Mannheim. Das Blümchen, das ihm als Dankeschön zum Abschied gereicht wird, will Frank Bsirske nicht mit auf Reisen nehmen. Nach einer Stippvisite in Mannheim am Dienstag muss er mit dem Zug zurück in die Heimat nach Wolfsburg, dort ist heute Großkampftag, 1. Mai. Rund eine Stunde lang hatte der frühere Gewerkschaftsfunktionär und jetzige Grünen-Bundestagsabgeordnete auf einem, logisch, grünen Sofa auf den Kapuzinerplanken Platz genommen, um neben dem grünen Europaabgeordneten Michael Bloss und der grünen Fraktionsvorsitzenden im Mannheimer Gemeinderat, Nina Wellenreuther, über die Frage zu diskutieren, wie sich Klimaschutz sozial gerecht gestalten lässt.
40 Zuhörer auf den Mannheimer Kapuzinerplanken
Um es vorwegzunehmen: Das Wort Mannheim fällt an diesem Dienstagabend höchstens zwei- oder drei Mal, die Kommunalwahl, die zeitgleich mit der Europawahl am 9. Juni stattfindet, spielt auf dem grünen Sofa keine Rolle. Das große Thema ist die EU und die Transformation sowie diejenigen, die das eine verlassen und das andere verhindern möchten: die AfD. Rund 40 Menschen sind zur grünen Wahlkampfveranstaltung gekommen, es ist ein lauer Abend vor dem Feiertag, das mag die überschaubare Zuhörerschaft erklären. Immer wieder übertönen aufheulende Motoren und lautes Hupen von der Kunststraße das Nachdenken über Elektromobilität und erneuerbare Energien.
Doch Bsirske warnt: Wer jetzt die Zeit zurückdrehen wolle, treibe die deutschen Unternehmen erst recht in die Krise. Der Autobauer VW investiere 170 Milliarden Euro in den Umbau, ein Großteil fließe in den Ausbau der Elektromobilität. „Gegenläufige Signale bringen das durcheinander, das können wir nicht gebrauchen.“ Dass Klimaschutz Geld kostet, aber kein Klimaschutz auch, macht Bsirske am Desaster im Ahrtal deutlich. Die Bundesländer müssten 40 Milliarden Euro aufbringen, um die Schäden des Hochwassers von 2021 zu bewältigen. „Das macht klar, was auf uns zukommt, wenn wir nicht gegensteuern, wird es am Ende immer teurer.“
Als ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär - Bsirske war von 2001 bis 2019 Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi - weiß er aber auch, dass die Lasten verteilt werden müssen. „Die Transformation wird nicht gelingen, wenn das Soziale auf der Strecke bleibt.“ Vor dem Hintergrund pocht er auf die Umsetzung der Europäischen Mindestlohnrichtlinie, die hierzulande eine Verbesserung für 8,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeuten würde.
Die Gefahr, dass eine konservative Mehrheit im Europaparlament das Rad wieder zurückdrehen wolle, sieht auch der 37 Jahre alte gebürtige Stuttgarter Michael Bloss. Er ist seit 2019 Abgeordneter im Europäischen Parlament und mahnt: „Es muss noch viel passieren, wir sind den Weg höchstens zur Hälfte gelaufen.“ Schreite die Klimaerwärmung weiter voran, würden in wenigen Jahrzehnten Teile der Welt nicht mehr bewohnbar sein.
„Klimaschutz ist Menschheitsschutz, die nächsten fünf Jahre werden entscheidend sein, noch ist eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf zwei Grad möglich“, meint Bloss und erzählt, dass er kürzlich Besuch von Schweizer Klimaseniorinnen erhalten habe. Der Verein, in dem rund 2000 Frauen im Alter von 70 Jahren und älter Mitglied sind, hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt, dass ihre Regierung, die Schweiz, zu wenig für den Klimaschutz tue und dadurch ihre Gesundheit beeinträchtigt sei. Die Straßburger Richter gaben den Frauen recht.
Bloss sieht auf europäischer Ebene aber auch Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel. So formuliere das Europäische Klimagesetz das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Darüber hinaus dürften in der EU ab 2035 nur noch Neuwagen verkauft werden, die keine Treibhausgase ausstoßen. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien werde vorangetrieben. So dürfe beispielsweise die Genehmigung von Windrädern nicht mehr länger als zwei Jahre dauern. „Da geht unglaublich was ab.“
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Als maßgeblich für diese Fortschritte sieht er die Fridays for Future-Bewegung, die mit ihrem Klimastreik vor fünf Jahren deutlich gemacht habe, dass sie von der Gesellschaft eine Änderung verlangen. „Fortschritt gibt es, wenn sich Menschen zusammenschließen und für ihre Rechte kämpfen.“
Deutschlands Abhängigkeit von der EU
Hart ins Gericht ging Bsirske mit der AfD und ihren Forderungen nach einem Austritt aus der EU. „AfD steht für Absturz für Deutschland und nicht für Alternative für Deutschland, Absturz moralisch, Absturz politisch und Absturz wirtschaftlich.“ 75 Prozent der Gesetze würden in Brüssel gemacht. „Wir können es uns nicht leisten, keinen Einfluss nehmen zu wollen.“ Überdies sei Deutschland Hauptprofiteur der Europäischen Union, 65 Prozent der Exporte gingen in EU-Mitgliedstaaten. „Die europäischen Staaten stehen in Konkurrenz zu China und den USA, wir können nicht auf nationale Alleingänge setzen.“ Stattdessen müsse die EU als Wirtschafts- und Klimaraum erschlossen werden, der in Fragen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz eigene Standards setze.
Das letzte Wort auf dem grünen Sofa hat Fraktionschefin Wellenreuther: „Geht am 9. Juni wählen, zumindest demokratisch. Es steht viel auf dem Spiel.“
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