Herr Butt, wie ist es um das Ehrenamt bei Jugendverbänden in Mannheim bestellt?
Suhail Butt: Die Verbände sind hart von der Pandemie getroffen und haben damit immer noch zu kämpfen. Im Moment sind wir in einer Phase, in der es wieder etwas mehr Ehrenamtliche gibt - aber wir müssen kämpfen. Wir müssen schauen, dass das Bewusstsein fürs Ehrenamt gestärkt wird und dass wir die Strukturen in den Verbänden, die während Corona zusammengebrochen sind, wieder aufbauen, weil die Ehrenamtlichen gefehlt haben.
Frau Gerber und Herr Lindemann, Sie haben im Jugendhilfeausschuss Ihre wissenschaftliche Arbeit zum Projekt „Refresh & Recover“ zum Thema fehlendes Ehrenamt in Mannheimer Jugendverbänden vorgestellt. Hat es nicht schon vor Corona zu wenig Engagement gegeben oder ist das tatsächlich eine Folge der Pandemie?
Andreas Lindemann: Ein Ergebnis der Arbeit hat gezeigt, dass die Verbände, die Hauptamtliche beschäftigen, es einfacher hatten, nach der Pandemie wieder Ehrenamtliche zu gewinnen: Sie konnten erste Angebote machen, Leute anrufen oder Räume öffnen. Dort, wo es eine reine ehrenamtliche Struktur gegeben hat, waren keine Leute da, die diese Schritte hätten machen können. Deshalb haben wir schon in diesem Jahr hauptamtliche Stellen für den Stadtjugendring gefordert, die uns die Politik auch mehr oder weniger erfüllt hat: Eine von zwei.
Lena Gerber: Bei den Interviews, die wir mit Verbänden geführt haben, ist rausgekommen, dass die Pandemie der entscheidende Auslöser für das fehlende Ehrenamt war, aber es schon in den letzten Jahren strukturelle Entwicklungen gegeben hat, die es für Ehrenamtliche immer prekärer und schwieriger gemacht hat.
Welche Entwicklungen?
Gerber: Studien verzeichnen schon seit 2010 einen Rückgang und bringen den in Zusammenhang mit der Umstellung von G9 auf G8, oder der Bologna-Reform im Studium. Das sind zwei Beispiele, die belegt sind.
Sicherlich gibt es viel Nachmittags-Unterricht und das Studium wurde auch verschult. Das raubt Flexibilität. Sind das aber die einzigen Gründe? Haben wir nicht auch das Problem, dass der Wille zum Ehrenamt, das auch mit unattraktiven Aufgaben wie Anträge verfassen oder Budgets zu planen verbunden ist, einfach fehlt?
Lindemann: Ich mache seit zehn Jahren viel Ehrenamt und beobachte, dass es diesen Willen gibt. Natürlich bewege ich mich da auch in einer Bubble. Aber die Menschen, die in den Jugendverbänden engagiert sind, machen nicht nur Ausflüge und spaßige Aktionen. Das sind Menschen mit großem Engagement. Ich sehe nicht, dass grundsätzlich der Antrieb fehlt auch unliebsame Aufgaben zu übernehmen. Gleichzeitig ist es wahnsinnig toll, nach Vorbereitungsseminaren zwei Wochen ins Zeltlager zu fahren und Kindern etwas zu bieten. Menschen haben Lust darauf, etwas mit Menschen zu machen. Die Motivation ist da. Die Menschen haben sich nicht geändert - aber die Rahmenbedingungen.
Der Stadtjugendring vereint 33 Jugendverbände unterschiedlichster Richtungen. Ist der Ehrenamtsmangel in allen Bereichen gleich ausgeprägt oder gibt es Bereiche, zum Beispiel Sportvereine oder Glaubensgemeinschaften, die stärker oder weniger stark betroffen sind?
Gerber: Die Unterschiede gibt es. Die Gründe dafür liegen auf mehreren Ebenen. 2020 und 2021 haben durch die Bank weg alle Verbände Ehrenamtliche verloren. Tatsächlich haben aber vier von fünf Verbänden, die Ehrenamtliche wiedergewinnen konnten, hauptamtliches Personal. Außerdem spielt es eine Rolle, wie stark das Verbandsleben ausprägt ist. In manchen Verbänden steht die Aktivität, zum Beispiel der Sport, im Vordergrund und weniger das Verbandsleben an sich. Als der Sport während Corona weggefallen ist, ging der essenzielle Grund für eine Mitgliedschaft verloren. In religiösen Verbänden gibt es wiederum Unterschiede zwischen christlichen und andersgläubigen Verbänden. Christliche Verbände leiden stärker an Ehrenamtsverlusten. Das hängt auch mit verbandsspezifischen Einflussfaktoren zusammen. Es gibt viele Kirchenaustritte. Muslimische Verbände sind dagegen vergleichsweise stabil durch die Pandemie gekommen.
