Mannheim. Ob Conversio-Kunstprojekt, Multihalle/Wasserspielplatz oder Speckweg-Beschluss: Gerade in den vergangenen Wochen kritisierten Mitglieder des Mannheimer Gemeinde- und Bezirksbeirats, dass Themen zu kurzfristig vorgelegt wurden und anschließend zeitnah darüber abgestimmt werden musste. Wir haben bei allen im Gemeinderat vertretenen Parteien nachgefragt: Was sagen Mannheimer Beiräte zu ihrer Arbeitsbelastung? Gibt es für die Beteiligten genügend Zeit, um sich in alle Themen einzuarbeiten, bis eine Entscheidung fällig wird? Und wie sieht der Informationsfluss zwischen Verwaltung und Räten aus? Außer der CDU haben alle geantwortet.
Der Vorsitzende
Oberbürgermeister Peter Kurz ist Vorsitzender des Mannheimer Gemeinderats und Bezirksbeirats: „Seit Juli 2021 bis heute hat der Gemeinderat knapp drei Viertel der Vorlagen einstimmig beschlossen, die restlichen überwiegend mit breiter Mehrheit. Keine Beschlussvorlage wurde abgelehnt. Diese Zahlen belegen den bemerkenswert hohen Anteil breit getragener oder gar konsensualer Vorlagen. Vorlagen, an denen seitens der Gremienmitglieder eine Verfahrenskritik geübt wird, kommen nur sehr selten vor. In den vergangenen Jahren hat die Komplexität von zu beratenden Themen generell sicher zugenommen, und ich weiß, dass das den ehrenamtlich tätigen Gremienmitgliedern einiges an Engagement und zeitlichem Einsatz bei der Aneignung der Themen abverlangt. Zudem kann es vorkommen, dass aufgrund von zu beachtenden Fristen, wie für die Zuwendung von Landes- oder Bundeszuschüssen, notwendigerweisekurzfristig ein Beschluss des Gemeinderates herbeigeführt werden muss, um diese Zuschüsse nicht zu verlieren. Hinzu kommt, dass Bürgerinnen und Bürger zunehmend eine schnelle Reaktion und schnelle Entscheidungen von der Verwaltung und von den Gremien erwarten. Diese Erwartungshaltung steht oft im Gegensatz zum Wunsch, alle Themen im Vorfeld der Entscheidung auch in möglichst allen Gremien vorab zu diskutieren.“
Thorsten Teinzer, Bezirksbeirat AfD:
„Es kommt immer wieder vor, dass der BBR erst sehr spät oder während einer Sitzung von bestimmten Themen erfährt und ein Votum abgeben soll. Der Informationsfluss ist absolut nicht optimal. Oft bekommen wir die gewünschten Informationen aus den Fachbereichen der Verwaltung erst nach mehrmaligem Nachhaken. Manche Dinge erfahren wir aus der Presse oder durch den Stream der Gemeinderatssitzungen (Beispiel: Conversio-Kunstwerk). Nicht alle Anliegen werden direkt beantwortet, manchmal weiß man nicht, was daraus geworden ist, muss nachfragen. Die Qualität der Vorlagen schwankt. Viele sind kurz, enthalten aber alle Informationen. Dann gibt es welche, die fast nichtssagend sind, und das andere Extrem, dass es sich um sehr umfangreiche Dokumente handelt. Es wäre wünschenswert, wenn die Digitalisierung innerhalb der Verwaltung schneller voranschreitet, speziell bei Beratungen außerhalb regulärer Sitzungen, der Erstellung von gemeinsamen Vorlagen. Hier sind wir auf Eigeninitiative angewiesen, Mitglieder stellen private Accounts für die Organisation von Online-Meetings oder Dokumentenverwaltung zur Verfügung, tragen die Kosten selbst. Für das Gremium-Informationssystem muss man eine App nutzen, die nur für Tablets eines hochpreisigen Herstellers verfügbar ist. Das Gerät muss aus eigener Tasche finanziert werden.“
Birgit Reinemund, Fraktionsvorsitzende und Stadträtin FDP:
