Erinnerungskultur - Bezirksbeirat berät als erstes Gremium öffentlich über die Umbenennung von vier Straßen in Rheinau-Süd

Neue Namen für vier Straßen in Mannheim-Rheinau gesucht

Von 
Konstantin Groß
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Der Ortsteil Rheinau-Süd: in der rechten Bildhälfte die ab 1933 entstandene IG-Siedlung, links der Rheinauer See mit dem Neubaugebiet an seinen Ufern. © Bernhard Zinke

Mannheim. Ralf Eisenhauer ist sichtlich zufriednen. „Ich bin angetan, wie sehr die Diskussion in die Zukunft geht“, bilanziert der Baudezernent in der Online-Sitzung des Rheinauer Bezirksbeirats. „In die Zukunft“ - das bedeutet: Inzwischen geht es schon nicht mehr um die Frage, ob die vier historisch belasteten Straßennamen im Ortsteil Rheinau-Süd verändert werden, sondern darum, welche ihnen folgen. Und wer dabei mitreden kann: Die Anwohner? Alle Mannheimer, die dies wollen? Beide?

Mit dem „ob“ einer Umbenennung hält sich das Gremium denn auch nicht lange auf. Alleine FDP-Bezirksbeirat Hans Held, zugleich Vorsitzender der örtlichen Siedler, wiederholt seine Forderung, die gegenwärtigen Namen beizubehalten - mit einer Neuerung: „Sven Hedin ist auch für uns nicht tragbar.“

Entgegenkommen bei den Kosten

Doch der Stand der Diskussion ist längst darüber hinaus. Geklärt werden sollen nun die praktischen Fragen. Etwa: Wer trägt die Kosten der Anwohner, vor allem der Gewerbebetreibenden? „Auf gesetzlicher Grundlage ist die Erstattung zusätzlicher Aufwendungen nicht vorgesehen“, sagt Eisenhauer: „Aber dem Gemeinderat ist unbenommen, mehr zu tun. Und wir als Verwaltung werden ihm das auch empfehlen.“

Zweite Frage: Wer wählt die künftigen Namen aus? „Normalerweise entscheidet der Gemeinderat“, erläutert Ulrich Nieß, der Direktor des Marchivums. Angesichts der emotionalen Bedeutung des Themas „war uns aber schnell klar, dass wir das übliche Verfahren hier nicht machen können.“ Es werde also eine Bürgerbeteiligung geben - mit einer Abstimmung am Ende. Aber, das macht er auch klar: Dabei könne es sich nur um eine Empfehlung an den Gemeinderat handeln, „keine Urwahl im schweizerischen Sinne“.

Historisch problematische Namenspaten von Straßen in Rheinau-Süd

Theodor Leutwein: Von 1895 bis 1905 Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika, leitet er viele gewaltsame Aktionen gegen die Bevölkerung und wirkt als „herausragender Repräsentant des kolonialen Unrechtssystems“, so Historiker der Uni Mainz.

Adolf Lüderitz: Mit betrügerischen Mitteln jagt der Kaufmann (1834-86) Einheimischen ihr Land ab, was als „Meilenschwindel“ in die Geschichte eingeht. Das Unrecht führt zu Aufständen, die später mit dem Völkermord an den Hereros (80 000 Tote) enden.

Gustav Nachtigal: Als Reichskommissar für Deutsch-Westafrika (1884) ringt er Einheimischen durch die Drohung mit Gewalt bis hin zur Geiselnahme die Abtretung ihres Landes ab.

Sven Hedin: Der Schwede (1865-1952) unterstützt die NS-Politik gegen Juden, spricht von „jüdischer Weltverschwörung.“ Einen Tag nach Hitlers Tod 1945 würdigt er ihn „als einen der größten Menschen, den die Weltgeschichte besessen hat. Aber sein Werk wird weiterleben“. Noch 1949, vier Jahre nach Ende des Holocaust, schwärmt er: „Hitler war ein Kerl!“ . 

 

Und wer kann sich daran beteiligen? „Das ist ein gesamtstädtisches Anliegen“, betont Petra Seidelmann vom städtischen Fachbereich „Demokratie und Strategie“. Was bedeutet, dass dies „nicht von einer kleinen Gruppe für die gesamte Stadt entschieden werden sollte.“ „Das ist ein gesamtstädtisches Thema, das nicht auf der Rheinau abgeladen werden sollte“, betont Nieß.

„Die vier Straßen betreffen nur Rheinau-Süd“, meint dagegen Roseluise Koester-Buhl, für die Grünen im Bezirksbeirat: „Ich weiß nicht, warum die ganze Stadt darüber abstimmen sollte.“ Ulrike Kahlert widerspricht: „Ich finde es schwierig, dies nur auf die Betroffenen zu reduzieren“, mahnt die SPD-Ortsvereinsvorsitzende: „Das betrifft das kollektive Bewusstsein der Stadtgesellschaft und ja auch den öffentlichen Straßenraum.“ Ihr Parteifreund, Stadtrat Thorsten Riehle, sieht das anders: „Die Vorschläge müssen vor Ort bewertet werden.“

Johannes Paulmann, einer der Verfasser des Gutachtens zur historischen Belastung der Namenspaten, sieht bereits den eingeschlagenen Weg an sich als Innovation: „Umbenennungen von Straßen sind nicht ungewöhnlich, aber meist durch die Machthaber, also die Nationalsozialisten oder nach 1945 die Alliierten“, erläutert der Historiker: „Dass Bürger mit einbezogen werden, ist ein sehr ungewöhnlicher, aber auch ein angemessener Akt.“

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Personennamen bleiben möglich

Und welche Namen sind denkbar? Eisenhauer jedenfalls weist eine Forderung zurück: „Ich finde nicht, dass wir davon Abschied nehmen sollten, Menschen zu ehren“, betont er und verweist auf Mannheimer Brücken, Plätze und Straßen, die nach Friedrich Ebert, Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl benannt sind: „Sie alle haben es verdient, denn sie haben die Geschichte unseres Landes positiv geprägt.“

Sinnvoll sei, bei der Neubenennung im Taufbezirk zu bleiben, wie Holm Neumann vom Fachbereich Stadtplanung betont. Allerdings ist der hiesige Taufbezirk der Entdeckungsreisenden bereits erweitert und umfasst nun auch „Personen des transkulturellen Austausches“.

Also auch, wie Paulmann und Nieß erläutern, Menschen, die nicht von Europa nach Afrika, sondern den umgekehrten Weg gegangen sind, freiwillig oder unfreiwillig, wie jene, die in den „Völkerschauen“ zur Schau gestellt wurden. Derartige Voraussetzungen treffen auch auf jene Persönlichkeiten zu, die der Arbeitskreis Kolonialgeschichte Mannheim als neue Namenspaten vorschlägt. Und Nieß macht auch klar: Im Sinne der Geschlechtergleichheit sollten mindestens zwei der vier neuen Namen Frauen gewidmet sein.

Wie geht es konkret weiter? Wenn der Gemeinderat die Umbenennung grundsätzlich beschlossen hat, dann wird das Beteiligungsportal der Stadt für Vorschläge zu neuen Namen geöffnet. Diese werden nach formaler Prüfung durch die Verwaltung den Bürgern zur Abstimmung und auch im Bezirksbeirat zur Diskussion gestellt. Am Ende beschließt der Gemeinderat die neuen Namen.

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