Das ist interessant. Die Vorsitzende des Sportkreises, Sabine Hamann, hat vor ein paar Tagen in einem Interview eine Art Ehrenamtsbörse vorgeschlagen, die Menschen für eine bestimmte Zeit oder die Dauer eines Projekts vermittelt. Es geht also nicht um die Vereinszugehörigkeit, sondern darum, in einem Projekt zu arbeiten. Wenn das beendet ist, ist man frei für neue Aufgaben, möglicherweise in anderen Vereinen. Das widerspricht ja dem Sich-an-einen-Verein-binden. Was halten Sie davon?
Karin Heinelt: Ich habe das Interview interessiert gelesen. Das Phänomen, junge Menschen für zeitlich umrissene Projekte zu gewinnen, ist etwas, das wir in der Jugendarbeit, der kulturellen Bildung oder der außerschulischen Arbeit schon seit vielen Jahren beobachten. Das projektorientierte Arbeiten passt in den Alltag vieler Menschen - das kann man nicht bestreiten und auch die Idee einer Ehrenamtsbörse liegt nahe. Aber ich muss aus unserer Perspektive darauf verweisen, dass eine Ehrenamtsbörse nur gut funktionieren kann, wenn es stabile hauptamtliche Strukturen in den Jugendverbänden gibt. Die Zeit zwischen den Projekten muss schließlich auch überbrückt werden und kurzzeitig Engagierte brauchen jemanden, der sie an Verbandsstrukturen heranführen kann.
Sie wären also gegen einen solchen Vorschlag?
Heinelt: Für uns ist entscheidend, dass das Engagement im Jugendverband als Selbstorganisation eine gesellschaftspolitische Bildungsarbeit ist. Man lernt, sich für Interessen einzusetzen, auch mal bürokratische Aufgaben machen zu müssen, sich zu verpflichten und Verantwortung zu übernehmen. Das sind wichtige Dinge, die in den Phasen zwischen Projekten gestemmt werden müssen. Gerade in diesen Phasen gibt es wichtige Erkenntnisse und Lernaufgaben für junge Menschen, die für später noch einmal ganz entscheidend sind. In diesen Phasen lernt man, eine Gruppe zusammenzuhalten, wenn es gerade mal nicht so viel Spaß macht, oder mit dieser Gruppe Ideen zu entwickeln, um aus einer schlechten Phase wieder rauszukommen. Diese Kontinuität ist wichtig. Völlig klar ist, da gebe ich Sabine Hamann Recht, dass sich die Vereinskultur ändert und man ein Amt nicht mehr lebenslang ausfüllen kann. Sich entsprechend anzupassen, ist auch Aufgabe der Verbände. Die Generation Z ist gar nicht mehr ihr ganzes Leben lang an einem Ort. Strukturen in Verbänden müssen auf jeden Fall ertüchtigt werden.
Gerber: Als ergänzende Struktur hatten wir auch mal eine Ehrenamtsbörse angedacht. Unsere entscheidende Erkenntnis, auch in der wissenschaftlichen Arbeit, ist aber, dass sich Menschen an Verbände binden, weil sie da Beziehungen führen und deshalb Spaß haben. Gerade für Jugendliche ist das entscheidend - das kann man mit einer Börse nicht auffangen. Unsere Arbeit hat gezeigt: Verbände, die gut durch die Krise kommen, sind immer solche, in denen die Bindung und die Beziehung zum Verband gut funktioniert.
Um sich ehrenamtlich zu engagieren, braucht man vor allem Zeit. Junge Menschen haben Schule und haben in der Schule oder im Studium einen Leistungsdruck, um sich später auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Außerdem gibt es die Digitalisierung und Smartphones, die Zeit rauben und gleichzeitig auch das eigene Netzwerk pflegen. Wie kann man das Ehrenamt so attraktiv gestalten, damit diese Faktoren übertroffen werden, Herr Butt?
Butt: Es werden immer wieder Herausforderungen kommen, denen sich das Ehrenamt stellen muss. Wir müssen Menschen wieder in Vereine und in Verbände bringen. Wenn wir das schaffen, engagieren sie sich dort später auch. Wir müssen versuchen, Menschen zu begeistern. Wenn die Bindung vorhanden ist, ist der Verband schnell Teil der eigenen Identität. Dadurch wird das Ehrenamt gestärkt. Die Verbände haben es bisher immer geschafft, Lösungen zu finden.
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Aber wie gelingt es denn, Menschen für den Verband oder den Verein zu begeistern, damit sie wieder mit Herzblut dabei sind?
Butt: Das haben wir auch im Bericht von Andreas und Lena sehen können: Wir müssen zum Beispiel an Schulen oder Universitäten Werbung machen. Dafür brauchen wir Ressourcen. Wir müssen an Schulen vor Ort sein, um das Bewusstsein für den Verein zu stärken.
Lindemann: Die Zugänge, die junge Menschen finden, sind unterschiedlich. Es gibt Verbände, die stark auf Freizeiten und Ausflüge setzen, bei denen Jugendliche junge Erwachsene sehen, die Dinge für sie organisieren, und sich dann denken: „Das will ich auch mal machen.“ Es gibt aber auch andere Wege, zum Beispiel über Schulprojekte. Die Feuerwehr kann sich auf Festen präsentieren und dort auf ihre Jugendfeuerwehr aufmerksam machen. So ein großes Feuerwehrauto ist ein großer Anziehungspunkt (lacht). Jeder Verband hat unterschiedliche Strategien.
Heinelt: Wir haben festgestellt, dass die Jugendverbände auch selbst vermehrt ganz starke individuelle Beratungen brauchen. Das ist ein wichtiger Teil, den wir als Stadtjugendring leisten, für den wir aber auch Ressourcen brauchen. Um Ehrenamtliche zu gewinnen, braucht es stabile Verbandsstrukturen, die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bieten. Es gibt also den Weg, neue Zielgruppen zu erschließen - gleichzeitig müssen wir Verbände aber auch begleiten, in diese neue Phasen zu gehen.
Wie ist die Situation in anderen Städten und wie steht da Mannheim im Vergleich dar?
Heinelt: Das Phänomen des weggebrochenen Ehrenamts zeigt sich deutschlandweit bei Jugendverbänden in Jugendringen. Unsere wissenschaftliche Arbeit von „refresh & recover“ ist daher bundesweit nachgefragt - die Arbeit ist für alle wichtig. Jugendverbände als Selbstorganisation sind für unsere Zivilgesellschaft essentiell. Von daher ist Mannheim keine Ausnahmestadt, was fehlendes Ehrenamt betrifft, aber eine Ausnahme, weil wir diese wissenschaftliche Erhebung machen konnten. Dass das von städtischer Seite mit der Einrichtung der Stelle möglich gemacht worden ist, macht uns glücklich. Nur müssen wir jetzt noch in die Umsetzung der Ergebnisse kommen.
Inwieweit kann Sie die Verwaltung dabei unterstützen?
Butt: Das Projekt „refresh & recover“ darf mit der wissenschaftlichen Arbeit nicht aufhören. Wir müssen die Stellen, die geschaffen worden sind, weiterbesetzen. Da ist die Politik, nicht nur die Verwaltung, am Zug. Die wissenschaftliche Grundlage haben wir - aber die vorgeschlagenen Maßnahmen müssen wir jetzt erst noch umsetzen.
Heinelt: Wir rechnen damit, dass wir dafür zwei zusätzliche Stellen für die nächsten sechs Jahre benötigen. Im aktuell vorliegenden Haushalt, den die Verwaltung zusammengestellt hat, sind die noch nicht enthalten.
Mit welchen Kosten rechnen Sie bei diesen beiden Stellen?
Heinelt: Wir schätzen die Arbeitgeberkosten auf 85.000 Euro pro Stelle.
Die Stellen sind momentan nicht geplant. Was würde es bedeuten, wenn Sie die Stellen tatsächlich nicht bekommen?
Heinelt: Natürlich würde der Stadtjugendring die Verbandsbetreuung weiterführen. Das ist unser Auftrag und unser Herz schlägt dafür. Wir können aber nicht sagen, wie gut es uns in der aktuellen Besetzung gelingt, Tendenzen zu stoppen, die wir jetzt auch wissenschaftlich nachgewiesen haben.
Lindemann: Die Maßnahmenpakete, die wir in der Arbeit ausgeführt haben, können wir mit den derzeitigen Ressourcen nicht umsetzen. Es würde also auf die Frage hinauslaufen, welche Maßnahmen nicht umgesetzt werden würden. Wir brauchen Ressourcen, um zum Beispiel Studierende zielgruppengerecht anzusprechen. Wir brauchen Ressourcen, um Verbände bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Das sind dringende Bedarfe, die wir im Moment mit eineinhalb festen Stellen, die 33 Verbände betreuen, kaum leisten können.
Gerber: Und auf diese Bedarfe einzugehen, drängt nicht nur aufgrund von jugendinternen Fragestellungen, sondern auch mit Blick auf die gesamte Zivilgesellschaft. Wir haben genug Studien, die beweisen, dass Menschen, die früh in ihrem Leben angefangen haben, sich zu engagieren, sich auch später mehr in unsere Gesellschaft einbringen.
Können wir die Tendenz hin zu einer Schwächung der Jugendverbandsarbeit denn überhaupt noch stoppen oder muss man nicht auch mal über ein völlig neues Beteiligungssystem nachdenken?
Butt: Noch haben wir die Möglichkeit. Das zeigen ja einzelne Verbände, die Ehrenamtliche auch wieder zurückgewinnen - allerdings oft mit hauptamtlicher Unterstützung in den Strukturen. Wenn das Hauptamtliche aber fehlt, will man sich nicht vorstellen, in welche Richtung der Mangel an Ehrenamt für die Zivilgesellschaft noch gehen kann.
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