„Leider werden immer mehr Gemeinderatsvorlagen so kurzfristig aufgelegt, dass eine ordentliche Beratung in den Fachausschüssen oder mit dem betroffenen Bezirksbeirat und Bürgern nicht mehr möglich ist. Für die letzte Gemeinderatssitzung waren das drei Projekte, die selbst für Beratung in den Fraktionssitzungen zu kurzfristig kamen. Die angebliche Eilbedürftigkeit, mit der häufige Abweichungen von vereinbarten Abläufen begründet werden, ist nicht nachzuvollziehen, sind die Projekte meist lange absehbar, wie die Umgestaltung des Eingangsbereichs des Herzogenriedparks. Die ehrenamtliche Arbeit als Stadträtin ist ob der Vielfalt der Themen herausfordernd und gleichzeitig bereichernd. Es ist Aufgabe der Verwaltung, sprich des OB, sie so zu gestalten, dass sie im Ehrenamt geschultert werden kann. Gut läuft die Bürgerbeteiligung in Prozessen oder Workshops, fraglich bleibt, wie ernst die Ergebnisse im weiteren Verlauf genommen werden. Vor allem wird der Wert gut laufender, großer Beteiligungsprozesse bei umfassenden Themen konterkariert, wenn bei vielen anderen, konkreten Projekten die Ergebnisse ignoriert werden, wie die Workshops zur Aufwertung der Herzogenriedparks, oder die Bezirksbeiräte, die viel Zeit einbringen, völlig übergangen werden wie beim geplanten Kunstwerk auf Spinelli. Da muss sich einiges ändern. Der Fisch stinkt vom Kopf.“
Nina Wellenreuther, Fraktionsvorsitzende und Stadträtin Bündnis90/Die Grünen:
„Wir sind ehrenamtlich tätige Stadträte und Stadträtinnen und investieren sehr viel Zeit, um am Ende zu guten Lösungen für Mannheim beitragen zu können. Wenn sehr kurzfristig Vorlagen zur Verfügung gestellt werden und wir wenige Tage später entscheiden sollen, ist eine ausreichende Vorbereitung nicht möglich. Das ist ärgerlich und wird auch der Sache nicht gerecht. Gerade die Beratung in den Gremien ist für die Gemeinderatssitzung wichtig, wie wir in der letzten Sitzung gesehen haben. Es gab viel Klärungsbedarf, weil entscheidende Fragen nicht ausreichend vorberaten wurden. In den jeweiligen Gremien können wichtige fachspezifische Fragestellungen geklärt und dementsprechend Gremien wie beispielsweise der BBR frühzeitig eingebunden werden, sowohl von der Verwaltung wie auch von den Fraktionen selbst. Gerade die Zeit zwischen den Gremien, also der normale Ablauf von Vorlagen, verschafft einem auch nochmals Zeit, mit der Verwaltung offene Punkte zu klären und sich abzustimmen. Entscheidend an einer guten Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht der Informationsfluss zwischen Fraktionen und Verwaltung. Die Einbeziehung des Gemeinderats sollte so früh wie möglich erfolgen, um die verschiedenen Perspektiven von vorneherein einzubeziehen. Und so eine gute Informationsbasis zu gewährleisten.“
Benjamin Herrmann, Bezirksbeirat SPD:
„Die Anliegen der Bürgerinnen, Bürger und Verwaltung sind unterschiedlich und man selbst nicht in allen Themen gleich gut eingearbeitet. Dementsprechend ist Vorbereitungszeit knapp, im Zweifel bleibt Privatleben auf der Strecke. Es kommt immer wieder vor, dass Vorlagen der Verwaltung erst in Sitzungen gezeigt und nicht im Voraus versendet werden, was eine qualitative Vorbereitung erschwert. Mit Stadträten und Stadträtinnen findet reger Austausch statt. Allerdings darf man nicht unterschätzen, dass Bezirksbeiräte oft früher im Planungsprozess involviert sind als Stadträte und bei großen Projekten oft mehr Planungsstände gesehen haben. Beispielsweise Speckweg: Wir Bezirksbeiräte waren bereits bei den Verkehrsworkshops involviert und später in einer frühen Planungsphase, als noch zwei Entscheidungsvorlagen zur Auswahl standen. Der Gemeinderat bekommt erst die final durchgeplante Variante zur Abstimmung. Hier würde ich mir seitens der Verwaltung mehr Transparenz wünschen, wenn den Stadträten Entscheidungen vorgelegt werden. Ich würde mir wünschen, dass die Bürgerschaft mehr an öffentlichen Sitzungen teilnimmt und bei Workshops der Verwaltung. Hier wird die Zukunft der Stadtteile geprägt. Ich habe oft das Gefühl, dass die Bevölkerung nicht weiß, welche Möglichkeiten der Mitbestimmung existieren und was Bezirksbeiräte im Stadtteil leisten.“
Stephan Bordt, Fraktionsgeschäftsführer LI.PAR.Tie und Bezirksbeirat Linke:
