Bundestag

Mannheims Ex-FDP-Abgeordneter Konrad Stockmeier zieht Bilanz

Dreieinhalb Jahre lang hat der Mannheimer FDP-Abgeordnete Konrad Stockmeier über das Schicksal der Republik mitentschieden. Nun ist es vorbei: Das denkt er über die Politik und seine Partei.

Von 
Martin Geiger
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Auszug aus dem Bundestag bedeutet auch Auszug aus seinem Wahlkreisbüro: der bisherige Mannheimer FDP-Bundestagsabgeordnete Konrad Stockmeier in der Schwetzingerstadt. © Christoph Bluethner

Mannheim. Herr Stockmeier, Sie haben sich jetzt jahrelang mit den großen politischen Fragen beschäftigt. Wie schwer ist es, nun wieder in den normalen Alltag zurückzufinden?

Konrad Stockmeier : Ich bin aufgrund der Debatte um die Schuldenbremse bis letzte Woche noch viel mehr Abgeordneter gewesen, als ich das am Wahlabend gedacht hätte. Daher beginnt die richtige Abklingphase erst jetzt in diesen Tagen.

Wie geht es nun für Sie weiter? Kehren Sie einfach in Ihren alten Beruf als Marktforscher und Strategieberater in Weinheim zurück?

Stockmeier: Das ist offen. Es zeichnen sich berufliche Perspektiven ab, die ich jetzt hier noch nicht präzisieren will.

Was bleibt von den dreieinhalb Jahren Berlin in Ihnen zurück?

Stockmeier: Die Erfahrung, die große Politik mitgestaltet und dadurch gelernt zu haben, wie Politik in diesem Lande wirklich gestaltet wird, was daran gut läuft – und was daran auch nicht gut läuft.

Was läuft nicht so gut?

Stockmeier: Was ich an der Politik wirklich kritisch sehe, ist, dass die demokratische Mitte zu selten in der Lage ist, sich sehr pragmatisch mal auf Kompromisse zu einigen. Also schneller zu sagen: Okay, was ist der gemeinsame Nenner? Den beschließen wir. Und dann treten wir offen vor die Wählerinnen und Wähler und sagen: Aus Sicht der SPD fehlt dieses, aus Sicht der Grünen fehlt dieses und aus Sicht der FDP fehlt jenes. Und darüber, sehr geehrte Wählerinnen und Wähler, können Sie beim nächsten Wahltermin dann entscheiden. Ich glaube, wenn man das knackig und verständlich formuliert, würden die Bürgerinnen und Bürger das verstehen und gutheißen.

Die Ampel ist als eine Dauerschlägerei wahrgenommen worden, die den Leuten kolossal auf die Nerven gegangen ist

Mit Verlaub, aber es war doch gerade Ihre Partei, die das verhindert hat.

Stockmeier: Es waren leider alle drei Parteien der Ampelkoalition daran beteiligt, deshalb haben bei der Wahl ja auch alle drei Federn gelassen. Die Ampel ist als eine Dauerschlägerei wahrgenommen worden, die den Leuten kolossal auf die Nerven gegangen ist. Das ist bedauerlich, weil dadurch aus der Wahrnehmung der Leute teilweise verschwunden ist, was diese drei ehemaligen Partner dann doch auch erreicht haben.

Und was läuft gut in der Politik?

Stockmeier: Eine positive Erfahrung aus diesen Jahren im Bundestag ist: Es geht in der politischen Auseinandersetzung viel, viel stärker um die Sache, als die Leute manchmal meinen. Es geht weniger um Egotrips oder sonst was, sondern wirklich sehr schnell immer um die Sache.

In den vergangenen dreieinhalb Jahren war der Reichstag in Berlin die Arbeitsstätte des Mannheimer Bundestagsabgeordneten Konrad Stockmeier. © Oskar Weiß/Konrad Stockmeier

Welches Gesetzesdetail gäbe es nicht, wenn Sie nicht Abgeordneter gewesen wären?

Stockmeier: Als klar wurde, ich werde einer der Energiepolitiker der FDP-Bundestagsfraktionen, habe ich mich auf ein Thema gestürzt, das ich für naheliegend gehalten habe: Energiespeicher. Wir bauen immer mehr Solar- und Windstrom aus. Das Problem ist aber: Die Sonne scheint, wann sie will. Und der Wind bläst, wann er bläst. Wir produzieren oft viel Strom zu Zeiten, wenn wir ihn gerade nicht brauchen. Deshalb ist es sinnvoll, ihn zu speichern. Ich habe nicht schlecht gestaunt, dass es bis zum Winter 2021/2022 auf der bundespolitischen Ebene keinen Politiker gab, der sich um dieses Thema gekümmert hat – auch nicht im Wirtschaftsministerium, das ja für Energie zuständig ist. Darum darf ich behaupten, dass ohne mich zwei Speicherstrategien des Bundes und auch gesetzliche Verbesserungen in diesem Bereich nicht zustande gekommen wären. Ich habe da den Anstoß gegeben. Das zeigt: Man kann als einzelner Abgeordneter wirklich was bewirken.

