Analyse

Ergebnis der Kommunalwahl in Mannheim: Zehn Thesen zum Wahlausgang

Wie sind die Ergebnisse der Wahlen vom Sonntag zustande gekommen? Und was bedeuten sie für die Arbeit des neuen Gemeinderats? Wir haben zehn Thesen rund um diese Fragen formuliert

Von 
Steffen Mack und Timo Schmidhuber
Lesedauer: 
Der Kampf um die Wählerstimmen ist vorbei. Am 23. Juli kommt der neue Gemeinderat erstmals zusammen. © Thomas Tröster

Mannheim. Mannheim hat gewählt. Und wie es gewählt hat, daraus lassen sich einige Lehren ziehen. Hier zehn Thesen zum Ausgang der Europa- und der Kommunalwahl, was sich dabei gezeigt hat beziehungsweise was auch künftig für die Lokalpolitik eine wichtige Rolle spielen könnte.

These 1: Gemessen an ihrem Bundestrend haben die Grünen in Mannheim erstaunlich wenig verloren

Schaut man nur auf die Sitze, sind die Grünen der größte Verlierer der Kommunalwahl. 2019 holten sie noch zwölf, diesmal sind es nur neun. Gemessen an dem gewaltigen bundesweiten Absturz, den sie am Sonntag erleben mussten, haben die Grünen in Mannheim allerdings noch erstaunlich gut abgeschnitten. Das zeigten auch ihre erleichterten Reaktionen. Vor allem liegen sie wider Erwarten mit 20,1 Prozent erneut vor der in Mannheim traditionell starken SPD (18,5).

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Dabei gilt diese Stadt - im Gegensatz zu anderen in Baden-Württemberg - keineswegs als Hochburg der einstigen Ökopartei. Aber offensichtlich ist sie auch hier mittlerweile strukturell so verankert, dass dieses Fundament selbst in schlechten Zeiten trägt. Trotz der häufigen Zerstrittenheit ihrer Fraktion und ihres schwachen Auftretens rund um die Oberbürgermeisterwahl. Die nur 13,8 Prozent, die ihr Kandidat Raymond Fojkar da bekam, wirken im Lichte der jüngsten Ergebnisse noch miserabler.

These 2: Die SPD kann sich nicht mehr auf ihre klassischen Hochburgen im Mannheimer Norden verlassen

In Analysen zur OB-Wahl hieß es noch, es liege am Kandidaten: Mit Thorsten Riehle habe die SPD zwar auch in bürgerlichen Stadtteilen gepunktet, aber ihre vielen Anhänger im Mannheimer Norden nicht so stark mobilisieren können wie sonst. Dort müssten die jetzigen Spitzenkandidaten - der jahrzehntelange IG-Metall-Vorkämpfer Reinhold Götz und die bodenständige, in vielen nördlichen Vereinen aktive Melanie Seidenglanz - eigentlich deutlich besser ankommen. Doch schnitten die Sozialdemokraten erneut in den nördlichen Stadtteilen nicht annähernd so gut ab wie früher.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

These 3: Die Bluttat vom Marktplatz hat in der Endphase des Wahlkampfes eine erhebliche Rolle gespielt

Nach der Landtagswahl 2016, als die AfD sensationell das Mandat im Mannheimer Norden gewann, konnte sie in dieser Stadt nie mehr an diesen Erfolg anknüpfen. Alle folgenden Wahlen verliefen aus ihrer Sicht enttäuschend. Aber nun hat die AfD deutlich stärker als im Landestrend zugelegt, die Zahl ihrer Sitze im Gemeinderat von vier auf sieben ausgebaut. An ihrer Arbeit im Rat dürfte das nicht liegen. Eher eine Rolle spielte vermutlich die Bluttat vom Marktplatz, bei der ein Afghane einen Polizisten erstochen hat.

