Protest

Nach Diskussion in Mannheim: „Letzte Generation erpresst die Demokratie“

Der Mannheimer Jens Bortloff hat eine Stunde lang mit Aktivisten der "Letzten Generation" diskutiert, als die eine Straße blockierten. In der Gruppe sieht er eine Gefahr für Staat und Demokratie

Von 
Sebastian Koch
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Hatte sich immer vorgenommen, mit der Letzten Generation über Demokratie zu diskutieren, wenn er in eine ihrer Blockade gerät: Jens Bortloff. © Christoph Blüthner

Mannheim. Die Temperaturen an diesem Morgen liegen nur knapp über dem Gefrierpunkt: Es ist der 20. Januar. Gerade eben haben sich fünf Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ auf die Wilhelm-Varnholt-Allee geklebt. Menschen steigen aus den Autos aus, diskutieren, gestikulieren, schimpfen. Unter die Journalistinnen und Journalisten am Straßenrand mischt sich ein Mann. Er ist auf dem Weg zur Arbeit. Zu Fuß. Der Mann bleibt stehen, schaut sich das Geschehen an. Und dann beginnt er mit dem festgeklebten Leo Elgas zu diskutieren. Das Gespräch hält über die Dauer der Blockade an – mehr als eine Stunde. Beide streiten heftig. Beide bleiben friedlich. Argumentativ zusammenkommen, das schaffen sie aber nicht.

Ortswechsel. Jens Bortloff sitzt mit Schnellhefter und mehreren Seiten Papier am Tisch im Besprechungsraum der „MM“-Redaktion. Er ist der Mann, der mit Elgas in scharfem Ton mit sachlichen Argumenten diskutiert hat. „Ich bestreite nicht, dass es einen Klimawandel gibt und wir dringend Maßnahmen dagegen ergreifen müssen“, sagt Bortoff. „Daran gibt es keinen Zweifel.“ In diesem Punkt stimme er mit der „Letzten Generation“ überein.

Das aber ist auch so ziemlich die einzige Gemeinsamkeit, die Bortloff und die Gruppe teilen. In der vergangenen Woche haben die Aktivistinnen und Aktivisten an zwei weiteren Tagen drei Straßen in Mannheim blockiert. Die Art, wie die Gruppe auf Klimaschutz aufmerksam macht, missfällt Bortloff. Er sagt: „Das Verhalten der ‚Letzten Generation‘ ist populistisch und undemokratisch.“

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Deshalb sei es ein Problem, dass in der Öffentlichkeit oft die Ansichten der Aktivisten eine Rolle spielten, selten aber die der „schweigenden Mehrheit“, wie Bortloff es sagt und zu der er sich zählt. In der Berichterstattung würde das, was die Gruppe mache – Gesetze brechen – zu selten herausgearbeitet. „Es wird oft nur gesehen, dass sie ein gutes Ziel haben.“ Am vergangenen Wochenende hatte eine Aktivistin der „Letzten Generation“ bei der Konferenz für Klimagerechtigkeit im Jugendkulturzentrum Forum dagegen moniert, Medien würden häufig zu kritisch und negativ über die Aktionen ihrer Gruppe berichten.

Er teile das Anliegen der „Letzten Generation“, betont Bortloff immer wieder. Ihn störe aber, dass die Gruppe für sich in Anspruch nehme, ihre Meinung sei als richtig gesetzt, weshalb sie außerhalb des Diskurses stehe, „weil die Wissenschaft es so sagt“, erklärt der promovierte Wissenschaftler. „Das hat mit einem demokratischen Diskurs nichts zu tun – das ist Meinungsabsolutismus.“ Diesen Punkt hatte er auch Elgas auf der Varnholt-Allee vorgeworfen. Im Streit hatte der erwidert, es gehe bei den Aktionen nicht um Meinungen, sondern um die Wissenschaft.

Jüngst hatten Medien den Dresdner Aktivisten Christian Bläul zitiert: „Ich bin zumindest im Hinterkopf mental immer darauf vorbereitet, dass in unseren Staus jemand stirbt – gerade durch einen Unfall am Ende des Staus könnte es wirklich sein, dass da Menschen sterben, und das ist wirklich schwer zu ertragen. Aber es ist etwas, was wir ein Stück weit riskieren müssen.“ Vergangene Woche hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Gruppe als nicht extremistisch eingestuft.