War es im Nachhinein gesehen ein Glück, dass Sie im Energieausschuss gelandet sind anstatt im von Ihnen ursprünglich präferierten Wirtschaftsausschuss?

Stockmeier: Das war der Sechser im Lotto, weil Energie eines der heißesten Eisen wurde. Das hat übrigens auch dazu geführt, dass ich knapp 60 Reden im Plenum gehalten habe: Für einen Neuling in einer verkürzten Legislatur eine sehr hohe Anzahl. Das Rednerpult im Bundestag ist mir sehr vertraut geworden.

Ich habe es immer als etwas Besonderes empfunden, als gewählter Abgeordneter im deutschen Parlament zu sprechen

Waren Sie trotzdem noch nervös?

Stockmeier: Nicht im eigentlichen Sinne nervös. Da kommt eine gewisse Routine rein. Aber ich habe es immer als etwas Besonderes empfunden, als gewählter Abgeordneter im deutschen Parlament zu sprechen. Ein Höchstmaß an Konzentration und Aufmerksamkeit ist da durchaus angebracht, damit man es nicht versemmelt.

Was war Ihre wichtigste Rede?

Stockmeier: Da möchte ich zwei benennen: Die eine war im Frühsommer 2022, eine meiner ersten, vielleicht war es Nummer drei oder vier. Da habe ich Bezug darauf genommen, dass wenige Wochen nach Kriegsausbruch es gelungen war, die Ukraine ans westeuropäische Stromnetz anzukoppeln, um sie von Russland unabhängig zu machen. Das war etwas, von dem Experten noch Wochen vorher gesagt hatten, das sei so ein komplexes Unterfangen, das schaffe man vielleicht innerhalb eines Jahres. Und darauf im Deutschen Bundestag hinzuweisen, war für mich ein besonderer Moment, weil es zeigt: In der größten Not sind wir Menschen zu viel mehr fähig, als wir manchmal meinen.

Und die zweite?

Stockmeier: Da ging es um den fürchterlichen Polizistenmord, den Terroranschlag hier auf dem Mannheimer Marktplatz: Die AfD versuchte in dieser Debatte auf eine schändliche Art, diesen Mord für sich zu vereinnahmen. Ich habe dann dagegen gehalten und gesagt, dass Mannheim gerade für das Miteinander steht; dass das für diese Stadt konstitutiv ist – und dass wir uns das weder von Terroristen noch von der AfD kaputt machen lassen. Das war auch ein besonderer Moment.

Konrad Stockmeier



  • Er wurde 1977 in Heidelberg geboren und wuchs in Konstanz und Wertheim auf.
  • Stockmeier hat in Freiburg, Mannheim und Louvain-la-Neuve (Belgien) Volkswirtschaftslehre studiert.
  • Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an VWL-Lehrstühlen der Fernuni Hagen und der RWTH Aachen.
  • 2010 wechselte er beruflich als Marktforscher und Strategieberater nach Weinheim.
  • 2021 wurde er für die FDP über die Landesliste in den Bundestag gewählt. Nun scheidet er aus.
  • Stockmeier ist seit 2020 Vorsitzender des Mannheimer FDP-Kreisverbands . mig

Was hätten Sie rückblickend anders gemacht?

Stockmeier: Da fällt mir als erstes die Kommunikation um das Heizungsgesetz ein: Ich glaube, manche in der FDP wären gut damit gefahren, da nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Das hat sich als falsch und kontraproduktiv erwiesen. Wir hätten uns hinstellen und sagen sollen: Passt auf, Leute, beruhigt euch! So, wie von Habeck vorgeschlagen, kommt es nicht, weil es dafür keine Mehrheit mit der FDP gibt. Es kommt etwas, was für alle machbar und bezahlbar ist. Und, ganz wichtig: Tätigt jetzt keine Panikkäufe. Ich war aber so mit den Gesetzesverhandlungen beschäftigt, dass ich es ein bisschen verpasst habe, das auch in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Wer hat Sie mehr Nerven gekostet: Ihre Parteikolleginnen und -kollegen, Ihre Koalitionspartner oder die Opposition?