Zudem könnte sich die ausgelöste breite Solidarität mit der Polizei auch darin zeigen, dass gleich drei Menschen mit diesem Beruf in den Gemeinderat gewählt wurden: Neben AfD-Fraktionschef Jörg Finkler, Polizeibeamter außer Dienst, auch Polizistin Samantha Höß (SPD) und die frühere Polizei-Führungskraft Jürgen Dörr (CDU). Bei beiden kam ihr Erfolg überraschend, 2019 waren sie unter „Ferner liefen“ geblieben.

These 4: Die Mehrheit, die das bürgerliche Lager bei der OB-Wahl erreicht hat, war eine Ausnahme

Dass Christian Specht mit Hilfe von CDU, FDP und Mannheimer Liste (ML) die Oberbürgermeister-Wahl gewinnen konnte, lag auch daran, dass die AfD keinen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt hatte, der dem bürgerlichen Lager Stimmen weggenommen hätte. Bei der Kommunalwahl mit der AfD im Bewerberfeld dagegen war der Gedanke einer bürgerlichen Mehrheit fast schon utopisch. Gleichzeitig haben FDP und ML vergleichsweise schlecht abgeschnitten. Während die Liberalen den Unmut über die Ampel als Grund anführen können, kommt der Verlust eines Sitzes bei der ML überraschend.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

These 5: Mehrheiten sollten künftig fraktionsübergreifend von Fall zu Fall gefunden werden

Die Zugewinne der Rechtspopulisten tragen auch dazu bei, dass weder das linke noch das bürgerlich-konservative Lager eine ausreichende Mehrheit haben. Sofern es allen mit der Brandmauer zur AfD hoffentlich ernst ist, müssen fraktionsübergreifende Mehrheiten gefunden werden. Aber bitte nur mit sachgerechten Lösungen. Kuhhandel nach dem Motto „Ihr kriegt eure neue Stadtbibliothek, wir unser neues Waldhof-Stadion“ sollte es nicht geben.

These 6: Dem Gemeinderat droht zunehmend eine Zersplitterung

Dem neuen Gemeinderat werden zwölf Parteien und sonstige Gruppierungen angehören, ein neuer Rekord. Eine Erosion gibt es auch in anderen deutschen Parlamenten, sie macht die Mehrheitsfindung überall komplizierter. Bei baden-württembergischen Kommunalwahlen kommt jedoch erschwerend das Verfahren der Sitzverteilung hinzu, das die Kleinen stark begünstigt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Ihnen genügt für ein Mandat schon rund ein Prozent. Das ist nicht nur unverständlich wenig, es kann auch den Wählerwillen ins Gegenteil verkehren: wenn etwa, wie hier beinahe gerade geschehen, eine linke Mehrheit prozentual deutlich verfehlt wurde, aber über den Umweg eher links tickender Vertreter von Splitterparteien doch noch erreicht würde.

These 7: Es kommt mehr denn je auf möglichst vollzählige Präsenz an

Die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage in Mannheim war eines der am kontroversesten diskutierten Themen der vergangenen Monate. Bei der entscheidenden Abstimmung im April blieben bei SPD, Grünen und CDU jeweils zwei Plätze leer. Auf das Ergebnis hatte das am Ende zwar keine Auswirkungen - aber bei den knappen Mehrheitsverhältnissen könnte künftig mehr Teilnahmedisziplin erforderlich sein.

These 8: Im Gemeinderat sind Menschen mit Migrationshintergrund stark unterrepräsentiert

Knapp 50 Prozent der Mannheimer Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Im neuen Gemeinderat sind sie stark unterproportional vertreten - mit Nazan Kapan und Karim Baghlani (beide SPD), Dennis Ulas und Nalan Erol (beide Linke) sowie Sengül Engelhorn (CDU) sind es nur fünf. Dass die Quote nach der Wahl 2019 mit vier von 48 noch ein wenig schlechter war, ist kein Trost. Auch bei anderen Bevölkerungsgruppen hapert es. So kommen aus Feudenheim acht Stadträte - mehr als aus Sandhofen, Schönau und Waldhof zusammen (sieben).

