Mannheim. Am 2. Mai jährt sich zum zweiten Mal, dass Ante P. bei einem Polizeieinsatz auf dem Marktplatz gestorben ist. Was damals geschah beziehungsweise geschehen sein soll, bewegte Menschen in ganz Deutschland, beschäftigte die Justiz. Mit Blick auf den Jahrestag hat das Nationaltheater in seiner Reihe „Haymatministerium“ gemeinsam mit der „Initiative 2. Mai Mannheim“ die Frage aufgeworfen: „Haben Polizeigewalt und Rassismus System?“ Das Podium ist sich einig: Der Tod des psychisch kranken 47-Jährigen als Folge seiner Festnahme mit Pfefferspray und Faustschlägen dürfe nicht als schicksalsbedingter Einzelfall abgetan werden. Vielmehr gelte es, grundsätzliche Lehren zu ziehen. Beispielsweise, dass die Polizei mehr für seelische Ausnahmezustände sensibilisiert werden müsse.
Im gut besuchten Studio Werkhaus in Mannheim verweisen die Veranstaltungsorganisatorinnen Leona Dölger, Referentin für Diversität, und Dramaturgin Dominika Siroká auf weltweit wahrgenommene Proteste nach dem Tod des unbewaffneten Afroamerikaners Georg Floyd in den USA vor vier Jahren.
Sowohl die Bewegung „Black Lives Matter“ wie die Initiative „2. Mai Mannheim“, so betonen die beiden Mitarbeiterinnen des Nationaltheaters, haben sich dieses Ziel gesetzt: Opfer von Polizeieinsätzen wie deren Angehörige sollen eine Stimme bekommen und obendrein aus der Unsichtbarkeit geholt werden.
An diesem Abend soll auch der Mensch Ante P. aufblitzen
Für die Moderatorin Onur Suzan Nobrega, Professorin für Migration, Transkulturalität und Internationalisierung im Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt, ist ebenfalls ein Anliegen, dass bei der Debatte nicht nur ausgeleuchtet wird, wie der Polizeisatz auf dem Marktplatz aufgearbeitet worden ist.
An dem Abend soll außerdem der Mensch Ante P. aufblitzen. Weil die jüngere Schwester nicht dabei sein kann, hat sie eine Botschaft geschickt: In der Tonaufnahme schildert die Sozialpädagogin den Bruder als einen Mann, „dem Gewalt fern war“. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung habe er eigentlich Schutz benötigt. Die Schwester verhehlt nicht, dass sie aufgrund der traumatisierenden Ereignisse – auch während des Prozesses – unter Panikattacken leide und noch nicht arbeitsfähig sei.
Auf die Frage der Moderatorin, wie sie in der Arbeitstherapeutischen Werkstatt Ante P. erlebt hat, antwortet Dagmar Kohler: „Als einen Sonnenschein!“ Sie hat für den befreundeten Kollegen, der sich wie sie im Rat der Werkstatt für seelische behinderte Menschen engagierte, ein Gedicht mit eben diesem Titel geschrieben, das sie vorliest.
Dagmar Kohler schildert Schockstarre und Hilflosigkeit nach dem Tod des eingebürgerten Wahl-Mannheimers, dessen Eltern in den 1970ern aus dem ehemaligen Jugoslawien an Rhein und Neckar gekommen sind. Sie erzählt von ihrer Angst vor der Polizei und vor einer Einweisung in die Psychiatrie. „Deshalb werde ich meine Krisen in den eigenen vier Wänden mit meiner Katze teilen.“
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Der Prozess um den tödlichen Polizeieinsatz endete (wie berichtet) mit einer Geldstrafe und einem Freispruch – so dass beide Polizeibeamte in den Dienst zurückkehren können. Kritik an diesen beiden Urteilen zieht sich einem roten Faden gleich durch die Diskussionsbeiträge. Von einer „enormen Enttäuschung“ spricht die in der „Initiative 2. Mai Mannheim“ aktive Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Sevda Can Arslan.
Der Stuttgarter Rechtsanwalt Engin Sanli, der für die Schwester und Mutter die Nebenklage vertreten hat, findet unakzeptabel, dass während der Gerichtsverhandlung abfällige Kommentare über die Krankheit und das Verhalten von Ante P. nicht unterbunden worden seien. Die Mutter habe ihm gesagt, dass für sie der Sohn in dem Prozess ein zweites Mal unwürdig gestorben sei.
„Unabhängige Beschwerdestelle“ gegen Polizei gefordert
Dass Polizeibeamte aufgrund ihrer Berufserfahrung „geübte Zeugen sind“ und schon deshalb bei Gerichtsverfahren glaubwürdiger als andere erscheinen, führt Laila Abdul-Rahman, Kriminologin und wissentliche Mitarbeiterin der Goethe-Universität Frankfurt, aus. Die Mitautorin des Buches „Gewalt im Amt“ plädiert für „eine unabhängige Beschwerdestelle“ , wenn sich Menschen von Polizeikräften zu Unrecht oder überzogen attackiert fühlen.
Die Medien hätten nach dem Tod von Ante P. der Polizeiperspektive zu viel Platz eingeräumt und deren Pressemitteilungen anfänglich kaum oder gar nicht hinterfragt übernommen, bemängelt Sevda Can Arslan, die mit Studierenden der Universität Paderborn Berichterstattung, insbesondere die des „Mannheimer Morgen“, analysiert hat. Zu den Kritikpunkten gehört: Die psychische Erkrankung, nämlich eine paranoide Schizophrenie, sei vor allem als Rechtfertigung für staatliche Gewalt nahegelegt worden. Hingegen sei kaum recherchiert worden, ob die Polizisten auf den seelischen Ausnahmezustand angemessen und ohne Diskriminierung reagiert hätten.
Initiative ist überzeugt: Ohne Videos in den Sozialen Medien hätte es nie einen Prozess gegeben
Die Kommunikationswissenschaftlerin kündigt außerdem „eine Auswertung der Prozessbegleitung zum Tod von Ante P.“ an: Vertreter der „Initiative 2. Mai Mannheim“ haben die siebentägige Verhandlung des Schwurgerichtes verfolgt und protokolliert. Die politisch aktive Aufklärungsgruppe ist überzeugt: Ohne die von Augenzeugen in soziale Medien zahlreich hochgeladenen Videos hätte es nie einen Strafprozess und damit öffentliche Resonanz gegeben.
Die tausendfach geklickten Aufnahmen dokumentieren die letzten Minuten im Leben des aus dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Richtung Marktplatz gelaufenen und dort von Polizeibeamten mit Pfefferspray wie Faustschlägen überwältigten 47-Jährigen.
Jene, die die beiden in dem Strafverfahren gefällten Urteile für zu milde erachten, hoffen auf eine juristische Neuauflage. Allerdings dämpft Anwalt Engin Sanli Erwartungen rund um die beim Bundesgerichtshof eingelegte Revision und erläutert: Statistisch betrachtet liegt die Erfolgsquote dieses Rechtsmittels bei weniger als drei Prozent. Anders ausgedrückt: Die allermeisten Revisionen verwirft der BGH.
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