Stockmeier: Die meisten Nerven haben mich schon die Koalitionspartner gekostet, weil ich ja mit denen in Gesetzesverhandlungen saß. Die Opposition hat mich nicht so wahnsinnig viele Nerven gekostet, weil die nun mal ihre Rolle wahrnimmt, was in einer Demokratie legitim und wichtig ist. Wobei man auch bei den Koalitionspartnern abstufen muss: Auf der fachpolitischen Ebene lief es oft ziemlich gut und lösungsorientiert. Da hätte man manchmal sogar schneller einen Kompromiss gefunden als in den Spitzenetagen.

Wie haben Sie vom sogenannten D-Day-Papier erfahren, also dem FDP-Drehbuch für den Koalitionsbruch?

Stockmeier: Aus der Presseberichterstattung. Da habe ich geahnt, was es in der Öffentlichkeit auslösen würde. Dieses unsägliche Geschreibsel, das in der Parteizentrale entstanden ist, ist überflüssig gewesen und stilistisch unakzeptabel. Deswegen sind ja auch Konsequenzen gezogen worden. Mir war übrigens auch sofort klar, dass es das Handeln der Parteiführung zu keinem Zeitpunkt beeinflusst hat, was auch der Ablauf der Ereignisse zeigt.

Ihren Eintritt 1998 in die FDP haben Sie als Vernunftehe anstatt als Liebesheirat bezeichnet. Wie oft haben Sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren an die Scheidung gedacht?

Stockmeier: Nie.

Als der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz in der Endphase des Wahlkampfs die Brandmauer zur AfD bei zwei Bundestagsabstimmungen zum Thema Migration eingerissen hat, waren Sie der FDP gegenüber ebenfalls loyal und haben zweimal zugestimmt. Warum?

Stockmeier: Weil ich mir die Inhalte angeschaut und für richtig befunden habe. Mir war klar: In dem Augenblick, in dem du inhaltlich etwas für richtig hältst, dich in deinem Abstimmungsverhalten aber von einer Partei wie der AfD abhängig machst, kannst du einpacken; weil du ihr genau dadurch die Macht gibst, die sie nie haben darf. Ich finde weite Teile dieser Brandmauer-Diskussion ziemlich naiv, weil sie von dem ablenken, worum es eigentlich gehen muss: Die AfD kriegt man klein, indem man die Probleme klein macht, die diese Partei groß gemacht haben.

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Weder Sie noch Ihre Partei kann daran in den nächsten Jahren mitwirken. Was dachten Sie am Wahlabend, als Sie realisiert haben, dass die FDP aus dem Bundestag fliegt?

Stockmeier: Es hat mich nicht völlig überrascht. Und dann gingen die Gedanken sehr schnell in zwei Richtungen. Erstens: Welche Koalition wird wohl zustande kommen, um dieses Land irgendwie voranzubringen? Der zweite Gedanke war: Wie wird es mit der FDP und dem politischen Liberalismus in Deutschland weitergehen?

Was rät der frühere Marktforscher und Strategieberater seiner Partei?

Stockmeier: Mich treibt Folgendes um: Wir leben in einer Zeit, in der der Wert, den die FDP als ihren Kernwert betrachtet – die Freiheit – so unter Druck gerät, wie es Jahrzehnte nicht der Fall war; von außen durch Russland und dadurch, dass die USA nicht mehr der zuverlässige Partner sind, der sie bisher waren; und von innen durch das Erstarken der politischen Ränder. Und ausgerechnet in einer solchen Zeit muss sich die liberale Partei aus dem Bundestag verabschieden. Darüber müssen wir sehr tief und gründlich nachdenken. Da klafft etwas auseinander.

Ist der bisherige Fraktionschef Christian Dürr der richtige Parteivorsitzende, um diese Diskrepanz zu überbrücken?

Stockmeier: Ich meine, ja. Ich denke aber auch, dass die FDP wieder breiter wahrgenommen werden sollte, als es in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Ich wünsche mir, dass nicht nur eine Person an der Spitze steht, sondern dass es ein Führungsteam aus unterschiedlich profilierten Persönlichkeiten gibt. Wir sollten Liberalismus wieder ganzheitlicher denken und in all seinen Facetten gut rüberbringen.

Wenn Sie die Zeit um vier Jahre zurückdrehen könnten: Würden Sie es noch mal machen?

Stockmeier: Auf jeden Fall! Denn es ist eine unglaubliche Ehre und ein Privileg gewesen, das machen zu dürfen.

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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