Mannheimer Gemeinderat

Das sind die 48 neuen Stadträte

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
48
Mehr erfahren

These 9: Bekanntheit ist für die Wahl in den Gemeinderat bisweilen wichtiger als Parteiarbeit

Schon bei ihrer ersten Kandidatur 2019 hatte sich Martina Herrdegen, Mit-Inhaberin der traditionsreichen Konditorei in der Innenstadt, mit fast 49 000 Stimmen an die Spitze der CDU-Liste katapultiert. Weder in ihrer Partei noch in ihrer Fraktion hat sie eine führende Rolle, dennoch konnte sie nun ihr Ergebnis nochmal verbessern.

Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp



Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt

Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen

Auch Sengül Engelhorn, die Frau des Modeunternehmers Fabian Engelhorn, kommt bei ihrer ersten Kandidatur gleich auf rund 39 600 Stimmen. Von solchen Ergebnissen können Annalena Wirth und Kai-Uwe Herrenkind nur träumen. Die seit langem engagierten Jusos standen auf den guten SPD-Listenplätzen vier und sieben. Mit etwas mehr als 28 000 und 19 000 Stimmen fielen sie auf der Liste aber deutlich zurück und schafften es nicht.

These 10: Plakate können hilfreich sein - die pure Masse ist aber noch kein Garant für eine Wahl

Auf mehrmaliges Nachfragen des „MM“ hatte die Stadt-Tochter Event & Promotion Anfang Juni die Zahlen veröffentlicht: CDU (5400) und FDP (knapp 4900) hatten die meisten Wahlplakate angemeldet, mit etwas Abstand folgten Grüne (2750), SPD (2570), Linke (2200) und AfD (2000). Den Liberalen haben ihre vielen Poster nicht geholfen, die Zahl ihrer Sitze im Gemeinderat zu erhöhen.

Mehr zum Thema

Letzer Wahlbezirk ausgezählt

Gemeinderatswahl: So haben die Mannheimer abgestimmt

Veröffentlicht
Von
Daniel Kraft
Mehr erfahren
Reaktionen

Gemeinderatswahl in Mannheim entschieden: Was das Ergebnis bedeutet

Veröffentlicht
Von
Steffen Mack , Timo Schmidhuber , Sebastian Koch und Martin Geiger
Mehr erfahren

Kommentar Selbst beim Sieger CDU kann es keine uneingeschränkte Freude geben

Veröffentlicht
Kommentar von
Timo Schmidhuber
Mehr erfahren

Und auch die zumindest gefühlt auf Plakaten sehr präsente CDU-Bewerberin Ganimete Salihu konnte damit nicht verhindern, dass sie von Listenplatz 13 auf 22 abrutschte. Dagegen holte die Partei Volt mit nur 300 Plakaten, aber teils witzigen, doppeldeutigen Motiven bei der Europawahl überraschend 4,1 Prozent.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

Redaktion Stellvertr. Leiter der Lokalredaktion Mannheim

Thema : Kommunalwahlen 2024

  • Analyse Ergebnis der Kommunalwahl in Mannheim: Zehn Thesen zum Wahlausgang

    Wie sind die Ergebnisse der Wahlen vom Sonntag zustande gekommen? Und was bedeuten sie für die Arbeit des neuen Gemeinderats? Wir haben zehn Thesen rund um diese Fragen formuliert

    Mehr erfahren
  • Kommunalwahlen Wo die Grünen in Baden-Württemberg noch stärkste Kraft sind

    Während die Grünen landesweit bei den Kommunal- und Europawahlen Verluste hinnehmen müssen, zeigen sich bei der Betrachtung von Kommunalwahlergebnissen großer Städte dennoch Hochburgen der Partei

    Mehr erfahren
  • Reaktionen Gemeinderatswahl in Mannheim entschieden: Was das Ergebnis bedeutet

    Die Sieger bei der Mannheimer Kommunalwahl heißen CDU, Grüne und AfD, die Verlierer SPD, Linke und Mannheimer Liste. Wie das Wahlergebnis einzuordnen ist und wie die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten reagieren

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke