeden Tag“, sagt er, aber mit überraschender Begründung: „Doch nicht wegen Antisemitismus, sondern, weil es hier kalt ist.“ Ein optimistischer, ja auch hintersinniger Satz. Er könnte von seiner Oma stammen.

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