Hintergrund

Nach Neonazi-Eklat beim SV Waldhof: Abruptes Aus für den „Stadionschwätzer“

Der Druck aus dem Umfeld und der Öffentlichkeit ist zu groß: Nach seiner Würdigung des verstorbenen Neonazis Christian Hehl beim Nürnberg-Spiel muss Waldhof-Stadionsprecher Stephan Christen seinen Hut nehmen

Von 
Alexander Müller
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„Beileid an The Firm 1982“ ist auf einem Banner beim Waldhof-Pokalspiel gegen Nürnberg zu lesen. Der verstorbene Neonazi Christian Hehl war lange Jahre Mitglied dieser Hooligan-Gruppierung. © Michael Ruffler/PIX

Mannheim. Die DFB-Pokal-Partie gegen den 1. FC Nürnberg (0:1) ist erst vor ein paar Minuten zu Ende gegangen, da nimmt sich Waldhof-Geschäftsführer Markus Kompp noch auf dem Rasen Stadionsprecher Stephan Christen (Bild) zur Seite. Es folgt eine fünfminütige, emotional geführte Diskussion über den Eklat, der 19 Stunden später den Rücktritt Christens zur Folge haben wird. Was ist passiert?

Kurz vor 18 Uhr tritt der Stadionsprecher wie üblich vor den harten Kern der SVW-Fans auf der Otto-Siffling-Tribüne (OST), um direkt vor dem Anpfiff im akustischen Wechselspiel die Mannheimer Mannschaftsaufstellung zu verkünden. Diesmal hat Christen aber noch ein „persönliches Anliegen“ mitgebracht. Er will zwei verstorbene Waldhof-Anhänger würdigen. Einer von ihnen: Christian Hehl, bundesweit bekannter Neonazi aus Ludwigshafen, der nach Angaben aus der rechten Szene im Alter von 53 Jahren gestorben ist. „Das ist hier nur für dich, Christian Rolf Hehli“, ruft Christen ins Mikrofon, bevor er die Startelf des Waldhof bekanntgibt. Es ist der Anfang vom Ende seiner Tätigkeit als „Stadionschwätzer“, nach 29 Jahren.

Nicht mehr Stadionsprecher des SV Waldhof: Stephan Christen. © Michael Ruffler/PIX

Am Mittwochnachmittag verkündet der SVW in einer Pressemitteilung den Rückzug Christens, nachdem sich über dem Verein in den zurückliegenden Stunden ein Sturm der Entrüstung entladen hat. Selbst bundesweite Medien wie „Spiegel Online“ berichten über den Vorfall, diese Redaktion erreichen unzählige Wortmeldungen von Waldhof-Fans, die sich entsetzt über die offizielle Würdigung eines vorbestraften Rechtsextremisten äußern.

Nachdem der Verein schon am Vorabend gegen 23 Uhr mit einer Pressemitteilung versucht hat, die Wogen zu glätten, wird spätestens im Laufe des Mittwochvormittags klar: Der Druck von außen ist zu groß, Christen ist nicht mehr in seinem Amt zu halten. Was am Nachmittag folgt, fällt in die Kategorie „gesichtswahrende Trennung“. „Mir ist im Rahmen des Pokalspiels gegen den 1. FC Nürnberg ein Fehler unterlaufen, der mir nach 29 Jahren Tätigkeit als Stadionsprecher so nicht passieren darf. Bei der Widmung der Mannschaftsaufstellung habe ich einer verstorbenen Person gedacht, die der rechten Szene angehörte. Die Person und die Hintergründe waren mir persönlich nicht bekannt.

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Meiner Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Recherche zum Hintergrund der Person bin ich nicht nachgekommen. Dieses tut mir von Herzen leid“, lässt Christen mitteilen. „Um Schaden vom SV Waldhof Mannheim abzuwenden“ übernehme er die „alleinige Verantwortung und trete aus freien Stücken mit sofortiger Wirkung zurück“. Christen distanziert sich von rechtem Gedankengut und bedauert seinen unfreiwilligen Abschied vom SVW-Mikrofon. „Mir tut es in der Seele weh, dass ich nach 29 Jahren mein Amt als Stadionsprecher niederlege“, sagt der 52-Jährige, der 2021 noch in der Kochshow „Die Küchenschlacht“ für Furore gesorgt hatte. Auf die aktuellen Schlagzeilen hätte Christen sicher gerne verzichtet - am Ende zieht er die Konsequenzen aus seinem Fehlverhalten. Sicher nicht ohne mehr als sanften Druck aus der Vereinsspitze. Seit vielen Jahren hat sich der SVW auf etlichen Ebenen für Toleranz sowie gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagiert. Diese Arbeit droht durch Christens Fauxpas konterkariert zu werden.

„Zeitweise Deutschlands bekanntester Skinhead“



  • Christian Hehl, geboren am 29. Mai 1969 in Ludwigshafen, ist laut sozialen Medien am Sonntag gestorben. Über die Todesursache ist nichts bekannt.
  • Der 53-Jährige war gesundheitlich schwer angeschlagen. Als Angeklagter vor dem Amtsgericht Mannheim gab er 2017 an, an Diabetes sowie chronischen Herz- und Nierenbeschwerden zu leiden.
  • Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags rühmte sich Hehl 2018, er sei zeitweise Deutschlands bekanntester Skinhead“ gewesen.
  • Für die NPD saß Hehl von 2014 bis 2019 im Gemeinderat, früher diente er unter anderem dem Bundesvorstand als Leibwächter.
  • Ein Foto zeigt Hehl 1996 zusammen mit NSU-Terroristin Beate Zschäpe bei einer Kundgebung in Worms. Persönlich gekannt hatte er nach eigenen Angaben nur ihren Unterstützer Ralf Wohlleben. Von dessen Verteidigerin Nicole Schneiders ließ sich auch Hehl, mehrfach verurteilt unter anderem wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung, 2017 vor Gericht vertreten. 

Wie glaubhaft die Rechtfertigung des scheidenden Stadionsprechers ist, über Hehls Gesinnung nicht informiert gewesen zu sein? Fragwürdig. Waldhof-Insider verweisen darauf, dass der Neonazi allen, die lange im Verein arbeiten, ein Begriff gewesen sein muss. Auch Gerhard Fontagnier, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Mannheimer Gemeinderat, äußert an dieser Version Zweifel. „Die Aussage, dass der Stadionsprecher den Neonazi namentlich nicht kannte, ist unglaubwürdig“, teilt er mit. Die Mannheimer CDU zeigt sich ebenfalls entsetzt über den Vorfall. „Es ist ein absoluter Tabubruch, einen bekannten Neonazi und gewalttätigen Straftäter im Zuge der Durchsage zur Mannschaftsaufstellung zu ehren“, sagt der Fraktionsvorsitzende Claudius Kranz. Und die LI.PAR.tie mahnt: „In Mannheim darf kein Platz sein für die Würdigung oder Verharmlosung rechtsextremistischer Akteure und ihrer Umtriebe.“

Als diese Redaktion Geschäftsführer Kompp erreicht, bittet er um Verständnis dafür, über den Wortlaut der Pressemitteilung hinaus keine weitere Stellungnahme abgeben zu wollen. „Alle Gremien des SV Waldhof distanzieren sich von rechtem Gedankengut und werden sich auch zukünftig für Vielfalt, Toleranz und gegen Rassismus einsetzen“, heißt es darin. Wer am Samstag im Drittliga-Spiel gegen Essen Christens Job am Mikrofon übernehmen wird, ist noch offen.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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