„Im Gemeinderat gibt es immer wieder kurzfristige Entscheidungsforderungen, die wie jüngst ,Conversio’ im Hauptausschuss oder die Abtrennung des Bereichs um die Multihalle vom Herzogenriedpark aufgrund mangelnder Vorbereitungszeit in den Ausschüssen nicht zur Abstimmung gebracht werden können. Allerdings sind das Ausnahmen. Was für meine Fraktionsmitglieder eine Herausforderung darstellt, ist die Masse an Terminen und Informationen. Viele dürften zeitlich permanent am Anschlag stehen. Bezirksbeiräten stellt sich häufig das Problem, nicht in Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden. Der Informationsfluss zwischen Verwaltung und BBR ist uneinheitlich und hängt wie im Gemeinderat vom betreffenden Fachbereich ab. Als Fraktion im Gemeinderat erhalten wir ebenfalls auf einige wenige Anfragen und Anträge sehr lange, im Extremfall mehrere Jahre, keine Antworten. Die Qualität der städtischen Vorlagen ist in der Regel vom Informationsgehalt gut bis sehr gut, so mein Eindruck. Als Fraktionsgeschäftsführer würde ich mir in bestimmten Dezernaten und Fachbereichen schnellere Antworten und nachvollziehbarere Zuständigkeiten wünschen. Als Bezirksbeirat mache ich immer wieder die Erfahrung, dass wir nur ein empfehlendes Gremium sind. Als BBR hat man das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.“
Christopher Probst, Geschäftsführer und Stadtrat Freie Wähler/ML:
„Das Amt als Stadtrat in Mannheim ist kaum noch als Ehrenamt wahrzunehmen. Wenn man alle dienstlichen Termine wahrnimmt, hat man einen Vollzeitjob. Mit Fraktionssitzungen komme ich auf 100 Termine pro Jahr, jeder zwischen drei und fünf Stunden, dasselbe noch mal als Vorbereitungszeit. Dann war man noch nicht bei Veranstaltungen vor Ort, oft am Wochenende. Der zeitliche Vorlauf der Vorlagen ist meist in Ordnung, der Informationsfluss zwischen Verwaltung und uns bzw. Bezirksbeiräten in der Regel gut. Rückfragen an die Verwaltung werden freundlich und kompetent beantwortet. Sowohl in Ausschüssen als auch in BBR-Sitzungen sind Vertreter der Verwaltung auskunftsbereit. Gelegentlich sind die Vorlagen sehr kurzfristig, weil eilbedürftig. Das kann zu Irritationen und Ärger führen. Bei der Vorlage Multihalle/Wasserspielplatz ist festzuhalten, dass die Thematik den Aufsichtsräten der Stadtpark GmbH bekannt war, die ihre Fraktionen hätten unterrichten müssen. Das Thema Speckweg fällt nicht unter Zeitdruck, es lag auch an einer missverständlichen Aussage in der Vorlage über die Mehrheitsmeinung des BBR Waldhof. Einzig das Thema Conversio/Kunstprojekt rechtfertigt Kritik: Der zuständige BBR war überhaupt nicht informiert worden und die Vorlage lückenhaft. Bei der Vielzahl der Entscheidungen halten sich die Versäumnisse in Grenzen.“
Die Räte
- Bei der Gemeinderatswahl in Mannheim sind etwa 235 000 Menschen wahlberechtigt. Sie entsenden die 48 Stadträtinnen und Stadträte in den Gemeinderat (GR). Dieser bestellt für jeden der 17 Stadtbezirke einen aus zwölf Mitgliedern bestehenden Bezirksbeirat (BBR), der den GR und die Verwaltung in wichtigen Angelegenheiten seines Stadtbezirks berät.
- „Der BBR ist kein Entscheidungsgremium, das eigene Beschlüsse treffen kann, und dessen Mitglieder sind auch keine in öffentlichen Wahlen bestimmte Vertreter*innen der Bürgerschaft wie die Stadträt*innen“, erklärt die Pressestelle der Stadt Mannheim.
- Die Bezirkbeiratsarbeit wurde 2013 neu ausgerichtet und nach einer Pilotphase im Juli 2014 vom Gemeinderat dauerhaft implementiert. „Mit dem Modell wird die Funktion der BBR als beratendes Gremium des GR weiter aufgewertet: So werden beispielsweise Beschlussvorlagen, die für den Stadtbezirk relevant sind, in öffentlicher Sitzung des jeweiligen BBR vorberaten und mit einer Empfehlung für die weitere Beratungsfolge in den Fachausschüssen beziehungsweise dem GR versehen. Dies soll neben der Stärkung der Bezirksbeiratsarbeit auch dazu beitragen, die Bevölkerung vor Ort frühzeitiger in die kommunalen Entscheidungen einzubinden und mehr Transparenz zu schaffen“, so die Stadt.
- Pro Bezirk und Jahr finden in der Regel drei öffentliche Sitzungen gemäß Geschäftsordnung statt. Für GR und BBR gibt es eigene Geschäftsordnungen (https://www.mannheim.de/de/stadt-gestalten/politik/stadtrecht/allgemeine-verwaltungsaufgaben).
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