Wenn die „Letzte Generation“ an die Verfassung glauben würde, sagt Bortloff, würde sie demokratische Mittel statt zivilem Ungehorsam anwenden. „Jede Gruppe kann Versammlungen anmelden und nach demokratischen Spielregeln durchführen“, erklärt er und verweist etwa auf Demonstrationen von Fridays for Future. Die „Letzte Generation“ kritisiert dagegen immer wieder, durch die Demonstrationen habe sich nichts verändert. „Das stimmt nicht“, entgegnet Bortloff. „Fridays for Future hat Klimaschutz erst in einen breiteren Diskurs gebracht.“

Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ betonen bei Blockaden, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Sie kämpften für den Erhalt der Demokratie, weil eine wärmere Welt im Kampf um Nahrung und Ressourcen Bürgerkriege und autoritäre Systeme fördere. Bortloff ist skeptisch. Man gebe nur vor, die Demokratie zu pflegen. „Die Haltung, die sie haben, und die Mittel, die sie einsetzen, lassen auf etwas anderes schließen.“ Die „Letzte Generation“ fordert eine Neuausrichtung des demokratischen Systems. Selbst das 9-Euro-Ticket oder das Tempolimit von 100 km/h würden von der Regierung nicht umgesetzt, „obwohl sie gesellschaftlich mehrheitsfähig sind“, heißt es auf der Webseite der Gruppe. Es zeige sich: „Unsere demokratischen Verfahren sind für einen angemessenen und sozial gerechten Umgang mit der Klimakrise offenbar nicht ausreichend.“ Stattdessen solle ein Gesellschaftsrat – „eine geloste Notfallsitzung“ – die Klimawende einleiten. Dieser Rat solle von Fachleuten beraten werden. Die sollten von einem zehnköpfigen Beirat aus Vertretern aus dem Parlament, der Wissenschaft, Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und weiteren „für das Thema relevante“ Akteure und Akteurinnen bestimmt werden.

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Bortloff kritisiert, die „Letzte Generation“ erkläre nicht, wer diesen Beirat benenne. „Wenn es nicht so läuft, wie es die ‚Letzte Generation‘ will, wird wieder blockiert“, glaubt er. „Die Gruppe erpresst und nötigt demokratische Verfassungsorgane.“

Im Februar hatten Aktivistinnen und Aktivisten in einem Schreiben an den Dresdner Stadtrat und an den Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) „eine maximale Störung der öffentlichen Ordnung“ angedroht, wenn diese öffentlich einen „Gesellschaftsrat“ auf Bundesebene nicht unterstützten. „Sollen sich dann andere Gruppen, die andere vom Grundgesetz geschützte und sehr wichtige Ziele verfolgen, auch auf die Straße kleben?“, fragt Bortloff. „Das ist antidemokratisch und populistisch.“ Die „Letzte Generation“ „idealisiert das Volk und meint, sie vertrete 99 Prozent der Bevölkerung gegenüber dem einen Prozent der gewählten Politikerinnen und Politiker“, kritisiert er. „Sie propagieren einfache Lösungen – das ist Populismus.“

Dennoch erlebe er viel Verständnis für die „Letzte Generation“, spricht gar von einer „Verharmlosung“ der Gruppe. „Das ist für die Demokratie fast noch schlimmer als die Vereinigung an sich“, sagt Bortloff, der sich selbst als „leidenschaftlicher Demokrat“ bezeichnet.

Wie aber soll die „Letzte Generation“ denn für Klimaschutz werben? Bortloff zögert einen Moment. Menschen in Staus dürften nicht zu Geiseln politischer Forderungen gemacht werden, erklärt er dann. „Die Mittel müssen demokratisch bleiben“, fordert Bortloff – und verweist auf viele rechtmäßige Demonstrationen. „Die Gesellschaft muss sich damit beschäftigen, was die ,Letzte Generation’ wirklich will.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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